WM 2010: Philipp Lahm:Nix Leitbulle - es dirigiert Kollege Kapitän

Der neue Kapitän Philipp Lahm ist kein Anführer im Stile Ballacks, er sieht sich als Erster unter Gleichen. Das ist ein Novum in der deutschen WM-Geschichte.

Ludger Schulze

Die Verkündigung der Ernennung von Philipp Lahm zum Kapitän der deutschen WM-Elf hätte Züge einer kaiserlichen Krönungsmesse gehabt, wenn man sich den pfiffigen Rechtslinksverteidiger des FCBayern dabei nicht in natura vorgestellt hätte. Lahm mit seinen 1,70 m Größe ist in der langen, bedeutenden Reihe der Mannschafts-Vorsteher der drittkleinste (Uwe Seeler 1,69 m, Berti Vogts 1,68 m). Aber er wird, sollte das südafrikanische Abenteuer ein vorzeitiges, unrühmliches Ende nehmen, einer der wichtigsten sein.

Philipp Lahm Kapitän WM 2010 Deutschland, dpa

Erster unter Gleichen: Deutschlands Kapitän Philipp Lahm steht für den Kollegialstil.

(Foto: dpa)

Elf Vorgänger hat Lahm in der Position des WM-Spielführers gehabt, fast jeder prägte Auftreten und Spielstil seiner Zeit. Angefangen 1934 mit dem blonden Schalker Fritz Szepan, der sich zeitweise mit dem Reichstrainer Nerz überworfen hatte, weil ihm dessen Taktik zu defensiv erschien. Sein Nachfolger Fritz Walter hätte niemals die Autorität von Bundestrainer Sepp Herberger in Zweifel gezogen. In den Jahren nach dem großen Krieg herrschte noch eine pseudo-militärische Ordnung in der Truppe. Weltmeister Walter war der einzige Kapitän, der auch als Regenmacher erfolgreich war. Der brillante Regisseur gilt als Erfinder des Fritz-Walter-Wetters.

Franz Beckenbauer war der erste Kapitän, der gegen die strenggescheitelte DFB-Kamarilla aufmüpfte und schließlich, als die WM im eigenen Land nach einem 0:1 gegen die, Sie erinnern sich, DDR den Rhein hinunterzugehen drohte, dem Bundestrainer Schön die (veränderte) Aufstellung in die Taktiktafel diktierte.

Wie Beckenbauer (1974) wurde auch Lothar Matthäus Weltmeister (1990), weil er ein guter Fußballer war. Von seinen Leistungen als Kapitän aber ist nur noch eine Schiffchenfahrt mit der damaligen Ehegattin auf dem Comer See in Erinnerung. Ihm folgte Jürgen Klinsmann nach, ein glühender, beinahe diktatorischer Verfechter des Team-Gedankens, so lange seine ego-gesteuerten Alleingänge toleriert wurden. Zuletzt hatte Michael Ballack dieses "Amt" inne, ein Anhänger des hierarchischen Umgangs.

Der Capitano als Chef, sein Kumpel Torsten Frings als Capo, dann all die anderen.

Auch Philipp Lahm hat bei der EM 2008 gegen Ballacks Leitbullen-Ordnungspolitik aufbegehrt. Der neue Kapitän sieht sich als primus inter pares, er steht für flache Hierarchien. Ein solcher Kollegialstil ist ein Novum in der deutschen WM-Geschichte. Auch dort darf man ruhig mehr Demokratie wagen.

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