Englisches Nationalteam:Hurra, ein Länderspiel!

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Erzielte das erste englische Tor gegen Albanien: Harry Maguire. (Foto: Glyn Kirk/AFP)

Früher galten Auftritte für die Three Lions für Englands Fußballer als lästige Pflicht - jetzt umgibt das Nationalteam eine Art Heilklima. Warum treten Maguire und Co. viel befreiter auf als in ihren Klubs?

Von Sven Haist, London

So richtig entscheiden konnte sich Harry Maguire nicht, ob er nun seine Hände an die Ohren halten oder doch eher seine Finger in die Ohren stecken sollte. Am liebsten hätte er wohl beides gleichzeitig getan, um einerseits die Zuneigung der Fans zu genießen, andererseits aber seinen Skeptikern zu signalisieren, dass er die harsche Kritik an seinen Klubleistungen für Manchester United nicht klaglos zur Kenntnis nehmen will. Weil sich beide Bewegungen zur selben Zeit allerdings nicht miteinander in Einklang bringen ließen, führte sie Maguire in der Freude über seinen Führungstreffer für England (9. Minute/Kopfball) beim 5:0 über Albanien, das die fast sichere Qualifikation für die Winter-WM 2022 in Katar bedeutet, hintereinander auf: zunächst offene Ohren für die Fans, dann geschlossene Ohren für die Nörgler.

Allerdings gab es kurz darauf wiederum etwas auf die Ohren von Maguire, als der frühere United-Mittelfeldbösewicht Roy Keane in der Halbzeitpause am ITV-Mikrofon den Versuch, mit dieser Geste seine Kritiker zum Schweigen zu bringen, als "peinlich" abwertete. Zu seiner Verteidigung bekannte Maguire später, sein Jubel sei an "niemanden" adressiert gewesen. Das kleine Scharmützel legte sich erst zu den Akten, nachdem Nationaltrainer Gareth Southgate seinem Abwehrchef zur Seite gesprungen war, indem er dessen Handzeichen die Schärfe nahm - mit einem Vergleich zum US-amerikanischen Wrestler Hulk Hogan, der einst diesen Hand-zum-Ohr-Wink geprägt hatte.

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"Ist er ein Hulk-Hogan-Fan?", witzelte Southgate auf der Pressekonferenz, um daraufhin einen flammenden Appell für seinen Spieler zu halten. Maguire sei wegen seines "großen Gewissens" in einigen Partien aufgelaufen, obwohl er bei diesen infolge einer Wadenblessur "nicht ganz fit" gewesen sei. Davor habe er, Southgate, "großen Respekt", weil sich die meisten Profis in einer ähnlichen Situation "im Behandlungsraum" versteckt hätten.

Im Nationaltrikot gelingt es Torwart Pickford, sein Potential abzurufen - im Verein eher nicht

Die Episode um den zuletzt stark gerüffelten und nun nahezu freigesprochenen Maguire liefert einen Einblick ins Innenleben des englischen Nationalteams. Vor nicht allzu langer Zeit galten die Zusammenkünfte der Three Lions den internationalen Spitzenprofis des Kaders als beinahe lästige Pflicht, die jeder hinter sich zu bringen hatte, um dann wieder zu den jeweiligen Vereinen zurückkehren zu können. Das ramponierte Ansehen des Verbands hat sich jedoch mit dem Amtsbeginn von Southgate im Herbst 2016 sukzessive verändert.

Mittlerweile umgibt die Nationalelf ein regelrechtes Heilklima, das fast homöopathische Wirkung auf einige Spieler zu besitzen scheint. Denn der Torreigen im Duell mit den bemitleidenswerten Albanern, deren letzte Chance auf die WM-Qualifikation im Wembley jäh zu Ende ging, hat nicht nur Maguire eine Kur vom gerade mühevollen Premier-League-Alltag verschafft, sondern auch Tormann Jordan Pickford, Angreifer Raheem Sterling und Kapitän Harry Kane.

Im Vergleich zum tristen Dasein beim meist hinter den Erwartungen zurückbleibenden FC Everton gelingt es Pickford im Nationaltrikot, sein Potential abzurufen. Durch eine sehenswerte Parade im Duell mit dem plötzlich frei vor ihm auftauchenden Myrto Uzuni verhinderte er frühzeitig den Ausgleich. Das (zu) forsche Auftreten der Albaner eröffnete England ungeahnte offensive Freiheiten. Der bei Meister Manchester City in dieser Saison nicht mehr zum Stammpersonal gehörende Sterling tobte sich dabei ebenso aus wie Dreifachtorschütze Kane (18./33./45.+1). Dem Mittelstürmer gelangen nach knapp einem Monat und 518 torlosen Minuten bei Tottenham Hotspur wieder die ersten Treffer und ein sehenswerter Assist für Jordan Henderson (28.).

In der Vorbereitung aufs Spiel hatte sich Kane erstmals nach seinem verpassten Sommerwechsel nach Manchester den Frust von der Seele geredet, als er die "bittere Enttäuschung" des verlorenen EM-Finals mit England erwähnte sowie die damit einhergehende "physische und mentale" Müdigkeit. Auch "der Umgang mit den Gerüchten um seine Zukunft" hätte ihm zugesetzt. Sein "lupenreiner Hattrick", wie die Times schrieb, weil er nacheinander mit dem Kopf sowie dem linken und rechten Fuß traf, könnten ein Neustart für ihn in die Saison sein.

Es läuft gut - als Belohnung wird Southgate eine Vertragsverlängerung bis 2024 offeriert

Mit jetzt 44 Länderspieltreffern fehlen Kane nur noch sieben Tore, um zum Rekordhalter Wayne Rooney aufzuschließen. "Krise? Welche Krise?", titelte das Boulevardblatt Sun und schmachtete: "Wenn wir doch nur alle diese Art von Krise erleben könnten, unter der Harry Kane leidet." So einfach wollte Kane mit der kürzlichen Berichterstattung über ihn allerdings nicht Frieden schließen und betonte, dass er für die Medien immer bloß dann "gut drauf" sei, wenn er Tore schieße.

Die vorzeigbaren Leistungen der etablierten Spieler dürften Southgate in seiner Loyalität zu ihnen bestätigt haben. Zu seinen Grundsätzen als Nationaltrainer gehört bislang, dass er bei seiner Personalauswahl stets das beste Team aufstellt und nicht die besten Einzelspieler. Der frühere Dortmunder Jadon Sancho, 21, bekommt das am meisten zu spüren, diesmal ist er sogar nicht mal mehr nominiert worden. Stattdessen kam mit Arsenals Emile Smith Rowe, 21, bereits der 48. Spieler unter Southgate zu seinem England-Debüt.

Die Ergebnisse geben ihm Recht: In drei Jahren hat England nach regulärer Spielzeit nur drei Partien verloren, 21 der vergangenen 28 Spiele ohne Gegentor absolviert. Als Belohnung wird Southgate gerade eine Vertragsverlängerung bis Sommer 2024 offeriert. Doch die möchte er offiziell erst annehmen, wenn sein Team am Montag im abschließenden Gruppenspiel beim Tabellenletzten San Marino die WM-Teilnahme perfekt gemacht hat. Dazu reicht England ein Unentschieden. Danach geht es für die Spieler wieder zurück zu ihren Klubs - auch wenn einige von ihnen vermutlich lieber noch ein bisschen beim Nationalteam bleiben würden.

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