WM 2010: Philipp Lahm:Die Ungunst der Stunde

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Nach der Niederlage gegen Spanien hat sich die Stimmung für Spielführer Philipp Lahm gedreht. Wie er versucht, die Kapitäns-Debatte einzufangen - und seine Position trotzdem zu behaupten.

Christof Kneer

Nach einer Nacht voll Schlaf sah Philipp Lahm immer noch aus wie am Abend zuvor. Er saß dort droben auf dem Podium im Pressesaal des Mannschaftshotels, aber er war immer noch angefüllt mit diesem Halbfinalspiel. Er wirkte, wie er am Abend zuvor in der Interviewzone im Stadion von Durban gewirkt hatte: angestrengt und angespannt. Philipp Lahm lieferte die Gegendarstellung zu jenem Bild, das sich die Öffentlichkeit in all den Jahren von ihm gemacht hat. Für die Öffentlichkeit ist er der immer heitere, immer freundliche junge Mann, der immer noch aussieht, als könnte jeden Moment ein Lehrer kommen und ihm den Klassenraum aufschließen. "Das war kein Angriff auf Michael Ballack", sagte der Lahm auf dem Podium. Denselben Satz, mit demselben Gesichtsausdruck, hatte der Lahm aus der Interviewzone schon am Abend zuvor in Durban gesagt.

Philipp Lahm will Kapitän bleiben, aber zugleich nicht als Königsmörder dastehen. Der Spielführer übt sich in der Rolle des Politikers. (Foto: ag.ddp)

Manchmal ist es tatsächlich nicht ganz leicht, Philipp Lahm zu sein. Es ist zwar grundsätzlich leichter als, sagen wir, Torsten Frings zu sein, aber manchmal muss auch Lahm erkennen, dass Luxus zum Problem werden kann. Er spielt ja auf eine so lässige Art und Weise auf Dauerspitzenniveau, dass es sofort eine Nachricht darstellt, wenn er mal ausgespielt wird. Und noch größer wird die Nachricht, wenn Lahm in einem WM-Halbfinale vor den Augen der Weltöffentlichkeit ausgespielt wird. Und noch, noch größer wird die Nachricht, wenn daraus ein Tor entsteht - wie in diesem Halbfinale gegen Spanien, als Lahms Zweikampfniederlage gegen den herausragenden Flügelspieler Iniesta den Mitspieler Schweinsteiger zu einer Grätsche zwang, die zum Eckball führte. Und der Eckball führte zum entscheidenden Tor.

Philipp Lahm hat sich keinen günstigen Moment ausgesucht für seine Zweikampfniederlage, er weiß das selbst. Er, dem immer alles wie selbstverständlich und scheinbar ohne allzu großen Schweißverlust zu glücken schien, muss nun kämpfen. Lahm ist ein mutiger junger Mann, er scheut keine Auseinandersetzung, im vergangenen Herbst hat er sich getraut, dem FC Bayern eine öffentliche, nicht sehr schmeichelhafte Unternehmensanalyse zu erstellen. Jetzt aber hat er feststellen müssen, dass Nebenkriegsschauplätze durchaus mehr Energie rauben können als geplant: Seine nicht sehr dezent vorgetragene Kapitänswerbung ist ja nicht ohne Risiko gewesen, Lahm hat die Gunst der Stunde genutzt, um Michael Ballack, den alternden Löwen, mit der unausgesprochenen Unterstützung der Teamkollegen aus der Wildbahn zu drängen. Durch das mit irritierender Passivität erlittene 0:1 gegen Spanien ist aus der Gunst der Stunde die Ungunst der Stunde geworden.

Der Kapitän als Politiker

Zwar wird sich kein ursächlicher Zusammenhang zwischen innenpolitischer Debatte und der sportlichen Niederlage herbeikonstruieren lassen, dennoch wirken die Beteiligten derzeit überrascht von der Wucht der Debatte. Michael Ballack, der sich mit der vorübergehenden Einquartierung ins Teamhotel eher keinen Gefallen getan hat, schweigt, er sucht die richtigen Worte und die richtige Strategie. Und Lahm versucht sich an dem Spagat, die Debatte einzufangen und gleichzeitig seine Position zu erneuern. "Es ist doch verständlich, dass man ein Amt, das einem Spaß macht, behalten will", sagt Lahm mit dem nachvollziehbaren Anspruch, der passende Kapitän für diese junge Elf zu sein. Gleichzeitig versichert er, er habe "kein Problem damit, wenn Michael Ballack wieder Kapitän wird". Er weiß, dass er die endgültige Entscheidung guten Gewissens in die Hände des Bundestrainers legen kann, dessen Unterstützung er sich sicher wähnt. "Ich werde nach dem Turnier nicht zum Bundestrainer gehen und ihm die Binde zurückgeben", sagt Lahm.

Ob die Elf diesen Ballack noch brauche, wurde Lahm am Donnerstag erneut gefragt. "Diese Frage ist nicht mit 'ja' oder 'nein' zu beantworten", antwortete er und fügte an, "der Michael" sei "ein hervorragender Fußballer, aber mehr ist dazu nicht zu sagen". Man hat ihn auch so verstanden.

© SZ vom 09.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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