Süddeutsche Zeitung

WM-Skandal des DFB:Das zweite schwarze Loch

  • Wohin gingen die 6,7 Millionen, die das deutsche Organisationskomitee der WM 2006 Richtung Fifa überwies?
  • Neueste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es dabei auch um die Fifa-Präsidentschaftswahl 2002 gegangen sein könnte.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Im April 2005 unterzeichneten Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger einen Brief. "Beitrag Kulturprogramm" lautete die Betreffzeile, aber das war nur die Tarnung. Denn das Schreiben der beiden Präsidiumsmitglieder des Organisationskomitees für die WM 2006, das an den damaligen Generalsekretär des Weltverbandes Fifa adressiert war, gehörte zu einer Inszenierung. Es beinhaltete Instruktionen für eine höchst verschlungene Transaktion im Rahmen der Sommermärchen-Affäre, mit der es sich inzwischen wie mit einem 1000-Teile-Puzzle verhält.

Viele Teile liegen wild auf dem Tisch, aber wie passen sie zusammen? Manche Teile, die mit dem obengenannten Brief zusammenhängen, führen die Affäre nun womöglich näher heran an ein geschlossenes Gesamtbild. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die tatsächliche Umsetzung der dort beschriebenen Transaktion stützt den Verdacht, dass es damals eine schwarze Kasse gegeben haben könnte.

Nur könnte diese - anders als zuletzt oft vermutet - nicht dazu gedient haben, den Deutschen im Jahr 2000 die WM 2006 zu sichern. Sondern dazu, eine schwarze Kasse im Einflussbereich der Fifa zu füllen. Eine schwarze Kasse für einen einzelnen Fifa-Funktionär oder eine Fifa-Interessengemeinschaft. Und diese Kasse wurde dann auf dem Umweg und mit aktiver Hilfe der deutschen WM-Organisatoren um jene oft erwähnten 6,7 Millionen Euro aufgefüllt.

Es ist wichtig, zwischen den beiden Zeitpunkten zu unterscheiden, zu denen die 6,7 Millionen Euro eine Rolle spielten. 2002 - als es durch den Geschäftsmann und langjährigen Adidas-Eigner Robert Louis-Dreyfus (verstorben 2009) angeblich einen Vorschuss für das deutsche OK gab. Und 2005 - als dieses Darlehen zurückgeführt werden sollte. Aber bei beiden Zeitpunkten gibt es nach aktuellem Erkenntnisstand ein schwarzes Loch und es ist unklar, wo genau das Geld landete.

Zunächst zur Rückzahlung: Gemäß dem Brief aus dem April 2005 sollten 6,7 Millionen Euro vom Organisationskomitee (OK) auf ein Fifa-Konto bei der BNP Paribas in Genf fließen. Die Fifa wiederum sollte, so die Anweisung in dem Schreiben, diese Summe auf ein Konto ihrer Züricher Filiale weiterleiten - ein Konto, das Louis-Dreyfus gehörte. Nun aber gibt es nach SZ-Informationen massive Zweifel daran, dass die 6,7 Millionen Euro den im Brief skizzierten Weg nahmen.

In Kreisen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) heißt es, dass in dem Schreiben vom 19. April 2005 zwar ein Konto bei der BNP Paribas als Empfänger genannt wurde. Allerdings sei das Geld dann nicht wirklich dorthin geflossen. Stattdessen sei die Überweisung auf ein Konto bei einer anderen Bank ausgestellt worden - angeblich bei der Zürcher UBS.

Eine mit den Vorgängen vertraute Person sagt, diese Version sei "richtig". Drei weitere Personen bestätigten gegenüber der SZ diese Darstellung. Zudem heißt es nun, es sei überhaupt nicht garantiert, dass die 6,7 Millionen tatsächlich bei der Fifa als Organisation landeten. Dazu passt, dass die derzeit bei der Fifa in Zürich ermittelnden Prüfer den Eingang der 2005 vom deutschen OK angeblich überwiesenen 6,7 Millionen Euro bislang nicht - auf einem der offiziellen - Fifa-Konten bestätigen konnten.

Der Weltverband dementiert das auf wiederholte Anfrage nicht. Er teilt nur mit, er wolle sich nicht mehr äußern. Horst R. Schmidt sagt heute, er könne sich nicht mehr erinnern, ob es einen Konto-Tausch gab, also ob das Geld auf ein anderes als das im Brief angegebene Paribas-Konto ging. Theo Zwanziger, der zweite Unterzeichner, will sich erst nach seinem Interview mit den Ermittlern der Kanzlei Freshfields äußern, die die Vorgänge im DFB-Auftrag prüft (siehe Text unten).

Der DFB wiederum verweist darauf, dass er die Prüfung von Freshfields abwarten will, ehe er etwas zum Thema sagt. Dies kann Wochen dauern. Die Öffentlichkeit bleibt zunächst allein mit den drängenden Fragen: Was ist das für ein Konto, auf das 2005 die 6,7 Millionen Euro des WM-OK wirklich flossen? Und wer hatte Zugriff?

Auch bei den Vorgängen aus dem Jahr 2002 führt die Spur des Geldes derzeit noch ins Nichts. Die Fifa-Finanzkommission soll damals von den Deutschen eine Art Sicherheit über 6,7 Millionen Euro verlangt haben. Im Gegenzug wollte sie einen WM-Organisationszuschuss von 170 Millionen Euro bewilligen. Franz Beckenbauer, der WM-Chef, bezeichnete es in seiner Presseerklärung vom Montag als "Fehler", dass er "auf einen Vorschlag seitens der Fifa-Finanzkommission eingegangen" sei. Also auf den Vorschlag, 6,7 Millionen zu zahlen - und das so, dass es kaum jemand im Organisationskomitee und in der Fifa mitbekommt.

Zunächst wollte Beckenbauer den Betrag selbst entrichten, dann aber übernahm das Louis-Dreyfus. Wohin dieser überwies, ist unklar. Die Deutschen wissen es angeblich nicht, wie DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte, die Fifa teilte mit, sie habe den Eingang dieser Summe nicht registriert. Ein Mitglied des WM-OK mit intimen Kenntnissen soll jüngst in vertrauter Runde erklärt haben, dass das Geld einen diskreten Ort erreichte, zu dem nur Blatters Getreue aus der damaligen Fifa- Finanzkommission Zugang hatten.

Dieses Gremium führten Julio Grondona, Jack Warner und Mohammed bin Hammam an. Kürzlich gab der frühere DFB-Chef Zwanziger im Spiegel eine angebliche Aussage seines früheren OK-Kollegen Schmidt wieder, wonach die 6,7 Millionen letztlich an Bin Hammam gegangen sei. Schmidt bestreitet, das so gesagt zu haben.

Zusammenfassend: Es bleibt unklar, wo die Dreyfus-Millionen 2002 gelandet sind. Und es bleibt ebenso unklar, wo die Millionen aus dem WM-OK 2005 gelandet sind. Vielleicht gar auf dem selben Konto? Mit diesem Szenario würde sich eines der größten Rätsel in der WM-Affäre klären.

Es erschien doch stets rätselhaft, warum die Fifa und das deutsche OK für die Rückzahlung 2005 das Risiko eingingen, die Millionen als Beitrag fürs "Fifa-Kulturprogramm" zu tarnen. Und es stellte sich die Frage, warum die Fifa den geforderten Vorschuss nicht einfach mit ihrem Budgetzuschuss ans deutsche OK verrechnete.

So ähnlich, wie sie es wenige Jahre später in einer ähnlichen Konstellation auch tat. Damals zog die Fifa eine angebliche Zehn-Millionen-Dollar-Spende des WM-OK in Südafrika vom Organisationsetat ab und überwies statt ans Kap in die Karibik. Angeblich haben die Deutschen diesen Vorschlag im Zuge der Verhandlungen sogar gemacht. Aber offenkundig war jemandem daran gelegen, dass konkret Geld fließt.

Der derzeit suspendierte Fifa-Chef Sepp Blatter lässt auf Anfrage mitteilen, diese Vorgänge seien ihm nicht bekannt. Aber es ist in jedem Fall hilfreich, sich noch einmal der Fifa-internen Atmosphäre zu vergewissern, die zum Zeitpunkt der angeblichen ersten Zahlung 2002 herrschte. Damals steckte der Weltverband in einem wilden Wahlkampf, der Kameruner Issa Hayatou forderte Sepp Blatter heraus.

Die europäische Opposition war stark, der eigene Generalsekretär hatte ein Dossier über Ungereimtheiten in Finanzfragen angefertigt und elf Mitglieder im Exekutivkomitee hatten sogar Strafanzeige gegen Blatter gestellt. Der Druck war immens, doch die Deutschen standen treu an der Seite des Schweizers. Am Ende entschied Blatter die Wahl für sich. Eine Allianz des Präsidenten mit den Deutschen hatte es unzweifelhaft gegeben. Es stellt sich nun in neuem Licht die Frage, wie eng diese war - und ob die deutsche Unterstützung aus mehr als nur einem Bekenntnis bestand.

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SZ vom 29.10.2015/jbe
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