Süddeutsche Zeitung

WM mit 48 Mannschaften:Im Fußball regiert die Gier

Die Fifa liegt mit der Vergrößerung der Fußball-WM voll im Trend: Alle wollen immer mehr Geld. Doch der Weltverband riskiert damit auch viel.

Kommentar von Thomas Hummel

Das deutsche Fußballland rümpft die Nase. 48 Mannschaften dürfen von 2026 an bei der Weltmeisterschaft mitspielen. Oje, da werden ein paar Rumpeltruppen dabei sein. Wer soll sich das noch anschauen? War die auf 24 Teams aufgestockte Europameisterschaft im vergangenen Jahr nicht schlimm genug? Da waren vielleicht Grottenkicks dabei in Frankreich, meine Güte. Augenverdrehen überall. Und findet nicht die WM 2022 im Dezember statt, zwischen Glühwein und Weihnachtsstress? Igitt!

Nun müssen die deutschen Fans und die anderer großer Fußballnationen erkennen, dass ihre Befindlichkeiten rein gar keine Rolle spielen. Der Weltfußball ist kein deutsches Kulturgut. Auch wenn die Nationalmannschaft stets das Halbfinale erreicht und sich das Land alle zwei Jahre vor den Public-Viewing-Leinwänden versammelt, haben die Deutschen in der Fifa nichts zu melden. Bei der Abstimmung zur 48er-WM saß nicht einmal ein Deutscher am Tisch, weil Wolfgang Niersbach wegen der Sommermärchen-Affäre suspendiert ist.

Und mal abgesehen von den Motiven der raffgierigen Funktionäre: Es gibt viele Menschen auf der Welt, die sich über eine größere WM freuen. Vielleicht schafft es ihr Land ja auch mal zu einem Turnier. Was wäre die EM 2016 gewesen ohne Nordiren, Iren, Waliser, Albaner, Österreicher, Isländer? Das sportliche Niveau litt unter der großen Anzahl an Teams, aber die Atmosphäre war oft fantastisch.

Mehreinnahmen von etwa 500 Millionen Dollar

Letzteres hilft dem Fußball am Ende mehr als vermeintlich niveauvollere Partien. Stimmung, Erlebnisfaktor, Event, dazu ab und an ein Traumtor von Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo - das ist der Boden, auf dem die Entwicklung gründet. Denn immer mehr Leute begeistern sich für diese Sportart, was im System zu immer größeren Einnahmen führt. Bei Klubs genauso wie bei Spielern, Beratern, Verbänden. Über Sponsoren, TV-Rechte, Internetrechte, Merchandising. Da gilt die einfache Rechnung: größere WM = mehr Geld. Infantinos Fifa rechnet durch die Aufstockung auf 48 Teams mit Mehreinnahmen von etwa 500 Millionen Dollar.

In einem völlig unkontrollierten Markt wie dem Fußball führt das nicht gerade zu sozialistischen Tendenzen. Sondern zu Gier nach noch mehr. Und oft genug zu dreister Korruption und Bereicherung.

So wird das Rad immer weiter gedreht. Der FC Bayern treibt seine Internationalisierung mit einem Fanshop in China und einer Testspiel-Tournee durch die USA voran. Die Italiener spielen ihre Supercoppa in Doha aus. Die brasilianische Nationalmannschaft richtet ihre Testspiele längst nicht mehr in Brasilien aus, sondern irgendwo auf dem Globus, wo der Veranstalter das meiste Geld bezahlt.

80 Kicks in einem vermutlich fernen Land

Womit wir wieder bei den deutschen Fans sind. Um sie schert sich die Fifa nicht, auch nicht die Uefa. Viele Romantiker finden, dass sie auch den eigenen Klubs egal sind. Doch noch liegt der Hauptmarkt des Fußballs in Europa, in den großen Ligen Englands, Spaniens, Deutschlands oder Italiens. Insofern geht die Fifa mit ihrer Entscheidung, die WM aufzustocken, auch ein Risiko ein. Denn niemand weiß, wann dieser Unterhaltungsmarkt seine Sättigungsgrenze erreicht. Wenden sich in Westeuropa die Menschen ab und gehen im Sommer 2026 lieber baden als sich 80 Kicks in einem vermutlich fernen Land anzuschauen, dann hat auch der Fußball ein Problem. Und ob bis dahin all die umschwärmten Chinesen oder Amerikaner diese Sportart lieben lernen, ist längst nicht gewiss.

Aber klar ist auch: Solche Bedenken sind den Funktionären heute herzlich wurscht. Die Millionen fließen gerade in rauen Mengen, wen interessiert da, was in zehn Jahren ist.

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