Bevor Lesley de Reuck erklärt, wie er das schönste Stadion der Welt retten will, setzt er sich auf Sepp Blatters Stuhl. Es ist früh am Morgen, die Sonne scheint durch das weiße Dach des Kapstadt-Stadions, der Rasen ist frisch gemäht. Es riecht nach Gras und Meer, man hört den Atlantik rauschen. Deutschland hat hier vor vier Jahren Argentinien im Viertelfinale der WM 2010 4:0 geschlagen, Thomas Müller tanzte, Diego Maradona klagte.
Lesley de Reuck hat in die Präsidentenloge des Stadions gebeten. Er schaut grimmig, er ist ein großer Mann, viele graue Haare, der Manager des Stadions. Er weiß, welche Fragen jetzt kommen, er muss sich immer rechtfertigen. Ist das Stadion zu groß? Wie viel kostet es im Jahr? Muss es wieder abgerissen werden? "Dieses Stadion", sagt er, "wurde am richtigen Ort in der richtigen Art und Weise gebaut."
Blatter hatte eine Idee - der Preis war ihm egal
Alles begann ja damit, dass Sepp Blatter eine Idee hatte. Die Stadt wollte ihr WM-Stadion ursprünglich außerhalb des Zentrums bauen, Gebiete neu erschließen, die Infrastruktur ausbauen. Aber der Fifa- Präsident bestand auf den Standort am Meer. Die Wellen des Atlantiks im Vordergrund, der weltberühmte Tafelberg im Hintergrund. Dazwischen das leicht geschwungene, schneeweiße Dach des neuen Fußballtempels. Man soll mit Superlativen ja vorsichtig sein, aber vermutlich steht wirklich kein Stadion der Welt in einem so schönen Panorama wie dieses. Blatter dachte in Bildern. Der Preis dafür war ihm egal.
An diesem Abend, vier Jahre später, ist das schneeweiße Stadion grau. Es ist Winter in Südafrika, die Sonne geht früh unter. Zwei Eingänge von ungefähr 15 sind offen. Das reicht völlig. Ajax Cape Town spielt das erste Heimspiel der Saison. Der Verein gehört zu 51 Prozent Ajax Amsterdam, er hat die gleichen rot-weißen Trikots, das gleiche Logo wie der Mutterverein aus den Niederlanden. Der Gegner aus Mamelodi ist Südafrikas Rekordmeister. Ajax war vergangene Saison Zwölfter von 16 Liga-Teams.
Wer die Treppe zur Tribüne hochsteigt, sieht vor dem Anpfiff vielleicht tausend Zuschauer und 54 000 Sitzschalen. Alle Zuschauer stehen auf sechs, sieben Blöcke auf der Gegentribüne verteilt. Trostlos ist gar kein Ausdruck. Selbst das Tröten der Vuvuzelas verklingt. Dort, wo während der WM ein Fifa-Sponsor das verkauft hat, was er Bier nennt, sind die Rollläden herabgelassen. Ein Wachmann geht allein durch die riesigen Katakomben.
Fußball ist in Südafrika der Sport der Schwarzen, und die wohnen entweder zu weit vom Stadion entfernt, oder sie können sich die Tickets nicht leisten. Oder beides. Im Stadtteil Greenpoint, wo das Stadion steht, wohnen fast nur reiche Weiße, und die interessieren sich für Rugby.
John Goliath blickt aus seiner Reporterkabine, die Kabine steht auf der Haupttribüne - und die ist komplett verwaist. Goliath schreibt für die Cape Times, eine der größten Zeitungen der Stadt. "Vor vier Jahren war es fantastisch", sagt er. "Die Stimmung, der Geist, ein einmaliges Erlebnis." Die Fußball-WM sei eine gute Sache gewesen. Man habe der Welt gezeigt, dass man so ein Event stemmen könne. Aber jetzt, ja, jetzt sei die Fußball-Qualität niedrig. Und die Ticketpreise seien hoch.
Ist das Stadion zu groß? "Nein, ich denke nicht. Wenn die Nationalmannschaft hier spielt, ist es voll." Wie oft spielt sie denn hier? "Ein, vielleicht zweimal im Jahr." Er schaut hoffnungsfroh. "Wir müssen die Leute halt wieder ins Stadion holen. Wenn der Fußball besser wird, kommen auch wieder Leute", sagt er. Der Schiedsrichter pfeift an. Regentropfen prasseln, Vuvuzelas tröten.
340 Millionen Euro hat der Bau des Stadions gekostet. Im Mai gab die Stadt zu, dass die Arena seit ihrer Fertigstellung noch mal rund 31 Millionen Euro gekostet hat. Einnahmen im gleichen Zeitraum: 6,5 Millionen. Weil eine Betreibergesellschaft kurz nach der WM ausstieg - man könnte auch sagen: die Flucht ergriff -, bleibt die Stadt auf den Kosten sitzen. Obwohl Kapstadt als eine der reichsten afrikanischen Städte gilt, wohnt Schätzungen zufolge die Hälfte der Einwohner in Townships, also in Blech- und Holzhütten. Fast alle Bewohner der Townships sind schwarz. Und weil man sich angesichts dieser Fakten über verschwendete Millionen an Steuergeld schon mal aufregen kann, forderten zuletzt einige Bürger: "Demolish it!"
Reißt es ab!
Lesley de Reuck wird noch grimmiger, wenn er auf diese Statements angesprochen wird. "Ich denke, das Stadion abzureißen, wäre eine sehr dumme Idee", sagt er. Es sei schließlich das größte Investment, das die Stadt je getätigt hat. In drei bis fünf Jahren will er mit dem weißen Elefanten schwarze Zahlen schreiben. Aber, schiebt er hinterher, "dazu müssen sich manche Sachen ändern".
Er darf zum Beispiel keine Bars, keine Shops, überhaupt kein Gewerbe im Stadion anbieten. Das Verbot war ein Kompromiss beim Bau, weil die Anwohner protestiert hatten. Solange die nicht wieder zustimmen, bleibt das Verbot. Und dann ist da noch die Rugby-Mannschaft, die nicht kommen will. Zu den Spielen der "Stormers", dem lokalen Verein, kommen im Schnitt 33 000 Fans. Doch die spielen lieber in ihrem zwar etwas älteren, aber abbezahlten Stadion. Das liegt nur zwölf Kilometer von der WM-Arena entfernt, einmal um den Hügel quasi.
Fast allen Stadien in Südafrika geht es so wie dem in Kapstadt. Auch in Durban betreibt die Stadt das Stadion, Geschäfte und Bars sind dort erlaubt, es gibt Klettertouren auf den Bogen über dem Feld. Verluste pro Jahr: knapp 2,5 Millionen Euro. Das Nelson-Mandela-Stadion in Port Elizabeth: etwa eine Million Euro Verlust pro Jahr.
Das Final-Stadion, Soccer-City in Johannesburg, scheint als einziges profitabel zu sein. Dort spielen die Kaizer Chiefs, der populärste Fußballklub des Landes, und es zieht als Finalstadion Events an, die den anderen Arenen verwehrt bleiben. Lesley de Reuck verweist gerne auf Konzerte, wenn es um die Nutzung des Kapstadt-Stadions geht. Im Februar war Eminem hier, es kamen 37 000 Zuschauer. Die Teenie-Band One Direction ist das nächste große Event. Am 1. April 2015.
De Reuck steht auf, er geht durch die Präsidentenloge zum Aufzug. Die weiße Wandfarbe der Loge glänzt, an den Wänden hängen afrikanische Masken. "Ich kann nur jedem raten: Bevor man so ein Stadion baut, macht euch Gedanken, was danach passiert", sagt er und fährt nach unten. Eine Möwe fliegt über das Dach. Alle Sitzschalen sind hochgeklappt.