WM-Stadion-Test in Brasilien:Monument mit leeren Tribünen

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Hier soll am 12. Juni die Weltmeisterschaft eröffnet werden. (Foto: Andre Penner/AP)

Marmor aus Griechenland und ein Rasen so exklusiv wie in Wembley: 400 Millionen Euro kostete das luxuriöse WM-Stadion von São Paulo. In weniger als zwei Wochen soll hier die WM eröffnet werden. Bei der Generalprobe ist es immer noch nicht ganz fertig.

Von Peter Burghardt, São Paulo

Die Reise zum baldigen Mittelpunkt der Fußballwelt beginnt am Bahnhof Luz im alten Zentrum von São Paulo. Bis vor Kurzem hätten es Anhänger des Klubs Corinthians von hier aus relativ nah gehabt, ihre Helden spielten im ehrwürdigen Stadion Paceambu. Jetzt ist die Anfahrt etwas weiter, sie führt hinaus in den fernen Osten der brasilianischen Riesenstadt.

Man steigt in den Schnellzug Richtung Itaquera/Corinthians, so heißt die Station. Nach knapp 20 Minuten taucht auf einer Anhöhe vor einfachen Häusern, Shopping Center und Baustelle eine raumschiffartige Erscheinung mit weißen Fassaden auf. Es ist die Arena Corinthians, auch genannt Itaquerão, in sich dem eine der eigenwilligsten Generalproben der WM-Geschichte ereignet.

Die künftigen Hausherren bestreiten hier gleich ihr Ligamatch gegen Botafogo aus Rio de Janeiro. "Timão", singen die Fans des zweimaligen Weltpokalsiegers, das bedeutet so viel wie "große Mannschaft". Die Partie hätte laut Spielplan in Rio stattfinden sollen, geändert wurde die Agenda auf Wunsch des Weltverbandes Fifa.

Der hat bis zum WM-Finale am 13. Juli das Kommando über alle zwölf Stadien des Turniers übernommen, also auch über dieses, in dem am 12. Juni Brasilien und Kroatien die Copa eröffnen. Doch leider konnte die Anlage bisher erst einmal benutzt werden. Dies ist nun der zweite und letzte Härtetest, ehe hier am Donnerstag kommender Woche die größte Sportveranstaltung der Erde angepfiffen wird.

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Die Brasilianer wollen sich auf ein großes Fußballfest freuen. Wäre da nicht der Ärger über alles, was mit dem Großereignis zusammenhängt. Man muss Glück haben, jemanden zu treffen, der sich ausdrücklich auf die WM freut. Und manches erinnert an die argentinische Diktatur-WM 1978.

Von Peter Burghardt

Die Feuerwehr hat die Behelfsränge noch nicht freigegeben

Seit 1990 in Italien war der Schauplatz einer WM-Premiere nicht mehr so wenig ausprobiert worden. Vollständig kann sich das Itaquerão kein einziges Mal bewähren, ehe es demnächst los geht, denn richtig fertig ist das Monument immer noch nicht. Da sind all die Container, Kisten, Kabel, Gerüste.

Das offensichtlichste Problem steht auch an diesem Nachmittag leer, es ist eine der zwei Zusatztribünen auf ihren Stahlträgern. Die Feuerwehr hat die Behelfsränge noch nicht freigegeben und die Tribüne gegenüber nur halb. Die beiden Konstruktionen, mit denen die Zahl der Zuschauer von 48 000 auf WM-gerechte 68 000 steigen soll, haben auch kein Dach, was bei Regen in sechs WM-Spielen ungemütlich wäre. Andererseits darf man staunen, dass dieses Projekt überhaupt so weit gediehen ist.

São Paulo hätte den Neubau gar nicht gebraucht, da wäre das länderspieltaugliche Estádio Morumbí gewesen. Aber erstens genügte es der Fifa nicht und hätte renoviert werden müssen. Und zweitens gehört es dem FC São Paulo, dem Erzfeind von Corinthians. In dem Durcheinander lief die größte Metropole Lateinamerikas mit ihren 20 Millionen Einwohnern zwischenzeitlich Gefahr, aus dem WM-Programm zu fliegen.

Da beschloss eine hochrangige Männerrunde, diese Arena Corinthians alias dieses Itaquerão aus dem rötlichen Boden zu stampfen. Zu den Antreibern gehörte Brasiliens vormaliger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der die Institution Corinthians liebt und deren lebenslanger Berater ist, sowie der frühere Corinthians-Boss Andrés Sanchez, der ehemalige Bürgermeister Gilberto Kassab sowie der Vorsitzende des Baukonzern Odebrecht.

Die Maschinen rückten allerdings erst 2011 an, vier Jahre nach der WM-Vergabe. Es wurde knapp. Zwei Handwerker starben während des Kampfes gegen die Uhr, als ein Kran nachgab und ein Teil des Daches einstürzte. Ein dritter Leiharbeiter fiel im März zu Tode. Zudem wurden die Arbeiten ziemlich teuer, was auch damit zu tun hat, dass sich die Bauherren allerlei Luxus gestatteten.

Innenwände und Böden sind aus hellem und dunklem Marmor, der aus Griechenland importiert wurde. Die 53 Bäder glänzen mit japanischen Armaturen. Der Rasen, den es so exklusiv offenbar sonst nur in den Arenen Wembley und Emirates gibt, wird an heißen Tagen mit einem unterirdischen Eiswassersystem gekühlt. Die Beleuchtung soll doppelt so stark sein wie die der Münchner Arena.

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Alles in allem 1,2 Milliarden Reais, ungefähr 400 Millionen Euro, kostet der Spaß. Jeder der bequemen Klappsitze aus weißem Kunstleder wäre demnach mit 17 400 Reais zu berechnen (5800 Euro), da kamen sogar die Bayern billiger weg.

Viele Brasilianer wundern sich über die Finanzierung, mit politischer Hilfe von ganz oben verschuldete sich Corinthians bei den Staatsbanken BNDES und Caixa, dem Trikotsponsor. "Sonst hieß es immer, für Hospitäler und Schulen sei kein Geld da", spottet ein Corinthinas-Freund, dem auch die gestiegenen Eintrittspreise missfallen. WM-Tickets erwischen eh nur Glückliche und Privilegierte. Das Gütesiegel "Padrão Fifa", Fifa-Muster, ist zu einem geflügelten Wort geworden, benützt bei Streiks und Demonstrationen.

Mietpreise steigen, Familien müssen wegziehen

Besonders verärgert sind jene 300 Familien, die ein paar Kilometer entfernt auf einem verlassenen Feld campieren, weil die Mietpreise in Itaquera dermaßen gestiegen sind. "Ich habe da mein ganzes Leben gewohnt, jetzt musste ich wegen einer WM weg", klagt ein Bewohner. Die Landlosen-Vereinigung MST protestierte beim Corinthians-Debüt kürzlich im Itaquerão, diesmal gibt es keine Zwischenfälle. Präsidentin Dilma Rousseff versprach Hilfe, sie laviert zwischen Fifa-Granden und Widerständlern und nannte die Corinthians/Fifa-Festung "ein wunderbares Stadion".

Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vertreten, verhielt sich aber dezent. Und viele Corinthinas-Verehrer loben trotz Verwirrung und Staus an den Eingängen ihre neue Heimat, die mit Europa mithalten könne. Brasiliens Hymne und Jadsons satten Flachschuss zum 1:0 für Corinthians nach 24 Minuten verpassen Tausende Gäste, weil sie nach vor Toren und Kontrollen anstehen. Kurz vor Abpfiff erzielt Edilson das 1:1, was die ansonsten gute Stimmung dämpft.

Innen ist das Monstrum durchaus gelungen, wenn man von den dachlosen Provisorien an den Seiten absieht. "Im Halbfinale werden wir das Spiel mit geschlossenen Augen machen", witzelt der örtliche Organisationsleiter Tiago Paes. 37 119 Besucher wurden bekannt gegeben und Einnahmen von 2.616.819,50 Reais. Seine horrenden Schulden will Corinthians bis 2028 bezahlt haben.

© SZ vom 03.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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