WM-Qualifikation:Die größte Eruption in Island seit dem Eyjafjallajökull

WM-Qualifikation: In Island wird wieder geklatscht: Noch nie war ein kleineres Land für eine Fußball-WM qualifiziert.

In Island wird wieder geklatscht: Noch nie war ein kleineres Land für eine Fußball-WM qualifiziert.

(Foto: AP)

Von Ulrich Hartmann

Am Montagabend um 20.36 Uhr Ortszeit ist in Island der Vulkan Laugardalsvöllur ausgebrochen. Das Laugardalsvöllur ist eigentlich nur das Fußballstadion in der Hauptstadt Reykjavík, aber diesmal schwappte dort die Euphorie über und ergoss sich wie Lava über die eiskalte Insel. Islands Fußballteam sorgt für die massivsten Eruptionen seit Eyjafjallajökulls, das ist jener Vulkan, der vor sieben Jahren mit seiner Asche den Flugverkehr über halb Europa lahmlegte.

Mittlerweile beeinträchtigen die Fußballer auch die Perspektiven mancher Kontrahenten auf dem Kontinent. 2016 sorgten sie für Jammern und Wehklagen in den Niederlanden und qualifizierten sich erstmals für eine Europameisterschaft. In Frankreich schalteten sie dann auf dem Weg ins Viertelfinale Österreich und England aus.

Erfolg mit Ablaufdatum?

Nun distanzierten sie in ihrer Gruppe die Ukraine und die Türkei und sicherten sich am Montagabend mit einem 2:0 gegen Kosovo die erste Teilnahme an einer WM. Man kann von einer goldenen Generation sprechen: Sie hatte sich 2011 zum einzigen Mal für die U 21-EM qualifiziert, war 2013 erst in den Playoffs gegen Kroatien an der WM-Qualifikation für Brasilien gescheitert und erobert nach der EM 2016 nun auch die WM 2018.

Island flippt aus - und genießt den Augenblick. Denn die besten Spieler gehen auf die 30 zu. Die seit Jahren unveränderte Mannschaft wird langsam alt. Vielleicht erkaltet Laugardalsvöllur demnächst wieder für längere Zeit. Doch als am Montag der Schlusspfiff ertönte, explodierte zunächst einmal ein farbenprächtiges Feuerwerk am stockdunklen Regenhimmel. Die Spieler herzten sich, das Publikum klatschte sich die Hände wund, und natürlich zelebrierten sie gemeinsam das immer schneller werdende "Huh!". Dieses Ritual hat die Isländer in Frankreich berühmt gemacht und wird seither von Fangruppen in ganz Europa als Hommage aufgeführt.

Sogar Ronaldo jammerte nach einem Spiel gegen Island

Der Fußball der Isländer ist zwar weder schön noch elegant, aber sie spielen leidenschaftliches Pressing und blitzschnelle Konter. Sie blühen auf, wenn sie im Nationaltrikot stecken - in ihren ausländischen Klubs spielen viele keine exponierte Rolle. Nächstes Jahr in Russland werden sie von vermeintlich übermächtigen Gegnern bestimmt wieder aufs Herrlichste diskreditiert werden. Als die Isländer bei der EM 2016 dem späteren Europameister Portugal ein 1:1 abgetrotzt hatten, jammerte Cristiano Ronaldo, die isländische Blockadetaktik zeuge von "geringer Mentalität" und sei zum Scheitern verurteilt. Als sie im Achtelfinale England 2:1 besiegt hatten, spottete die Times, man sei gedemütigt worden von einem Land "mit 330 000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt".

Wenn er nicht gerade seine Nationalspieler um sich hat, arbeitet der Trainer Heimir Hallgrímsson tatsächlich in seiner Zahnarztpraxis auf dem südlich von der Hauptinsel gelegenen Eiland Vestmannaeyjar. Hallgrímsson ist mittlerweile allein zuständig; bis zur EM 2016 hatte er Islands Fußball noch gemeinsam mit dem Schweden Lars Lagerbäck revolutioniert.

Nirgends ist die Dichte an Jugendtrainern mit Fifa-Lizenz höher

Sie profitierten dabei auch von einem Masterplan: Nirgends ist die Dichte an Jugendtrainern mit Fifa-Lizenz pro Einwohner so hoch wie auf Island. Und diese trainieren nun immer mehr Spieler auf immer mehr Indoorplätzen - denn unter freiem Himmel kann man in Island monatelang gar nicht trainieren. Der langfristige Wert dieses Investments aber wird sich erst zeigen, wenn sich die gegenwärtige Generation zur Ruhe setzt. Im aktuellen Team ist keiner jünger als 24, die U 21 hat sich seit 2011 nicht mehr für die Junioren-EM qualifiziert. Die Vorbildfunktion der Helden für den Nachwuchs wird dringend gebraucht.

Wales und Ungarn, neben Island die anderen beiden Überraschungsteams bei der EM 2016, sind nun an der WM-Qualifikation gescheitert. Islands Aufstieg in die Weltelite setzt sich fort. Im Juni 2012 noch auf Platz 131 der Weltrangliste (zusammen mit Burundi; hinter Äthiopien und Surinam), haben sich die Isländer auf Rang 22 vorgearbeitet.

Aber sie erringen ihre Erfolge anders als die großen Fußball-Nationen, mit mehr Kampf, mit mehr Laufarbeit, mit mehr Glück des Tüchtigen. In zehn Qualifikationsspielen kamen sie im Schnitt nur auf 44 Prozent Ballbesitz, brachten bloß 78 Prozent ihrer Pässe an den Mann, erzielten bloß 16 Tore. Mit solchen Daten wird man eigentlich nicht Gruppensieger. Aber Islands Fußball ist für Kontrahenten wie die Insel, von der er stammt: schroff, unwirtlich und trotzdem faszinierend.

Das kleinste WM-Land

Und so wird Island in Russland die kleinste Nation sein, die je an einer WM teilnahm. Trinidad und Tobago, 2006 in Deutschland dabei, hat mit 1,2 Millionen Einwohnern fast viermal so viele. Sechs von zehn Isländern leben in der Hauptstadt Reykjavík, jener Stadt, in der Montagnacht auf dem zentralen Platz namens Ingólfstorg die Fußballer auf einer Bühne standen und mit den Fans um die Wette jubelten. Auf diesem Platz haben die Isländer ihr Public Viewing während der EM veranstaltet, hier werden sie auch nächstes Jahr ihre Helden bei der WM anfeuern.

Gylfi Sigurdsson vom FC Everton, Birkir Bjarnasson von Aston Villa, Johan Gudmundsson vom FC Burnley und Alfred Finnbogason vom FC Augsburg sind vier Konstanten dieser Mannschaft, sie waren schon dabei, als Islands U 21 den DFB-Junioren um Kapitän Mats Hummels mit einem 4:1 die EM-Teilnahme 2011 vermasselte. Und vielleicht sieht man sich in Russland ja wieder. Diese Isländer wünscht sich keine große Fußball-Nation in ihrer WM-Gruppe.

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