WM-Qualifikation:Frankreich demonstriert seine Macht

2018 World Cup Qualifications - Europe - France vs Netherlands

Doppeltorschütze und noch nicht (!) für eine Rekordsumme gewechselt: Thomas Lemar von der AS Monaco.

(Foto: REUTERS)
  • Die französische Fußball-Nationalelf gewinnt in der WM-Qualifikation 4:0 gegen die Niederlande.
  • Das Spiel wirkt wie eine Machtdemonstration - und das, obwohl Kylian Mbappé erst spät eingewechselt wird und Ousmane Dembélé erst gar nicht im Kader steht.

Von Christopher Gerards

Am Ende dieses Abends ging es vor allem um Träume. Ob es ein Traumtag für ihn sei, ist zum Beispiel Kylian Mbappé am Donnerstag gefragt worden, der Mann, dessen Transfer zu Paris Saint-Germain kurz zuvor verkündet worden war - und der keine drei Stunden nach seinem Vereinswechsel mal eben ein Tor für die Nationalelf schoss. Naja, sagte Mbappé also, er wisse nicht, was ein typischer Traumtag sei, aber ein sehr schöner Tag, ja, doch, das sei es schon. Und als Didier Dechamps, Frankreichs Nationaltrainer sich dazu äußern sollte, ob das Spiel wie ein Traum gewesen sei, da sagte er: "Nicht ein Traum, aber es ging gut." Das war eine glatte Untertreibung.

Dieses 4:0 (1:0) in der WM-Qualifikation zwischen Frankreich und den Niederlanden enthielt zwei Geschichten, und beide brachten eine ordentliche Fallhöhe mit. Die eine handelt von den Niederländern, die nochmal ein bisschen mehr kriseln als ohnehin, die nun in der WM-Qualifikationsrunde auf Platz vier liegen, hinter Frankreich, hinter Schweden und, das auch: hinter Bulgarien. Die andere Geschichte handelt von Frankreich, von einer Mannschaft, die in den vergangenen Jahren immer für einen großen oder mittelgroßen Skandal zu haben war. Aber die nun einen derart berauschenden Fußball spielte, dass man nicht mal mutig sein muss, um sie als ernsthaften Kandidaten für den WM-Titel 2018 zu zählen.

"Tout bon", titelte die Sportzeitung L'Equipe am Freitag, alles gut. So konnte man das natürlich auch sagen.

Wer verstehen will, was diese französische Mannschaft auszeichnet, der muss sich nur die Statistiken und die Tore vom Donnerstag anschauen. Ein Mal schoss Holland aufs Tor, in der ersten Halbzeit hatte das Team von Dick Advocaat eine einzige (!) Ballaktion in Frankreichs Strafraum. Die Franzosen dagegen führten ein Lehrstück des Offensivfußballs auf, sie zeigten Angriffe, die wie eine Leuchtrakete in Richtung der Konkurrenten wirkten. Hallo, ihr lieben Spanier, Deutschen und Brasilianer, ihr seid zwar ganz gute Mannschaften. Aber so wie wir müsst ihr erst mal spielen.

Das begann schon nach 13 Minuten, als Antoine Griezmann einen Doppelpass mit Olivier Giroud spielte und Hollands Abwehr aussehen ließ wie einen Haufen unterdurchschnittlicher Kreisligaverteidiger. Er tunnelte Jasper Cillessen, schon stand es 1:0. Und nachdem Kevin Strootman nach 62 Minuten (unberechtigterweise) Gelb-Rot sah, sezierte Frankreich die Niederländer noch erbarmungsloser. Thomas Lemar sah in der 72. Minute eine verunglückte Kopfballabwehr auf sich zufliegen. Volley schoss er vom Strafraum und unterschnitt den Ball derart fachgerecht, dass es eine Beleidigung gewesen wäre, wenn der Schuss nicht in den Winkel gerauscht wäre. Anstandshalber sprang Cillessen noch hinterher, aber vermutlich nur, damit das Tor noch formvollendeter aussah. Halten konnte er den Ball eh nicht.

Und als Lemar dann nach einem Konter und nach Vorlage von Griezmann das 3:0 erzielte, warf das vor allem eine Frage auf. In diesem Sommer wird ja viel über die Wahnwitzigkeit des Transfermarkts gesprochen, aber ist das nicht die größte Irrationalität: dass noch niemand diesen 21 Jahre alten Außenstürmer des AS Monaco für 120 oder wievielauchimmer Millionen Euro gekauft hat? Dazu muss man wissen: Liverpool und der FC Arsenal sollen Interesse gehabt haben, konnten den Transfer aber am letzten Tag des Transferfensters nicht mehr realisieren. Dieser Abend kannte eben auch Verlierer.

10:1 als Ergebnis? Wäre angemessen gewesen

Mit Mbappé schoss dann ein Profi das 4:0, der bis wenige Stunden vor Anpfiff noch für Monaco gespielt hatte, aber unter eigenwilligen Bedingungen nach Paris gewechselt war - auf Leihbasis und mit Kaufoption im kommenden Jahr über 180 Millionen Euro (Financial Fairplay!).

Die Volkskrant lag jedenfalls vollkommen richtig, als sie schrieb, dieses Spiel hätte auch 10:1 ausgehen können. 16 Punkte hat Frankreich nun, drei mehr als Verfolger Schweden, und es muss schon viel passieren, dass die Franzosen sich nicht für die WM qualifizieren bei drei ausstehenden Spielen. Wer den Kader durchgeht, kommt gar nicht vorbei an der Frage, wie diese Mannschaft im Juni gegen Schweden hatte verlieren können (Antworten: Naivität und ein Torwartfehler).

Es wirkt, als wäre Frankreich das neue Deutschland, eine Auswahl mit endlos vielen Talenten und/oder fast vollendeten Spieler. Da ist der wuchtige Paul Pogba, im vergangenen Sommer für 105 Millionen zu Manchester United gewechselt. Da sind die Dribbler Mbappé und Lemar und Griezmann, da ist Dembélé, der mal eben für 105 Millionen und hohen Bonuszahlungen vom BVB nach Barcelona ging. Und da sind auch noch Verteidigungskünstler: N'Golo Kanté vom FC Chelsea oder Arsenals Laurent Koscielny.

Es ist die Geschichte einer großen Erneuerung. Vor Jahren handelten die Schlagzeilen über die Equipe tricolore ja noch von einer Mannschaft, die sich in schöner Regelmäßigkeit selbst zerlegte. 2008 und 2010 schied sie als Gruppenletzter in den Vorrunden von EM und WM aus. Es ging um Auseinandersetzungen zwischen Spielern und Trainern, um eine Mannschaft, die zwar herausragende Profis aufwies wie Ribéry, Benzema oder Malouda - die aber nicht mal im Ansatz in der Lage war, einen Titel zu gewinnen.

2012 trat Didier Dechamps als Trainer an, und mal abgesehen davon, dass das Schicksal und eine neue Jugend-Strategie ihm Europas größte Talente in den Kader warfen, gelang es ihm, eine funktionierende Mannschaft aufzubauen. 2014 schied sein Team bei der WM im Viertelfinale nur knapp gegen Deutschland aus; 2016 verpasste es erst im Finale den EM-Titel gegen Portugal.

Und nun? Ob er sich an ein französisches Team erinnere, das derart reich an Offensivpotenzial gewesen sei wie das jetztige, ist Dechamps noch gefragt worden. "Frankreich hatte immer sehr große Offensivspieler", sagte Dechamps also, Michel Platini etwa, Thierry Henry oder David Trezeguet; man solle nun nicht anfangen, seine Spieler "mit anderen zu vergleichen, die sieben, acht, zehn Jahre gespielt haben und Titel gewonnen haben". Aber er sagte auch diesen Satz: "Es gibt viel Qualität. Ich werde mich nicht über diese Fülle beschweren."

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