WM-2006-Prozess:Das Geheimnis der Gala

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Ortstermin im Landgericht: der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger (links) mit seinem Rechtsanwalt Hans-Jörg Metz. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

„Keine Legendierung“ und „kein Privatdeal“: Zwei Wertungen des Landgerichts Frankfurt erzeugen im Verfahren um die WM-2006-Millionen eine neue Dynamik – die Position des angeklagten Ex-DFB-Chefs Theo Zwanziger verbessert sich.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Das Sommermärchen ist schon wieder umzogen, diesmal in den Schwurgerichtssaal. Es ist bereits die dritte Räumlichkeit, in der das Landgericht Frankfurt den Steuerprozess um die Millionenschiebereien vor der WM 2006 verhandelt. Der Saal eignet sich besser für die Befragung von Theo Zwanziger, dem früheren Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Er ist größer, heller, vor allem funktioniert die Technik besser. Dafür muss das Gericht zwischendurch mal die Fenster aufreißen lassen, weil sich die Heizung nicht herunterregeln lässt. „Jeder Saal hat so seine Tücken“, sagt die Richterin Eva-Marie Distler.

In veränderter Umgebung erleben die Beteiligten dann nicht nur eine – inklusive Pausen – sechsstündige Befragung, in der Theo Zwanziger, 79, sehr entschieden seine Sicht der Dinge vorträgt. Sondern auch eine bemerkenswerte Schlusspassage. Denn da stellt Distler zwei vorläufige Bewertungen der Kammer in den Raum. Man gehe davon aus, sagt sie, dass es keine „Legendierung der Gala“ gegeben habe und auch keinen „Privatdeal“. Dies sind Einschätzungen, die dem Verfahren am 20. von voraussichtlich 30 Prozesstagen noch mal eine ganz neue Dynamik verleihen – und zugleich einige Deutungsdebatten entfachen.

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Legendierung und Privatdeal sind zwei Begriffe, die in der Causa eine besondere Rolle spielen. Beide stammen ursprünglich von Beschuldigten, beide haben die Ermittler sehr beschäftigt. Das Wort „Privatdeal“ zielt auf den Ursprung der Affäre und den Hintergrund der Zahlung, die alles ausgelöst hat; also aufs Jahr 2002, als der französische Unternehmer Robert Louis-Dreyfus dem deutschen WM-Chef Franz Beckenbauer jene zehn Millionen Franken lieh, die dann über einige Umwege beim katarischen Skandalfunktionär Mohammed Bin Hammam landeten.

Benutzt hat das Wort der frühere DFB-Chef Wolfgang Niersbach, 74, dessen Steuerverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage inzwischen eingestellt ist. Dies sei, schrieb er im Herbst 2015 in einer internen Mail, ein „Privatdeal“ zugunsten „der Fifa respektive des Präsidenten (Sepp Blatter)“ gewesen – ergo für dessen Wiederwahl. Seitdem galt das als ein möglicher, wenngleich aufgrund der Aktenlage wenig wahrscheinlicher Verwendungszweck. Das Gericht sagt nun klar, es folge dem nicht.

Welchen Verwendungszweck für die zehn Millionen es stattdessen am plausibelsten findet, sagt es bisher aber auch nicht. Dabei ist das am Ende sehr entscheidend für die Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorlag oder nicht. Beckenbauers Vortrag zu Lebzeiten lautete, man habe die zehn Millionen Franken zahlen müssen, um für die WM einen Organisationszuschuss von 250 Millionen Franken zu bekommen.

Und damit zum zweiten Stichwort, der „Legendierung“. Die bezieht sich auf den zweiten Teil des Millionenkarussells, also die Zahlung über 6,7 Millionen Euro aus dem April 2005, deren angeblich falsche Verbuchung als Betriebsausgabe die Basis des Steuerverfahrens ist. Dieses Wort wiederum stammt vom früheren DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, 83, dessen Verfahren inzwischen aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt worden ist. Er hat es im Sommer 2016 gegenüber der Staatsanwaltschaft benutzt, um den damaligen Weg des Geldes zu beschreiben: Offiziell ausgeflaggt waren die 6,7 Millionen Euro als Beitrag für eine (später abgesagte) WM-Gala. Tatsächlich leitete die Fifa das Geld sofort an Dreyfus weiter – so wurde Beckenbauers Kredit getilgt. Und diese „Legendierung“ sei neben ihm selbst auch Zwanziger bewusst gewesen.

Die Ermittler nahmen das auf. Aber Zwanziger, inzwischen der letzte verbliebene Angeklagte, hat das stets mit Empörung zurückgewiesen und beteuert, dass alles korrekt gelaufen sei und er niemanden getäuscht habe. Am Montag tut er das vor Gericht noch einmal. Der Aufsichtsrat habe den Plan abgesegnet, sich an der Gala zu beteiligen; es habe dann eine Überweisung an die Fifa für die Gala gegeben. Und, ja: Er habe zwar früh von Dreyfus’ Forderung gegen Beckenbauer gewusst, aber erst kurz nach der Überweisung im April 2005 verstanden, dass diese mit dem Ablauf der 6,7 Millionen-Zahlung beglichen wurde. Wegen des Begriffs „Legendierung“ hat Zwanziger sogar eine Unterlassungserklärung an Schmidt geschickt – und sein langjähriger DFB-Mitstreiter hat die Formulierung im Laufe der Jahre tatsächlich korrigiert.

Ob man ihm da etwas „untergeschoben“ habe, fragt die Richterin. Theo Zwanziger ruft:  „Neeeinnn!“

Die Bemerkungen und die Reaktionen des Gerichts legen nahe, dass es Zwanziger diesen Vortrag glaubt. Das gilt auch in Hinblick auf eines der heikelsten Dokumente: eine handschriftliche Notiz von Zwanziger aus dem April 2005, verfertigt wenige Tage vor der Überweisung. Denn eigentlich war der Beschluss, sich mit sieben Millionen Euro an der Gala zu beteiligen. Doch Zwanziger notierte in einem Vermerk an Schmidt, dass es richtig sei, die Summe wegen entstehender Personal- und Sachkosten „etwas zu kürzen“, vielleicht um 300 000 Euro – womit man mithin just bei den ominösen 6,7 Millionen Euro herauskam, die fast passgenau Beckenbauers Schuld (zehn Millionen Franken Kredit plus Zinsen) ablösten. Zwanziger erläutert am Montag, dass diese Summe von Schmidt als Vorschlag an ihn herangetragen worden und er damit einverstanden gewesen sei.

Ob ihm das nicht komisch vorkomme, und ob das nicht so aussehe, als ob man ihm da etwas „untergeschoben“ habe, will die Richterin  wissen. „Neeeinnn“, ruft Zwanziger, der Horst Schmidt täusche ihn nicht.

In dieser Frage dokumentiert sich in jedem Fall das, was es noch zu ergründen gilt in den nächsten Prozesstagen. Denn auch wenn die Richterin davon sprach, dass es keine „Legendierung“ gegeben habe und man davon ausgeht, dass die Gala keine komplett erfundene Veranstaltung war, so bleibt doch die Frage, ob da vielleicht „eine Buchungsstelle“ gesucht worden sei, wie das die Richterin formulierte. Und dann ist abseits der Rolle Zwanzigers auch die Frage, wer da wann wusste oder plante, dass die Gala als Buchungsstelle dienen könnte. Im Prinzip ist es auch möglich, dass das Gericht grundsätzlich eine Steuerhinterziehung sieht, aber Zwanziger freigesprochen wird, weil er vor der Überweisung der 6,7 Millionen Euro keine Kenntnis von der folgenden Kredittilgung und später auch nichts mit der Abgabe der Steuererklärung zu tun hatte.

Schmidt selbst hat das in seiner Befragung sogar eingeräumt und im Vorjahr in einer Einlassung vor Gericht bestätigt, dass er vor der Überweisung einen Konnex mit dem Darlehen gesehen habe. Zwanziger mutmaßte in seiner Befragung am Montag, dass wohl die Fifa-Verantwortlichen den Beschluss des DFB für eine Beteiligung an der Gala als Chance begriffen hätten, um das ungelöste Kreditthema abzuräumen. Aber darüber hinaus verbirgt sich in den Tiefen dieses Verfahrens noch ein gravierender Vorgang.

Dreyfus’ damaliger Bankberater hat sich nämlich ausführliche Notizen gemacht über die Geschäfte seines Mandanten, auch zum Kredit für Beckenbauer. Jahrelang mahnte er vergeblich, dass dieser nun zurückgezahlt werden solle. Und die Notizen zeigen, wie sich die Themen Gala und Kredit auf bemerkenswerte Weise kreuzten. Denn eigentlich war die Gala Sache der Bundesregierung, erst im Oktober 2004 übernahm die Fifa die Rolle des Veranstalters. Am 8. November notierte Dreyfus’ Berater, dass der Kredit jetzt definitiv gelöst werden solle. Kurz danach schickte die Fifa ein Fax ans WM-Organisationskomitee um Schmidt, in dem erstmals das WM-Kulturprogramm als mögliche Tarnung für eine Rückzahlung auftauchte.

Am 20. Februar soll Fedor Radmann aussagen – Franz Beckenbauers ewiger Schattenmann

Und dann folgte am 2. Februar 2005 nach SZ-Informationen ein pikanter Eintrag von Dreyfus’ Berater. Sinngemäß heißt es demnach darin: Die Kreditsache sei immer noch nicht geklärt, solle jetzt aber erledigt werden. Sein Mandant sei darüber unterrichtet worden, dass noch eine Formalität zu klären sei.

Eine noch zu klärende Formalität? Wussten Dreyfus beziehungsweise sein Bankberater schon lange vor dem Beschluss der Deutschen, sich an der Gala zu beteiligen, wie die Suche nach der Buchungsstelle ausgehen könnte? Und wenn ja: von wem?

Klar ist nach Aktenlage jedenfalls, dass bald darauf Bewegung einsetzte. Mitte Februar 2005 kam ein sogenannter Lichtboden ins Spiel, der bei der Gala Zusatzkosten verursachen würde. Aus internen Unterlagen der Fifa ergibt sich nach SZ-Informationen, dass diese am 22. Februar nachträglich ins Budget eingefügt und zunächst auf 4,5 Millionen Euro beziffert wurden. Einen Tag später wurde im deutschen Lager ein Memo verfasst, in dem dieser Lichtboden thematisiert wurde. Der Unterzeichner: Fedor Radmann, der ewige Strippenzieher und enge Vertraute von Beckenbauer, der in nahezu alle zentralen Fragen jener Zeit involviert war, nicht zuletzt auch rund um die Zehn-Millionen-Frage im Jahr 2002.

Im März 2005 verfasste dann Schmidt ein Schreiben, worin er sich auf ein Gespräch mit der Fifa über den Lichtboden und eine angedachte Beteiligung des DFB bezog. Zwischen Schmidt und dem damaligen Fifa-Generalsekretär Urs Linsi gab es in jener Zeit viel Kontakt, und dann nahmen die Dinge ihren Lauf, bis Ende April der Beckenbauer-Kredit getilgt wurde.

Ob das Gericht in dieser Frage jetzt noch weiterkommt? Louis-Dreyfus’ Bankberater kann man nicht mehr befragen, er ist wie der Unternehmer und Beckenbauer verstorben; allerdings soll noch eine Mitarbeiterin von ihm aussagen. Möglicherweise wird sich auch Schmidt irgendwann noch mal vor Gericht äußern.

Vor allem aber steht am 20. Februar ein besonderer Termin an: Dann soll Fedor Radmann als Zeuge auftreten, Beckenbauers Schattenmann. Der hat zu Beginn der Affäre einmal gesagt, er beschwöre beim Leben seiner Kinder, dass rund um die WM 2006 niemand bestochen worden sei. Radmann jetzt im Schwurgerichtssaal, das würde wie ein passendes Ambiente für viele offene Fragen in der Sommermärchen-Affäre wirken.

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