Süddeutsche Zeitung

Skandal in Islands Fußball:Zusammenbruch hinter der Fassade

Islands Fußballer sind Publikumslieblinge, nun erschüttern Missbrauchsvorwürfe den Verband so sehr, dass die ganze Führung zurücktritt. Es geht um die Frage, ob eine gewalttätige Kultur geschützt wurde - und wie viel noch im Verborgenen liegt.

Von Saskia Aleythe

Mit jedem Tag, der verging, bekam Islands Fußball neue Kratzer. Gedacht hätte das Hanna Björg Vilhjalmsdottir vermutlich selber nicht, als Gleichstellungsbeauftragte des isländischen Lehrerverbandes kennt sie sich aus mit den Mechanismen, mit denen große Institutionen Missbrauchsfälle geheim halten wollen. Mitte August schrieb Björg eine Kolumne auf einer der meistgelesenen Nachrichtenseiten Islands, die deutliche Worte enthielt.

Sie erwähnte eine Gruppenvergewaltigung einer Frau im Jahr 2010 und prangerte an: Immer wieder würden Fußball-Nationalspieler des Landes mit häuslicher oder sexualisierter Gewalt in Verbindung gebracht, aber "das scheint keinen Einfluss zu haben auf den Erfolg dieser Männer. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit im Land." Überall nur Schweigen, ein Schützen der vermeintlichen Täter und, so Björg: "Der KSI ist natürlich verantwortlich dafür."

Der KSI, Islands Fußballverband, steht knapp drei Wochen nach dem Erscheinen der Kolumne ohne Führung da. Erst trat Präsident Gudni Bergsson zurück, dann folgte ihm der Vorstand, am Mittwoch wurde die Geschäftsführerin beurlaubt. Es geht um das Vertuschen eines angezeigten, mutmaßlichen Missbrauchsfalls durch einen Nationalspieler - ein Fall, der erst im Laufe der Debatte an die Öffentlichkeit kam. Das Ganze hat eine Eigendynamik bekommen, die die Frage aufwirft: Wie viel liegt noch im Verborgenen?

Der Verbands-Präsident irritiert mit einem Dementi - dann meldet sich ein mutmaßliches Opfer

Auf die Anschuldigungen der Oberschullehrerin meldete sich der KSI zunächst mit einer Stellungnahme. Man habe "ein starkes Interesse an der großen Anzahl von Menschen, die in diesem Land (...) Teil der Fußballbewegung sind". Und: "Der Verband bezieht eine klare Position gegen jegliche Gewalt." Würden dem Verband Vorkommnisse über Belästigung oder sexuelle Gewalt gemeldet, "wird sichergestellt, dass sie das geeignete Verfahren durchlaufen". Bei Präsident Bergsson hakte der Fernsehsender RUV dann nochmal genauer nach, dieser beteuerte: Nein, es seien keine Hinweise eingegangen, dass ein Nationalspieler eines sexuellen Übergriffs beschuldigt werde. Was er dann recht schnell widerrufen musste.

Denn nur wenig später meldete sich eine junge Frau bei dem Sender, die etliche Details parat hatte, wie der Verband offenbar tatsächlich mit Übergriffsvorwürfen in Richtung seiner Spieler umgeht. Thorhildur Gyda Arnarsdottir berichtete, wie sie im September 2017 in einem Club in Reykjavik auf einen heute noch aktiven Nationalspieler der Isländer traf. Er hätte sie am Hals gepackt und zwischen die Beine gefasst, soll auch eine weitere Frau attackiert haben.

Beide erstatteten Anzeige bei der Polizei, die Ermittlungen gingen nur schleppend voran. Ein halbes Jahr später habe der Vater des mutmaßlichen Opfers Präsident Bergsson in einer E-Mail mit den Vorfällen konfrontiert, auch Staatsoberhaupt Gudni Thorlacius Johannesson erhielt diese Nachricht. Bergsson meldete sich per Telefon und versprach, die Angelegenheit ernst zu nehmen.

Wenig später sei ein Anwalt im Auftrag des Verbandes auf Arnarsdottir zugekommen, sie sollte gegen eine Geldzahlung eine Schweigeerklärung abgeben. Sie habe abgelehnt, sagte die heute 25-Jährige in dem Interview, anschließend sei es zu einem Treffen mit dem Nationalspieler gekommen, in dem er sich entschuldigt habe. Auch Schadenersatz habe sie dann bekommen.

"Ich habe jedoch nicht erwartet, dass er wieder in die Nationalmannschaft berufen wird", sagte Arnarsdottir RUV, "weil der KSI um die Gewalt weiß und sich dafür entscheidet, Gewalttäter in seinen Reihen zu haben." Der Verband dementierte die Schilderungen mit dem ersten Anwalt, auch Bergsson gab noch eine halbherzige Entschuldigung für seine Aussage im TV ab, doch da war das Kartenhaus schon halb in sich zusammengefallen.

Aussagen über weitere mutmaßliche Missbrauchsfälle

Am Mittwoch meldete sich nun auch der Spieler selber zu Wort, Kolbeinn Sigthorsson schickte ein Statement an die Presse: Er sei nicht der Meinung, die Frau damals belästigt oder Gewalt angewendet zu haben, aber sein Verhalten sei nicht vorbildlich gewesen. Es sei später zu besagtem Treffen, einer Entschuldigung und der Entschädigungszahlung gekommen. "Ich bereue mein Verhalten immer noch", schreibt Sigthorsson, auch verstehe er, dass das Dementi des KSI Arnarsdottir aufwühlte. Noch bis Sonntag hatte er im Kader der Isländer für die anstehende WM-Qualifikation unter anderem gegen Rumänien und Deutschland gestanden. Nationaltrainer Arnar Vidarsson, seit Ende 2020 im Amt, sagte nun vor den Länderspielen, es läge nicht in seiner Verantwortung, ob der Spieler zurückkehre.

Es sind Abgründe, die sich auftun hinter der schönen Fassade Islands. Für etliche Fußballfans war die Nation der Publikumsliebling bei ihrer EM-Premiere 2016 in Frankreich, im Achtelfinale gegen England schoss Sigthorsson das entscheidende 2:1. Den Fall von Thorhildur Gyda Arnarsdottir kannte Hanna Björg noch gar nicht, als sie ihre Kolumne schrieb. Mittlerweile habe sich ein weiteres mutmaßliches Opfer einer Gruppenvergewaltigung bei ihr gemeldet. Auch Arnarsdottir sagte, sie wisse von bis zu sieben weiteren aktuellen oder ehemaligen Nationalspielern, die in Verbindung mit sexualisierten Übergriffen stünden.

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