Titelkampf in der Formel 1:Norris ist langsamer als sein Auto

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Lando Norris kann immer noch Weltmeister werden, theoretisch. Aber nach dem Rennen in Brasilien wird es ganz schwer. (Foto: Rudy Carezzevoli/Getty Images)

Aus seiner siebten Pole-Position am Ende nur Platz sechs in Interlagos: Lando Norris zeigt, dass er in der Weltmeisterklasse noch nicht ganz angekommen ist: Ihm fehlen gewisse Eigenschaften für den ganz großen Triumph.

Von Elmar Brümmer

Ein Titelrennen wie dieses benötigt das Drama. Auf und neben der Strecke. Standesgemäß soufflierte am superlangen Sonntag der Formel 1 das launische Wetter von São Paulo und nahm entscheidenden Einfluss auf die Auseinandersetzung zwischen Max Verstappen und Lando Norris. Doch es war nicht das Regen-Chaos, an dem Lando Norris letztlich scheiterte. Das war für alle gleich. Es war nicht einfach nur Pech für ihn, dass Red Bull den Reifenwechsel so lange hinausgezögert hatte, bis das Rennen wegen irregulärer Bedingungen unterbrochen werden musste.

Die 69 denkwürdigen Runden von Interlagos, in denen Verstappen vom 17. Startplatz aus zum Sieg geflogen war, sind vorrangig ein Zeichen. Sie zeigen Norris, dass er bis jetzt nicht ganz in der Weltmeisterklasse angekommen ist. Aus der siebten Pole-Position des Jahres am Ende nur einen sechsten Platz zu machen, das zeugt von einer Nervenschwäche des Fahrers im entscheidenden Moment, auch wenn diese von allen Beteiligten bei McLaren konsequent geleugnet wird. Aber es war nicht der erste Aussetzer von Norris.

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„Ich habe einige gute Rennen gehabt, und es war an der Zeit, dass eins daneben geht“, sagte der 24-Jährige lakonisch. Aber leider ist es ein ganz entscheidendes gewesen: Max Verstappen kann mit einem Vorsprung von 62 Punkten bei 86 noch ausstehenden Zählern in den letzten drei Rennen bereits beim nächsten Rennen Ende November in Las Vegas vorzeitig zum vierten Mal in Serie Weltmeister werden. Norris sprach von einer Lotterie im Autodromo Carlos Pace, wonach er die Niete gezogen habe. Der Reifen- und Abstimmungsvorteil seines McLaren schwamm dahin, er habe auch ein paar Fehler gemacht: „Es war unglücklich, nichts weiter.“

Emotionen und Adrenalin werden bei Max Verstappen zum persönlichen Allradantrieb

War es tatsächlich nur Pech? So wie bei Verstappens Triumphfahrt auch Motorsport-Laien sofort die enorme Selbstsicherheit hätten herauslesen können, war der Fahrweise von Norris die Verunsicherung förmlich anzusehen. Als er spät im Rennen die Mutlosigkeit durch Übermut ersetzen wollte, ging das prompt schief. Für McLaren-Teamchef Andrea Stella, der aus dem Titelrennen zuletzt regelrecht einen Kampf zwischen Gut und Böse gemacht hatte, ist die Niederlage schwer schönzureden. Aber er muss es natürlich versuchen: „Die anderen haben auch deshalb gut ausgesehen, weil sie alles auf eine Karte gesetzt haben. So etwas ist immer leichter, wenn man hinten liegt. Dann sieht man am Ende aus wie ein Held.“ Was das nötige Risikobewusstsein und die Kompromisslosigkeit angeht, irrt der Italiener sicher nicht.

Immerhin, in der Konstrukteurs-Wertung hat McLaren weiteren Boden gutgemacht, auch deshalb, weil Red Bull Racing ein Ein-Mann-Team bleibt: Teamkollege Sergio Perez wurde nur Elfter. Stella schaltete sofort wieder in den Motivationsmodus um. Die Frage, ob Norris zu viele Fehler mache, um Weltmeister zu werden, findet er nicht fair: „Max ist ein fantastischer Fahrer, macht einen fantastischen Job und Lando liegt gerade knapp hinter ihm. Wir sind stolz, da wo wir sind, und Lando sollte sehr stolz auf seine Leistung sein. Ein Rennen wie heute kann passieren.“ Zu akzeptieren ist es aber nur, wenn die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden.

Nicht nur einmal kam Lando Norris mit seinem McLaren (links) beim Grand Prix von Brasilien - wie hier im Duell mit Mercedes-Pilot George Russell - von der Strecke ab. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Jene Emotionen und das ganze Adrenalin, die bei Verstappen zu einem persönlichen Allradantrieb werden, scheinen seinen drei Jahre jüngeren Gegenspieler eher zu hemmen. Dass Norris nach dem abgebrochenen ersten Start vorzeitig wieder losfuhr, wurde aufgrund der allgemeinen Konfusion nur mit einer Ermahnung und einer kleinen Geldstrafe belegt. Aber den offenbar in ihm herrschenden Aufruhr der Gefühle wurde der McLaren-Pilot in den folgenden beiden Stunden nie mehr los. Er blieb in seiner eigenen Gedankenwelt stecken.

Norris ist ähnlich schnell und clever wie sein Kumpel Verstappen, wobei der wahre Status ihrer Freundschaft zuletzt im Ungefähren blieb. Aber er ist meist nur so schnell wie sein Auto. In die Champions League kommen aber – Beispiel Michael Schumacher – nur jene Piloten, die über ihr Gefährt hinauswachsen. Die immer dann besonders glänzen, wenn sie nicht im schnellsten Rennwagen sitzen. Die sich sofort an wechselnde Bedingungen anpassen können, so schwierig diese auch sind. Stella pflegt eine andere Sichtweise: „Wenn bei einem Auto die Räder blockieren, schaue ich nicht auf den Fahrer, sondern auf das Auto.“

Im sechsten Formel-1-Jahr dauerhaft unter Druck zu stehen, gegen eines der gewieftesten Teams überhaupt und einen der besten Fahrer der Geschichte antreten zu müssen, das ist eine Lektion für Lando Norris. Sich immer nur als Gegenwurf zu inszenieren, das allein reicht nicht. Dauerhaft braucht der Optimismus eine handfeste Grundlage. Die größte britische Titelhoffnung seit Lewis Hamilton muss sich auf der Rennstrecke richtig einordnen. In Interlagos schwankte Norris zu sehr zwischen Mutlosigkeit und Übermut, richtig wohl schien er sich in seinem Auto und seiner Rolle nie zu fühlen. Nach dem Rennen konnte er sogar eingestehen, dass Verstappen mit seinem Husarenritt wohl auch ohne den Vorteil der Unterbrechung gewonnen hätte.

Das wäre eine noch größere Demütigung gewesen und ganz im Stil seines Widersachers, der nicht nur gewinnen möchte, sondern die anderen mit Vorliebe zerstört. Lando Norris und McLaren sind als Aufsteiger der Saison angekommen in den höchsten Regionen des Motorsports. Eine ziemlich unwirtliche Zone, in der niemand auf eine besonders ausgeprägte Gastfreundschaft zu hoffen braucht.

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