WM-QualifikationDie Seleção ist nur noch ein Schatten

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Die Fans sind nicht so begeistert: Der international nicht sehr bekannte Trainer Dorival Júnior soll Brasilien zur WM 2026 führen.
Die Fans sind nicht so begeistert: Der international nicht sehr bekannte Trainer Dorival Júnior soll Brasilien zur WM 2026 führen. (Foto: Carla Carniel/Reuters)

Seit der Absage von Carlo Ancelotti kommt Brasiliens Nationalelf nicht mehr auf die Beine. Gegen Chile steht nun sogar die Qualifikation für die WM 2026 auf dem Spiel.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Geschichte des Fußballs kennt einen einzigen Augenblick, da Chiles Nationalmannschaft die Brasilianer zum Zittern brachte. Es geschah bei der Weltmeisterschaft 2014, als Mauricio Pinilla im Maracanã einen Ball ans Gebälk drosch, der das Tor der Brasilianer wackeln ließ – in der 119. Minute des Achtelfinales, beim Stand von 1:1. Es kam zum Elfmeterschießen, Brasilien gewann, und zu den Folgen zählte einerseits, dass Pinilla sich die Szene mit dem Schriftzug „Nur einen Zentimeter vom Ruhm entfernt“ auf den Rücken tätowieren ließ. Andererseits, dass Brasilien erst im Viertelfinale gegen Kolumbien mit den Zähnen klapperte – und dann das Halbfinale 1:7 gegen Deutschland verlor.

Nun zittert Brasilien wieder, ein bisschen jedenfalls. Denn in der Nacht zum Freitag besucht Brasilien aus Anlass eines WM-Qualifikationsspiels Chiles Hauptstadt Santiago. Und ist eigentlich dazu verdammt, zu siegen.

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Eigentlich, diese Einschränkung ergibt sich aus dem sehr eigenen Qualifikationsmodus, der für die zehn Verbände des südamerikanischen Fußballverband Conmebol gilt. Sechs südamerikanische Teams qualifizieren sich direkt für die WM 2026, ein siebtes wird an einer Playoff-Runde teilnehmen. Die Brasilianer müssten also schon vergessen, ihre Fußballstiefel aus den Kartons zu nehmen, um die Sause in Nordamerika zu verpassen – zumal sie überhaupt erst zweimal in den Ausscheidungsspielen gegen Chile verloren haben (2000 und 2015).

Brasilien liegt derzeit nur auf Platz fünf der Quali-Tabelle

Und noch dazu, da die Chilenen, derzeit Vorletzter, ein fußballerisches Tal durchqueren, das länger ist als das Andenland. Aber die Lage ist, wie sie ist: Brasilien hat in der laufenden Runde zum ersten Mal daheim ein Qualifikationsspiel verloren (gegen Argentinien) und nach acht Spielen gerade einmal zehn Punkte gesammelt. Brasilien liegt – acht Punkte hinter Spitzenreiter Argentinien – auf Platz fünf der Tabelle.

Derlei nagt am Selbstwertgefühl Brasiliens, das Land galt einmal als das Synonym für den Begriff „Fußball“ schlechthin. Die Wahrheit ist: Brasilien ist schon länger nur ein Schatten seiner selbst. Hätte es die günstigen Bedingungen bei der Copa América 2019 nicht gegeben – sprich: wohlwollende Schiedsrichterleistungen, insbesondere im Halbfinale gegen Argentinien –, so läge der letzte Sieg beim Kontinentalturnier satte 17 Jahre zurück. Der letzte WM-Sieg datiert von 2002, bei der WM 2022 in Katar sagte Brasilien nach dem Viertelfinale Adeus.

Die Folge: Konfusion auf der Trainerbank. Tite ging – und verleitete Brasiliens Verband zu einem toxischen Traum. Man wollte Carlo Ancelotti bei Real Madrid loseisen. Erst durfte sich Nachwuchsnationaltrainer Ramon Menezes für drei Spiele als Interimscoach bewähren, und als dann Fernando Diniz Platzhalter für den berühmten Italiener war, überschlugen sich die Ereignisse. Ancelotti sagte im Dezember 2023 ab (und verlängerte seinen Vertrag bei Real) – und der führungskrisengebeutelte Verband stand nackt da.

Zwei Hoffnungsträger, aber keiner hilft der Seleção: Real Madrids Stürmer Vinicius Junior ist verletzt, sein Klubtrainer Carlo Ancelotti ist doch nicht brasilianischer Nationaltrainer geworden.
Zwei Hoffnungsträger, aber keiner hilft der Seleção: Real Madrids Stürmer Vinicius Junior ist verletzt, sein Klubtrainer Carlo Ancelotti ist doch nicht brasilianischer Nationaltrainer geworden. (Foto: Jose Breton/AP)

Dem Trainer Diniz ausreichend viel Zeit zu geben, eine Fußballidee zu entwickeln, kam nicht mehr infrage, er hatte von sechs Partien drei verloren und nur zwei gewonnen. Und so kam Dorival Júnior. Ein netter Typ, interessanter Diskurs, gepflegter Fußball auf Klubebene, das waren die Attribute, die bei seinem Amtsantritt im Januar gehandelt wurden. Nur: Die Qualität der Aufführungen und die Ergebnisse waren danach nicht nach dem Geschmack der Anhänger, auch jenseits der WM-Qualifikation. Bei der diesjährigen Copa América flog Brasilien im Viertelfinale gegen Uruguay raus.

Und nun? Tritt Brasilien vor dem Hintergrund von Systemdebatten (Doppelsechs? Oder nur ein defensiver Mittelfeldspieler?) unter schwierigen Voraussetzungen in Santiago an. Neymar Jr., so etwas wie das personifizierte Feigenblatt der brasilianischen Talentkrise der vergangenen Jahre, laboriert seit einem Jahr an einer Knieverletzung, zudem fallen Torwart Alisson (Liverpool), die Abwehrspieler Militão (Real) und Bremer (Juventus) sowie Vinícius Jr. (Real) mit Blessuren aus. Die Reserve sollte für Chile aber gut genug sein, zuletzt verloren die Chilenen daheim sogar gegen Bolivien. Und wenn nicht? Zittert Brasilien wirklich.

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