WM-Qualifikation:England hat wieder ein Siegerteam

England v Scotland

Englands Gary Cahill (l.) und Wayne Rooney: Grund zum Feiern

(Foto: dpa)

Von Sven Haist, London

Die Hände zu Fäusten geballt, den Mund weit aufgerissen, kniete Interimstrainer Gareth Southgate in Siegerpose vor der Haupttribüne des Wembley-Stadions. Das Motiv nach dem zweiten Treffer für England hatte Seltenheitswert, allenfalls Spieler jubeln auf diese Weise, wenn sie sich nach gewonnenen Trophäen für ein Erinnerungsfoto aufstellen.

Southgate, 46, ist nun schon länger kein Profi mehr, aber weil er für England in 57 Einsätzen die Knochen hingehalten hat, weiß er natürlich um die Wirkung dieser Geste. Sie sollte im Ehrengastbereich des Stadions ankommen, wo die Entscheidungsträger des englischen Fußballverbandes FA das 3:0 gegen Schottland begutachteten. Damit das Werk seines Teams auf dem Platz ja keinem verborgen blieb, riss Southgate auch nach den beiden anderen Treffern triumphierend die Fäuste in die Luft.

Am Dienstag steht noch ein Testspiel gegen Spanien an, dann möchte sich die FA zur zukünftigen Trainerbesetzung des Nationalteams äußern. Die Überbrückungsphase durch Southgate war erstmal nur für vier Partien vereinbart. Die Menschen auf der Insel fragen sich allerdings schon jetzt: Reichen drei Kopfballtreffer von Daniel Sturridge, Adam Lallana und Gary Cahill für das Nicken der Bosse?

Das Bewerbungsschreiben von Southgate auf die frei werdende Arbeitsstelle bei der FA umfasst zwei Siege (2:0 gegen Malta und 3:0 gegen Schottland) und ein Unentschieden (0:0 in der Slowakei). England führt die Tabelle in Gruppe F an mit zwei Punkten Vorsprung, aber wer hinter die Fassade dieser Ergebnisse guckt, sieht, warum die meisten der 87 258 Zuschauer das Stadion am Freitagabend weit vor Abpfiff verließen.

Die Schotten vernichten sich selber

Aus der 144 Jahre alten fußballerischen Auseinandersetzung zwischen England und Schottland ist inzwischen ein Anachronismus geworden. Die 90 Minuten im 113. Battle-of-Britain waren der Beweis für den Stillstand der beiden Länder in einer Sportart, die sie einst groß gemacht haben.

In unschöner Regelmäßigkeit schaffen es die Schotten, die sowieso niedrigen Erwartungen der eigenen Nation zu enttäuschen. Das Boulevardblatt Record druckte eine schwarze Titelseite ab, in weißer Schrift stand drauf: "Es war beschämend. Es war demütigend. Es war herzzerbrechend. Wir können es nicht mal ertragen, ein Bild davon zu zeigen." Die Blüte Schottlands, so heißt die erste Zeile der Nationalhymne, hielt lediglich die Tartan Army hoch.

13 700 Schotten sahen in London zu, wie ihr Team sich die Niederlage mal wieder selbst zuführte. Aus sechs Metern Torentfernung köpfte Grant Hanley freistehend am Tor vorbei; die Fernsehkameras hatten Mühe, dem Ball zu folgen. James Forrest und Robert Snodgrass scheiterten mit ihren Schüssen auf der Torlinie. Ein Unentschieden wäre denkbar gewesen. Der große Nachbar brachte auch bloß drei Schüsse aufs Tor - alle waren jedoch drin.

Southgate vermeidet das Risiko

Seit 18 Jahren wartet Schottland auf eine Teilnahme an einem Großereignis, vermutlich werden jetzt zwei weitere hinzukommen. Die WM 1998 endete in der Vorrunde nach einem 0:3 gegen Marokko. Das 0:3 gegen England lässt Schottland mit vier Punkten auf Rang zwei zurück - und vermutlich bald ohne Trainer. Die Bravehearts gehen davon aus, dass Gordon Strachan in den nächsten Tagen zurücktritt. Wenngleich der davon nach dem Spiel noch nichts wissen wollte. "Falls ihr denkt, ich mache mir jetzt Gedanken über mich, dann kennt ihr mich nicht", sagte Strachan. "Vielleicht wenn ich kurz davor bin zu sterben, werde ich denken: Wie mache ich weiter, Gordon?"

In England hat Southgate dagegen einen prominenten Fürsprecher auf seiner Seite: die Medien. Die einflussreiche Times schrieb zum Beispiel: "Der Job ist Deiner, Boss." Das Mutterland des Fußballs sehnt sich wegen der Pannenserie zuletzt nach einem seriösen Anführer. Southgate kennt diese Gedanken und versucht, ihnen zu entsprechen. Auf der Pressekonferenz präsentiert er sich höflich und durchdacht. Selbst sein Wasserglas trinkt er aus. "Ich habe die Rolle genossen und viel für mich mitgenommen. Was jetzt passiert, ist nicht meine Entscheidung. Die FA kann tun, was sie möchte."

Was Southgate jedoch zu verantworten hat, ist die konzeptlose Darbietung der Spieler. England wollte sich sichtbar spielerisch vom eigenen Strafraum aus nach vorne kombinieren, bloß die Spieler schafften es nicht. Die Innenverteidiger John Stones und Cahill produzierten ein Lehrstück im bedächtigen Passen. Vor ihnen bewegten sich zwei defensiv orientierte Mittelfeldspieler mit Eric Dier und Jordan Henderson, denen es an Abstimmung und Raumgefühl mangelte. Speziell Dier erweckte den Eindruck, dass es sein einziges Ziel war, nicht im Weg zu stehen. Klubtrainer Mauricio Pochettino hat das längst erkannt. Bei den besten Saisonleistungen der Tottenham Hotspur saß Dier auf der Bank oder spielte in der Abwehr.

Diese Problematik kannte Southgate. Beim 0:0 in der Slowakei taten sich die Three Lions in dieser Formation ebenfalls schwer, überhaupt mal aufs Tor zu schießen. Das Risiko, seine Mannschaft offensiv auszurichten und dem Publikum eine mitreißende Vorstellung zu bieten, wollte er allerdings nicht eingehen. Ein Misserfolg hätte die eigenen Interessen, eine Anstellung als Nationaltrainer bis nach der EM 2020, gefährdet. Für dieses kalkulierte Vorgehen konnte sich Gareth Southgate nach Schlusspfiff feiern lassen - und tat das auch. Er drehte eine Pirouette und klatschte sich Beifall.

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