WM-Qualifikation:Sturm der Liebe

  • Beim Sieg der DFB-Elf gegen Norwegen glänzt Angreifer Timo Werner mit zwei Toren.
  • Fast in allen Stadien wird er wegen einer einst begangenen Schwalbe ausgepfiffen - in Stuttgart dagegen feiert das Publikum ihn mit Sprechchören.
  • Für die WM 2018 dürfte er Joachim Löw wichtigster Stürmer werden - das räumt auch Konkurrent Mario Gomez ein.
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Von Matthias Schmid, Stuttgart

Ob sich Timo Werner und Joachim Löw nach dem Spiel um den Ball gezankt haben, ist nicht überliefert. Sollte es so gewesen sein, dann hätte der Bundestrainer eindeutig gewonnen. Löw trug den Spielball unter dem rechten Arm geklemmt, als er am Montagabend kurz vor Mitternacht im Foyer der Stuttgarter Fußballarena Halt machte, um das 6:0 gegen Norwegen zu erläutern. Timo Werner verschwand hingegen ohne Ball in die spätsommerliche Nacht - obwohl er nach seinen beiden Toren allen Grund gehabt hätte, ihn als Trophäe mit nach Hause zu nehmen.

Er brauche dringend einen guten Ball für den nächsten Donnerstag, erklärte Löw gut gelaunt, "unser Ball isch nämlich kaputt". Mit wem und wo er da spielt, behielt er für sich. In seiner schwarzen Trainingshose und seinem schwarzen T-Shirt sah er aber so aus, als wollte er am liebsten gleich an Ort und Stelle mit ein paar Kumpels kicken.

Löws Lässigkeit hatte sich zuvor auf das Spiel seiner Mannschaft übertragen. Nach dem zähen 2:1-Sieg in Tschechien feierte die deutsche Nationalmannschaft gegen Norwegen in der Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr nach einer mitreißenden Partie den achten Sieg im achten Spiel. "Wir haben hier in Stuttgart erlebt, wie schön Fußball sein kann, wie viel Spaß es machen kann", hatte Löw zuvor in der Pressekonferenz hervorgehoben, wo er noch ohne Ball erschienen war. In der Tat wollte das Stuttgarter Publikum mit seiner Fröhlichkeit und seiner Leidenschaft ein anderes Bild zeigen, sie wollten die rassistischen Parolen und Schmähgesänge von Prag angemessen stimmungsvoll vertreiben. Zumindest an diesem Abend ging das wunderbar auf, auch weil die Spieler auf dem Rasen perfekt assistierten.

Khedira traut Werner Weltklasse zu

"Brillant kombiniert" habe seine Mannschaft, sagte Löw, Druck und Dynamik vor dem Tor hätten gestimmt - ganz anders als noch in Prag. Dass die Norweger kein ernstzunehmender Gegner und einfach nur froh waren, nicht zweistellig verloren zu haben, ließ er unerwähnt. Vor allem für einen Spieler freute sich Löw: für Timo Werner. Der gebürtige Stuttgarter hat in Leipzig als Fußballer zu sich und zu einem Leistungsniveau gefunden, das ihn zu einem besonderen Spieler macht. Andererseits liegen keine einfachen Wochen und Monate hinter ihm.

Fast in allen deutschen Stadien wird der 21-Jährige bei Ballkontakten ausgepfiffen, beschimpft, weil die Leute ihm eine Schwalbe nicht verzeihen, für die er sich längst entschuldigt hat. Das beschäftig Werner, auch wenn er sich das nicht anmerken lässt. "Was passiert ist, fand ich peinlich und völlig überzogen", kritisierte der Bundestrainer, ehe er Werner hymnisch lobte: "Er macht das, was dem Gegner extrem weh tut, weil er diesen brutalen Zug zum Tor hat und diese Schnelligkeit."

Vor allem Werners zweiter Treffer zum 4:0 war ein Beispiel seiner rasanten Entwicklung hin zu einem deutschen Topspieler, "der wirklich zur Weltklasse aufsteigen kann", wie es Sami Khedira formulierte. Der 21-Jährige spielte auf Höhe des Mittelkreises Özil an, der leitete zu Müller weiter, Müller rannte die rechte Seite entlang und flankte aus vollem Lauf. In der Zwischenzeit war Werner so schnell zum gegnerischen Tor gesprintet, als habe jemand die Vorspultaste gedrückt. Mehr noch: Er stand beim Kopfball nach Zuspiel Müllers so hoch in der Luft, dass er noch über das Stadiondach hinaus den Neckar sehen konnte, naja, zumindest fast.

"Ich hatte Gänsehaut, als die Zuschauer seinen Namen gerufen haben"

"Dass es für mich heute so ausging, habe ich nicht erwartet", sagte Werner anschließend leise. Er tritt noch etwas schüchtern auf, wenn er spricht. Und diesmal erlebte er Dinge "wie früher", als er mit 17 seine ersten Bundesligaspiele für den VfB Stuttgart machte. So drückte er es zumindest aus, als er auf den Lärm und die "Timo-Werner-Rufe" zu sprechen kam, die schon in der 17. Minute begonnen hatten, nachdem er in der eigenen Hälfte mit einer astreinen Grätsche einen Ball erobert hatte. Immer lauter und länger hallte sein Name aus der Cannstatter Kurve, wo sonst die treuesten Fans des VfB stehen. "Das war herzlich", fand Werner. Wie die Zuschauer auf ihn reagieren könnten, das war ja eine große Frage gewesen vor dem Spiel. Er habe vorher nicht darüber nachgedacht, behauptete Werner.

Seine Aufstellung als einzige Spitze vor einer flexiblen Dreierkette mit Mesut Özil, Julian Draxler und Thomas Müller werteten einige als starkes Zeichen dafür, dass Joachim Löw Werner nach dem Confed Cup und den ersten Bundesliga-Wochen zum derzeit besten deutschen Stürmer erhoben hat, natürlich ohne, dass er es so gesagt hätte. Löw will öffentlich von Rangfolgen nichts wissen, obwohl Werner in acht Länderspielen schon sechsmal getroffen hat. Auch Werner selbst geht nicht davon aus, dass er nun als Nummer eins im Sturm gesetzt sei.

Für einen anderen Experten ist die Sachlage aber eindeutig. "Timo wird in den nächsten zehn Jahren den Sturm in Deutschland dominieren, vielleicht sogar in Europa." Der Experte heißt Mario Gomez und er muss es wissen, er erlebt ihn aus nächster Nähe. Der Wolfsburger Angreifer durfte gegen Norwegen für Werner noch ein paar Minuten ran. Er applaudierte vor dessen Auswechslung, lang und ausdauernd. Und das war nicht nur pure Höflichkeit, die Gomez zu dieser erstaunlichen Geste bewog, sondern ehrliche Anteilnahme. "Ich hatte Gänsehaut, als die Zuschauer seinen Namen gerufen haben", gab Gomez zu. Er hat sich damit arrangiert, dass Timo Werner ihn sportlich abgehängt hat. Um Weltmeister zu werden, "brauchen wir ihn", sagte Gomez.

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