Süddeutsche Zeitung

WM-Übertragung im TV:Fiasko für den deutschen Handball

Im Januar findet die Handball-WM in Katar statt - wahrscheinlich ohne Live-Bilder im deutschen TV. Der deutsche Handball ist entsetzt, denn die Verhandlungen scheiterten nicht mal am Geld.

Von Joachim Mölter

Die hiesige Handball-Nationalmannschaft befindet sich gerade in einer Ära der Premieren. 2012 in London standen zum ersten Mal keine deutschen Männer bei Olympischen Spielen auf dem Parkett. 2014 in Dänemark fehlten sie erstmals bei einer Europameisterschaft. Im vergangenen Sommer verpassten sie die WM-Qualifikation, was zwar schon zum zweiten Mal der Fall war nach 1997, aber immerhin erhielten sie wenig später die erste WM-Wildcard, die der Weltverband IHF vergab.

Nun steht eine weitere Premiere bevor, auf die sie beim Deutschen Handballbund (DHB) ebenso gern verzichtet hätten wie auf die vorherigen: Wenn die Männer-Auswahl in der zweiten Januar-Hälfte in Katar antritt, wird sie zum ersten Mal in der Geschichte von WM-Übertragungen nicht in einem öffentlich- rechtlichen Sender zu sehen sein: ARD und ZDF erklärten am Dienstag die Verhandlungen über die Fernsehrechte für gescheitert.

"Wir sind massiv enttäuscht und geschockt, dass sich ARD und ZDF und der Rechte-Inhaber beIN Sports nicht auf für beide Seiten akzeptable Konditionen einigen konnten", ließ DHB-Präsident Bernhard Bauer mitteilen. Ähnlich reagierten alle Handball-Freunde hierzulande. "Wenn das das letzte Wort ist, ist das ein Schlag in den Nacken", sagte Frank Bohmann, der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL), der Deutschen Presseagentur (dpa): "Wir bekennen uns zur Nationalmannschaft als Lokomotive. Wenn wir keine Bilder von der WM haben, hat das auch Auswirkungen auf die Liga." Der frühere Nationalspieler und heutige TV-Experte Stefan Kretzschmar twitterte: "Ein Fiasko für den Handball. Mir fehlen die Worte."

Die aktuelle Situation ist in der Tat kurios: IHF-Präsident Hassan Moustafa hatte dem DHB - mit 800 000 Mitgliedern zahlenmäßig der größte Handball-Verband der Erde - die WM-Teilnahme im Juli handstreichartig und auf umstrittene Weise noch ermöglicht, um seine auch wegen des ständigen deutschen Fehlens schwindenden Einschaltquoten im Fernsehen zu heben. Und nun soll die WM ausgerechnet in Deutschland nicht zu sehen sein. "Das ist sehr schade", sagte Moustafa zu Spiegel Online, "aber wir können es nicht ändern."

IHF- und DHB-Vertreter hatten versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln und "den langwierigen, spät eingeleiteten Verhandlungsprozess zu beschleunigen", wie DHB-Generalsekretär Mark Schober bestätigte. Zuletzt soll sich sogar IHF-Präsident Hassan Moustafa auf höchster Ebene mit Nasser Al-Khelaifi getroffen haben, dem Chef von beIN Sports, eines Tochterunternehmens des katarischen Fernsehsenders Al-Dschasira.

Ohne Erfolg. "Wir hätten gerne übertragen", versicherte der ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky am Dienstag. Die Verhandlungen mit beIN Sports seien aber gescheitert, "da wir trotz wiederholter Aufforderungen erst gestern eine nicht akzeptable Antwort auf unser Angebot erhalten haben". Das hatten die Sender bereits im August eingereicht, kurz nachdem feststand, dass die deutschen Handballer bei der WM mitmachen dürfen. ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz sagte, er sei "enttäuscht und irritiert", und kritisierte die "mangelnde Gesprächsbereitschaft seitens des Rechtegebers".

Womöglich liegt dem Konflikt ein tiefgreifendes Unverständnis dem jeweils anderen Kulturkreis gegenüber zugrunde. Und so ein Konflikt droht auch bei weiteren Gelegenheiten: Die Straßenrad-WM 2016, die Leichtathletik-WM 2019, die Fußball-WM 2022 sind ja ebenfalls nach Katar vergeben worden. Nicht auszuschließen, dass es dann auch Signalstörungen gibt. Beim Handball scheiterten die Verhandlungen jedenfalls nicht wie sonst oft am Geld, sondern am Zank über die Reichweite der Übertragungssignale, dem in Fernsehkreisen so genannten "Overspill".

ARD und ZDF wollten die Handball-WM genau wie ihr restliches Programm über die deutschen Grenzen hinaus senden, zum Beispiel in Ferienhotels rund ums Mittelmeer. Das wiederum wollte beIN Sports nicht zulassen mit dem Argument, dadurch würden Exklusivrechte anderer Länder verletzt, was geringere Einnahmen zur Folge habe.

Mittlerweile hat beIN Sports jedoch die TV-Rechte an alle europäischen Interessenten verkauft, das hätte die Gespräche mit den Deutschen erleichtern können. Kenner der Szenerie vermuten indes, dass die Katarer bei den letzten Verhandlungen nicht nachgeben wollten, um das Gesicht nicht zu verlieren. Nun ist die Situation allerdings ein Verlustgeschäft für alle. Zunächst für die Verbände IHF und DHB, die ihren Sponsoren keine Plattform bieten und auch nicht in eigener Sache werben können. "Wir brauchen die große Öffentlichkeit einer Weltmeisterschaft auch, um Jugendliche für den Sport zu begeistern und damit die Zukunft des Handballs zu sichern", erklärt DHB-Chef Bauer.

ARD und ZDF verlieren in der fußballarmen Zeit einen Quotenbringer: Bei der WM 2013 hatte das deutsche Team in der Spitze neuneinhalb Millionen Zuschauer. Und beIN Sports wird die erst im Frühjahr teuer erkauften Rechte - 81 Millionen Euro für die vier WMs 2015 und 2017 (jeweils Frauen und Männer) - auf diese Weise kaum refinanzieren können. Speziell im Hinblick auf die Frauen-WM 2017 in Deutschland erwartet DHB-Chef Bauer, dass aufgekehrt wird, was gerade an Porzellan zerschlagen worden ist: "Wir werden das noch mal thematisieren mit der IHF."

Die Hoffnung auf Fernsehbilder aus Katar hat Bauer freilich nicht aufgegeben. Zwar haben etliche Privat- und Bezahlsender bereits ihr Desinteresse an diesem Turnier bekundet, dafür steht Sport1 bereit. Der Spartenkanal hat aber noch keine Gespräche geführt und wird vermutlich auch nicht so viel für die Rechte zahlen können wie ARD und ZDF. "Bald ist Weihnachten", sagt Bernhard Bauer, "wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass wir im Januar zu sehen sind."

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Quelle:
SZ vom 03.12.2014
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