WM ohne Beckham?:Ein Nationalheiligtum weint

Lesezeit: 3 min

David Beckhams Achillessehnen-Riss bedeutet wohl sein WM-Aus. Während Trainer Capello das bedauert, sehen Presse und Fans seinen Ausfall auch als Chance.

Rebecca Schäfer

Es sah eigentlich alles gar nicht so schlimm aus. Im Mittelkreis stoppte David Beckham den Ball. Völlig unbedrängt. Er drehte sich um die eigene Achse. Dann stockte er. Schaute kurz hinter sich, als habe er etwas verloren. Und auf einmal humpelte er. Er humpelte und humpelte. Und dann machte er diese Geste in Richtung der Betreuer an der Seitenlinie: Es ist kaputt. Es ist kaputt. Und er sank zu Boden.

Für David Beckham, den ehemaligen Kapitän der englischen Fußballnationalmannschaft, ist der Traum von der Weltmeisterschaft in Südafrika so gut wie beendet. Er hat sich am Sonntag beim Ligaspiel seines Vereins AC Mailand gegen AC Chievo in der italienischen Seria A einen Achillessehnen-Riss zugezogen.

Wie lange Beckham ausfällt, kann vor der OP bei dem finnischen Spezialisten Sakari Orava noch niemand genau sagen. Doch ob nun drei, vier oder sechs Monate: Es wird wohl zu lange sein für die WM.

Ganz Fußball-England leidet mit seinem einst schillerndsten Star: "Es tut weh, ein Nationalheiligtum weinend am Boden zu sehen", schreibt die seriöse London Times. Gewohnt reißerisch beschwört Großbritanniens führendes Boulevardblatt The Sun: "Das könnte das Ende für Becks sein" - und meint damit nicht nur die WM in Südafrika, sondern Beckhams Karriere im Nationaltrikot der Three Lions.

Auch Nationaltrainer Fabio Capello, der Beckham zuletzt wieder signalisiert hatte, ihn für das englische WM-Aufgebot zu nominieren, sprach von einem "schweren Schlag für uns und für David. Er hat hart gearbeitet, um bei der WM noch mal dabei zu sein. Ich bin sehr traurig." Beckham hatte sich extra von seinem US-Klub Los Angeles Galaxy an den AC Mailand ausleihen lassen, weil Capello das Spielen bei einem internationalen Top-Klub zur Bedingung für seine mögliche WM-Teilnahme gemacht hatte.

Doch wenn man in England genau hinhört und genau liest, dann findet man auch Stimmen, die im WM-Aus des alternden Superstars Beckham eine Chance für das englische Nationalteam sehen. Eine Chance, sich freizumachen von dem übermächtigen Schatten eines schon längst nicht mehr übermächtigen Fußballspielers, der nur noch bei Freistößen und Eckbällen brillieren kann. Die Times erinnert am Montag an Aaron Lennon, Theo Walcott und Shaun Wright-Phillips. Junge, hungrige Spieler, die alle auf Beckhams angestammter rechter Seite "Schnelligkeit und Durchsetzungsvermögen" versprächen.

Genau die Schnelligkeit und das Durchsetzungsvermögen, dass Beckham spätestens seit seinem Wechsel 2007 zum amerikanischen Major-League-Soccer-Klub Los Angeles Galaxy, und damit irgendwie auch dem Wechsel auf die Showbühne Hollywood, vermissen ließ. Und auch sein Engagement beim AC Milan hilft nicht wirklich, das Bild eines Fußballers im Vorruhestand zu irritieren: Letzte Woche, beim Champions-League-Achtelfinalrückspiel an seiner alten Wirkungsstätte Old Trafford, saß Beckham beim Duell des AC gegen Manchester United lange Zeit nur auf der Bank.

Im Video: Nach Riss der Achilles-Sehne ist fraglich, ob David Beckham bei der Fußball-Weltmeisterschaft mitspielen kann.

Weitere Videos finden Sie hier

In Internetforen sind die Aussagen der englischen Fußballfans teilweise radikaler als die Pressestimmen. "Das ist eine gute Nachricht für den englischen Fußball. Wir können nun junge Spieler aufgrund ihrer Qualität mitnehmen und nicht einen Ausgedienten aufgrund reiner Sentimentalitäten", heißt es zum Beispiel. Oder an anderer Stelle: "Und Gott sei Dank werden wir bei der WM nicht wieder seitenweise das Gesicht dieses verschwenderischen Mannequins sehen müssen." ( Beckhams Ehefrau Victoria, Anm. d. Red.) Das ist ein Teil des Problems von David Beckham. Man nimmt ihn öfter als Mann eines bekannten Models denn als Fußballer wahr.

Dabei hat Beckham schon einmal ein nicht für möglich gehaltenes Comeback geschafft: Vor der WM 2002 in Japan und Südkorea brach er sich den Mittelfuß. Damals beteten die englischen Fans auf eigens von The Sun gedruckten Gebetsteppichen für die Wiedergenesung ihres unverzichtbaren Idols. Heute betet in England für eine WM-Teilnahme wohl nur noch Beckham selbst.

Und er bekommt Hoffnung: Sein finnischer Arzt Sakari Orava, der Beckham wohl noch am heutigen Montag operieren wird, schloss einen Auftritt des 34-jährigen Fußballers in Südafrika nicht kategorisch aus. "Es ist zwar nicht realistisch zu erwarten, dass Beckham in drei Monaten wieder fit ist, aber es hat immer wieder 'wundersame' Heilungsprozesse gegeben. Es gibt noch einen kleinen Hoffnungsschimmer."

An den klammert sich Beckham vor der Operation gewohnt zuversichtlich: "Ich erwarte, schnell und völlig wiederhergestellt zu sein." Das mögliche WM-Aus sei auf keinen Fall gleichzusetzen mit einem Karriere-Aus. "Selbst wenn David die WM verpassen sollte, ist es ein Ziel, zum Ende der Major-League-Soccer-Saison wieder mit den Los Angeles Galaxy zu spielen", sagt Beckhams Manager Simon Oliviera.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: