WM-Qualifikation:Die Bombonera als letzte Hoffnung für Argentinien

FBL-ARGENTINA-BOCA JUNIORS-CENTENARY

Die Stimmung im "Bombonera" soll Argentinien zur WM-Qualifikation treiben.

(Foto: ag.afp)
  • Das argentinische Nationalteam zittert um die WM-Qualifikation für Russland 2018.
  • Für das Heimspiel gegen den direkten Konkurrenten Peru zieht das Team in das berüchtigte Stadion "La Bombonera" von den Boca Juniors um.
  • Es wird eine frenetische Stimmung erwartet, Messi und co. stehen unter Druck.

Von Javier Cáceres

Die Geschichte, der Aberglaube und die Stadien spielen ihre Rolle im Fußball. Doch egal wie oft man sie bemüht, die Wahrheit bleibt stets: In keinem Spielbericht sind sie je als Torschützen aufgetaucht. Und dennoch ist vor dem vorletzten Spieltag der Qualifikationsgruppe Südamerika von alledem wieder die Rede; von paranormalen Phänomenen und der Empirie, von der Historie und der angeblich einschüchternden Macht der Bühnen, von Mythen und göttlichem Beistand, Duplizitäten von Ereignissen und, und, und.

Denn im Kampf um die Tickets für die Fußball-WM in Russland 2018 geht es - außer für das bereits qualifizierte Brasilien sowie die ausgeschiedenen Teams aus Bolivien und Venezuela - um exakt: alles.

Argentinien und Peru kennen sich

Vor allem vor der Partie zwischen Argentinien und Peru an diesem Donnerstag (20.30 Uhr Ortszeit/Freitag 1.30 Uhr deutscher Zeit) ist erstaunlich wenig vom Fußball im engeren Sinne die Rede, dafür aber außerordentlich viel von den Randerscheinungen. Als wäre Lionel Messi, der weltbeste Fußballer mindestens seiner Zeit, gar nicht zugegen. Stattdessen sind zwei Jahreszahlen, 1969 und 1985, zu den alles bestimmenden Chiffren geworden.

1969, weil Argentinien damals ausgerechnet gegen Peru zum bislang einzigen Mal in seiner Geschichte eine WM-Qualifikation versemmelte (auf die Teilnahme an der WM 1950 hatte man verzichtet). 1985, weil sich die Argentinier damals durch den späten Ausgleich von Ricardo Gareca gegen Peru (Endstand 2:2) für die WM 1986 in Mexiko qualifizieren konnten, die dann ein gewisser Diego Maradona im Alleingang gewinnen sollte.

Ebendieser Gareca, der übrigens trotz seiner Heldentat für die WM 1986 nicht berufen wurde, ist heute nicht nur 59 Jahre alt, sondern auch und vor allem: Perus Trainer. Womit wir bei der Duplizität der Ereignisse und der Geschichte wären. Denn als Argentinien im Oktober 1969 durch ein 2:2 gegen Peru die Qualifikation für Mexiko 1970 verpasste, war ein Mann peruanischer Nationaltrainer, der (im Jahr 1957) ebenfalls ein Tor geschossen hatte, das Peru eine WM-Teilnahme kostete; er also als Trainer wiedergutmachte, was er den Peruanern als Spieler genommen hatte: Valdir Pereira alias Didí, der 1958 und 1962 mit Brasilien Weltmeister wurde.

"Bombonera" und das Nationalteam

Das 2:2 von 1969 war von solch traumatischem Nachhall, dass der Ort des Geschehens, die mythische "Bombonera" von Maradonas Lieblingsklub CA Boca Juniors, nur noch sporadisch für Spiele der Nationalmannschaft genutzt wurde. Und das, obwohl in keinem Stadion der Welt ein Ambiente fabriziert wird, das einschüchternder wäre als das der "Pralinenschachtel" im Boca-Viertel von Buenos Aires. Das Hüpfen der Zuschauer auf den steil aufragenden Tribünen, die nur vier Meter von der Spielfeldumgrenzung entfernt sind, lässt nicht nur das Gemäuer wie bei einem Erdbeben erzittern, sondern auch den Rasen.

Julio Meléndez, eine frühere peruanische Boca-Legende und mit der Bombonera bestens vertraut, hielt dieser Tage für seine Landsleute - bezüglich der Statik der Bombonera - eine beruhigende Bemerkung bereit: "Das Spielfeld neigt sich nicht." Ansonsten aber galt schon damals, dass dort prinzipiell alles passieren kann.

Und alles zählt. Oswaldo "Cachito" Ramírez, 1969 Schütze der beiden Tore Perus, erzählte, dass Trainer Didí dem Stürmer Pedro León auftrug, die Hose mit einer Schere anzureißen: "Wenn es in den ersten 20 Minuten zu heiß wird, machst du sie dir ganz kaputt und ziehst sie aus, um das Ambiente abzukühlen", lautete Didís Auftrag. In der Kabine hatten die Spieler dem "Herrn der Wunder" Kerzen aufgestellt - der Señor de los Milagros ist in Peru auch deshalb berühmt, weil ein Bildnis von ihm das Beben, das im Jahre 1655 Lima zerstörte, ohne Kratzer überstand. Und so dürfte sich die Frage erübrigen, ob sich derlei wiederholt. Denn die Bombonera ist seit 1969 eher angsteinflößender geworden.

Für Argentinien geht es um alles

Dennoch ist der Umzug in die Bombonera in Argentinien ein Ereignis. Denn: Der quasi einzige Ort, an dem Argentiniens Nationalelf bei Heimspielen seit 1978 aufgetreten war, ist das Estadio Monumental von Bocas Erzrivalen CA River Plate, das eine Laufbahn hat, mithin nicht so eng ist wie die Bombonera. Zuletzt gab es dort aber nur ein 1:1 - gegen das Fußball-Drittweltland Venezuela.

Argentinien belegt in Südamerika seither nur den fünften Tabellenplatz, der immerhin eine Playoff-Runde gegen den Ozeanien-Vertreter (wahrscheinlich Neuseeland) ermöglicht. Peru wiederum ist mit besserem Torverhältnis und der gleichen Punktzahl Tabellenvierter; Chiles Nationalelf, die mit Bayern-Profi Arturo Vidal, aber ohne den Leverkusener Charles Aránguiz Ecuador empfängt, liegt einen Punkt dahinter. Für die Argentinier geht es also wirklich um alles, nach einer bislang vor allem in den Heimspielen enttäuschenden Qualifikation.

Kempes: "Die verlaufen sich auf dem Rasen mehr als ich mich in New York."

Auf argentinischem Boden haben sie nur neun Tore erzielt und zehn von 15 möglichen Punkten geholt. Lionel Messi gelangen bislang vier Tore, eins weniger als Perus Stürmer Paulo Guerrero. Insgesamt kommen die Argentinier auf 16 Tore, nur Bolivien traf seltener (14). Kein Wunder, sagt der argentinische Weltmeister von 1978, Mario Kempes: "Die verlaufen sich auf dem Rasen noch mehr als ich mich in New York." Das wiederum ist auch darauf zurückzuführen, dass Jorge Sampaoli schon der dritte Coach Argentiniens in der laufenden Qualifikationsrunde ist. Mehr Trainer hatte Argentinien in nur einer Quali-Phase: vor der WM 1970.

All das hat in Argentinien die Überzeugung wachsen lassen, dass elf Mann nicht reichen, der zwölfte Mann par excellence her muss: "La 12", das heißt: die berüchtigte, brutale Fan-Gruppierung der Boca Juniors, "die 12". Wie keine andere sorgt sie seit Jahren für Skandale bis hin zu Morden, aber eben auch für: Stimmung. Der Präsident von Boca Juniors, Daniel Angelici, soll der "12" beim Verband 4000 Tickets besorgt haben, die Hälfte davon dürfen sie laut Tiempo auf dem Schwarzmarkt verhökern. Für den Kassenwart der "12" bedeutet das eine Rieseneinnahme; das billigste Ticket kostete regulär 45 Euro.

Die Boca-Ultras versprachen, mit dreimal mehr Trommeln ins Stadion zu gehen als üblich, es dürfte also infernalisch laut werden. Nervös ist Angelici dennoch: "Ich habe für euch gekämpft, jetzt müsst ihr für mich kämpfen. Feuert an, bringt die Bombonera zum Platzen. Aber macht mir keinen Ärger", flehte er die Bosse der "12" an.

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