WM-Qualifikation:Deutschland gegen San Marino - muss das sein?

San Marino - Deutschland

Mats Hummels (mi.): Erlebte kein Highlight-Spiel gegen San Marino

(Foto: dpa)

Einseitige Fußballspiele wie diese führen zu der Diskussion: Sollen sich sehr gute und sehr schwache Teams immer wieder messen müssen? Mats Hummels und Thomas Müller äußern sich eindeutig.

Von Martin Schneider, Serravalle

Die Sinnfrage ist eine der größten, vielleicht die größte Frage der Menschheit: Warum das alles? Joachim Löw war immerhin wieder trocken, als er sie beantworten musste. 93 Minuten lang hatte er im unaufhörlichen Regen von Serravalle in San Marino darüber sinnieren können: Warum das alles? Warum muss ich hier sitzen, in einem dicken Kapuzen-Anorak, werde von den Fernsehkameras gezeigt, wie ich mal missmutig gucke und muss zudem meine Spieler in ein Spiel hinausschicken, das im Prinzip kein richtiges Fußballspiel ist? Ein Fußballspiel gegen San Marino, das nicht in 99 von 100, sondern wirklich in 100 von 100 Fällen Deutschland gewinnt. Diesmal 8:0, die letzten Male 6:0 und 13:0.

Also Herr Löw, schmieriger Platz, 5000 Zuschauer, Spiel nach neun Minuten entschieden. Ist es sinnvoll, dass Deutschland gegen San Marino (31 000 Einwohner) spielt? "Dazu hab' ich mich in der Vergangenheit schon mal geäußert. Es macht auch keinen Sinn, das jetzt zu diskutieren. San Marino ist dabei, wie einige andere auch, und solche Spiele muss man dann auch machen." Immerhin sei es doch schön, dass ein Serge Gnabry mit drei Toren in seine Nationalmannschaftskarriere starten könne. Sprach der Bundestrainer und ging in den Bus.

Löw forderte vor Jahren eine "Vorqualifikation"

In der Vergangenheit hatte sich der Bundestrainer tatsächlich schon mal geäußert. 2013 war das, damals musste die Nationalmannschaft zweimal gegen die Färöer-Inseln antreten: "Der Terminkalender ist übervoll, da wäre Abhilfe nötig. Ob es aus sportlicher Sicht Sinn ergibt, zweimal gegen Länder wie Kasachstan, Andorra, San Marino oder die Färöer anzutreten, darüber kann man schon diskutieren", sagte er dem kicker, und ob es sportlich sinnvoll ist, das war eine rhetorische Frage. "Ich persönlich bin für die Einführung einer Vorqualifikation", war seine Forderung.

Seine leitenden Angestellten Mats Hummels und Thomas Müller äußerten sich am Freitagabend deutlicher als ihr Chef. "Man kann schon sagen, dass es in ein oder zwei Zweikämpfen eher die Priorität war, sich nicht zu verletzen, als mit allen Mitteln einen Ballgewinn zu erzielen", sagte Hummels und meinte mit "ein oder zwei" vermutlich alle Zweikämpfe. Thomas Müller sagte: "Bei solchen Spielen und Verhältnissen auf solch schmierigem Platz ist man einer Gefahr ausgesetzt, die vielleicht nicht nötig ist." Das Spiel werde in der Highlightliste seiner Karriere nicht vorkommen, meinte er sarkastisch. Seit Jahren würden die Profis klagen, dass das Pensum massiv sei, meinte er dann noch sehr ernst.

Man muss Hummels und Müller zugutehalten, dass sie diejenigen sind, die sich am ehesten beschweren dürfen: Sie sind die beiden deutschen Feldspieler mit den meisten Einsätzen, vergangene Saison kam Müller auf 63 Spiele, Hummels auf 61, nur Torwart Manuel Neuer kommt auf noch mehr. Auch in dieser Saison spielen Hummels und Müller quasi durch.

Auch der DFB-Pokal könnte reformiert werden

Die Diskussion über Belastung im Profifußball und den Sinn und Zweck solcher Spiele von sehr stark gegen sehr schwach wird schon länger auf mehreren Ebenen geführt. Konkrete Schritte gibt es bereits in der Champions League, wo ab der Saison 2018/19 die vier europäischen Top-Ligen vier fixe Startplätze für die Gruppenphase bekommen und es somit für die Malmös, Maribors und auch Glasgows dieser Welt schwerer wird, sich zu qualifizieren. Das wird allerdings die Belastung nicht reduzieren, eher erhöhen, da man dann statt gegen einen potenziell schwächeren Gegner ein Spiel mehr gegen einen stärkeren Gegner spielen muss.

Anders sieht es in der ersten Runde des DFB-Pokal aus, wo die Landespokalsieger auch mal aus der fünften Liga kommen können und auf ein Spiel gegen Bayern München hoffen. Dort ist eine Reform noch in der Diskussions-Phase. "Wir wollen mögliche Änderungen am Pokal-Modus erörtern", sagte im April Liga-Präsident Reinhard Rauball, der die Interessen der Profi-Vereine vertritt. Das Argument: Die Pokalrunde finde noch vor dem ersten Spieltag statt und die zusätzliche Zeit könnten die Klubs zum Beispiel in die Auslandsvermarktung investieren und die China-Reise noch eine Woche länger planen. Es gibt im DFB erbitterte Gegner dieser Idee, aber Präsident Reinhard Grindel sagte, man werde es wenigstens "ergebnisoffen diskutieren".

Die Belastung im Fußball steigt jedenfalls, das ist nachweisbar. Es gibt mehr Pflichtspiele als früher, die Spieler rennen zwölf Kilometer statt wie in den Siebzigerjahren sechs bis sieben, und die Läufe werden nachweislich immer intensiver. Auch die Anzahl der Muskelverletzungen steigt laut einer medizinischen Studie des europäischen Fußballverbandes Uefa mit Daten diverser Top-Klubs in den vergangenen Jahren an. Aber würde man die Belastung wirklich entscheidend reduzieren, wenn man ausgerechnet die Spiele gegen die schwächsten Gegner streicht?

San Marino schickte 50 Männer und Jungs auf den Platz

In San Marino saßen auf der Haupttribüne ein paar hundert Grundschulkinder, sie sind ausgerastet, als die deutsche Mannschaft aufs Feld lief. Zum Aufwärmen schickte San Marino vermutlich alle verfügbaren Nachwuchsspieler auf den Platz, fast 50 Männer und Jungs in hellblauen Trainingsanzügen standen in der Spielhälfte, damit sich jeder wenigstens mal auf dem selben Rasen warmgemacht hat wie Müller, Götze und Gündogan. Auch im DFB-Pokal sind Spiele gegen Bayern, Dortmund, Schalke der Höhepunkt in der Vereinschronik.

Das kann man belächeln. Es geht aber in der Diskussion, ob man nun gegen San Marino oder gegen den SV Drochtersen/Assel spielen muss, auch ein bisschen um die Seele des Fußballs. Will der Profi-Betrieb die letzten wirklichen Kontakte zur Basis auch noch verlieren? Um noch zwei, drei Wochen im Rahmenterminkalender rauszuschlagen, um das Produkt weiter zu optimieren? Oder ist es angesichts der sowieso schon weit fortgeschrittenen Ökonomisierung naiv, so zu argumentieren? Muss man einem Thomas Müller dann erklären, er habe sich eine Außenbandverletzung auf dem rutschigen Rasen von Serravalle aus fußballromantischen Gründen zugezogen?

An den Spielen gegen San Marino, Färöer oder Gibraltar wird sich vorerst nichts ändern. Eine Reform der Qualifikation steht nicht auf der Agenda.

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