WM-Marathon in Katar:Kollaps im Dampfbad

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Fadime Celik wird abtransportiert. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty)
  • Der Sieg der Kenianerin Ruth Chepngetich wird beim WM-Marathon zur Nebensache.
  • Viele Läuferinnen erreichen bei den grenzwertigen Bedingungen das Ziel nicht.
  • Athletinnen sprechen von einer Respektlosigkeit des Verbandes gegenüber den Sportlern.

Von Johannes Knuth, Doha

Die Adrenalinschübe ebbten allmählich ab, sie waren vermutlich verdampft in der Mitternachtshitze an der Hafenpromenade von Doha. Und so legte sich über die neue Weltmeisterin mit einem Mal ein Mantel aus großer Erschöpfung. Schweißperlen glitzerten auf Ruth Chepngetichs Stirn, als sei sie gerade aus einem Schwimmbecken gestiegen. Sie schloss kurz die Augen. Wankte. Schnappte nach Luft. Öffnete die Augen wieder, kniff sie zusammen, als müsste sie ihren Blick erst scharfstellen, um den Reporter vor sich zu erkennen, der sie wortreich über den Marathon der Frauen ausfragte, den Chepngetich gerade gewonnen hatte. Aber die Kenianerin stotterte nur ein paar Wortfetzen hervor, die man grob als Freude über das soeben Geschaffte decodieren konnte. Später, nach ihrem letzten Interview, kippte die 25-Jährige plötzlich nach vorne - ein Betreuer packte sie gerade noch am Arm.

Das war ja die große Frage gewesen an das Auftaktwochenende in Doha, für die erste Entscheidung dieser Leichtathletik-Weltmeisterschaften im Wüstenemirat: wie die Marathonläuferinnen ein Rennen verkraften würden, gegen dessen Ausrichtung sich jeder gesunde Geist sträubt. Und tatsächlich blieb die erste Mitternachtsentscheidung in Doha weniger wegen der Siegerinnen in Erinnerung, sondern für Verhältnisse wie in einem Dampfbad, für knapp die Hälfte der Läuferinnen, die nicht das Ziel erreichten, für Kollapse, kurzum: für einen Taumel an der Grenze des Vertretbaren.

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Wenn man den Athleten in den letzten Tagen vor der WM zugehört hatte, wie sie sich im Training vorbereitet hatten - die Marathonläufer und Geher im Speziellen, die restlichen Wettkämpfe finden im klimatisierten Khalifa-Stadium statt - dann hatte man irgendwann das Gefühl, dass hier nicht ein Sportwettbewerb bevorstand, sondern eine Urwaldexpedition aus den Tagen von Alexander von Humboldt, die man mit Lawrence von Arabiens Wüstenhölle gekreuzt hatte. Die deutschen Geher hatten heiß gebadet oder in der Sauna geschwitzt, um sich an die Feuchtigkeit zu gewöhnen; sie hatten auch eine "Wüstenmütze" entwickelt, die ein Fach hat, das man mit Eiswürfeln befüllen kann. Der Leichtathletik-Weltverband bietet den Athleten in Doha zudem eine Hitzepille an, die wie eine Kapsel geschluckt oder wie ein Zäpfchen eingeführt und später wieder ausgeschieden wird, Ausschüttungen im Körper überwacht und die Körpertemperatur an ein Handy übermittelt - allerdings nicht in Echtzeit im Wettkampf.

Der Auftakt am Freitagabend, beim Marathon der Frauen, war dann wie erwartet: gespenstisch. Die Organisatoren hatten eine sieben Kilometer lange Schleife an der Hafenpromenade entworfen, die die Athletinnen sechs Mal abliefen. Rund alle 50 Meter standen gigantische Flutlichtmasten, was dem Kurs dem Charme eines Flughafenvorfelds in pechschwarzer Nacht verlieh - nur ohne den Lärm, denn bis auf ein paar Fangruppen aus Kenia und Äthiopien waren vor allem Reporter, Fotografen und Betreuer an der Strecke.

Die Ehrentribüne, unter deren Dach man auch ein Flugzeug hätte parken können, war bald fast leer - hier hatten die Ehrengäste, darunter Weltverbands-Chef Sebastian Coe und Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, kurz zuvor noch die Eröffnungsfeier bestritten. Das Motto: "Katar heißt die Welt willkommen." Allerdings waren weder Athleten, Zuschauer als auch die restliche Welt zur Feier eingeladen.

Läuferinnen plumpsen in Rollstühle

Und dann also endlich: der Startschuss, um 23:59 Uhr. Stille im Zielbereich, zartes Klatschen auf der Flugzeughangar-Tribüne, die Rufe der Betreuer, dumpfes Stampfen der Schritte auf heißem Asphalt. Das Feld blieb auf den ersten fünf Kilometern noch weitgehend beisammen, klar, es hatte zwar nicht mehr 39 Grad Celsius wie am Tag, dafür immer noch 33, mit 73 Prozent Luftfeuchtigkeit. Immer wieder bogen Läuferinnen zu den Verpflegungsständen ab, überschütteten sich mit Wasser, tranken. Bloß nicht zu früh überhitzen. Chepngetich, die klare Favoritin in diesem Feld (das ohne deutsche Starterinnen auskam), preschte nach zehn Kilometern schon mal davon. Dann besann sie sich, fiel in eine fünfköpfige Spitzengruppe zurück.

Die ersten Läuferinnen gaben früh auf, auch viele Mitfavoritinnen verabschiedeten sich aus dem Rennen - wenn schon keine Medaille, dann wenigstens Kräfte sparen für einen der lukrativen Herbstmarathons. Nach 30 Kilometern war ein Viertel der 68 Starterinnen schon nicht mehr dabei, in der letzten halben Stunde des Rennens wurde es richtig hektisch vor dem Medizinzelt hinter der Haupttribüne. Manche Athletinnen schlichen aus eigener Kraft ins Zelt, andere plumpsten in einen der Rollstühle am Streckenrand. Die Türkin Fadime Celik lag regungslos auf einer Trage, offenbar kollabiert.

Kurz vor der letzten Runde, nach 36 Kilometern, setzte Chepngetich die entscheidende Attacke. Sie hat sich in den vergangenen zwei Jahren erstaunlich entwickelt: Ihren ersten Marathon vor zwei Jahren gewann sie in 2:22 Stunden, im Januar lief sie in Dubai in 2:17:08 die drittbeste Zeit der Geschichte. Die Veranstalter der großen Stadtmarathons hatten sie bislang trotzdem nicht eingeladen, die Renndirektoren sind bei großen Leistungssprüngen mittlerweile vorsichtig. Chepngetich wird zudem vom Italiener Federico Rosa betreut, der auch die des Dopings überführten Rita Jeptoo und Rio-Olympiasiegerin Jemima Sumgong mal betreute. In Doha konnte Chepngetich jedenfalls niemand mehr folgen, im Ziel hüpfte sie vor Freude, schrie in die stille Nacht herein - um 3.30 Uhr Ortszeit hatten auch die meisten Fans aufgegeben. Während die Siegerin jubelte, rauschten neben ihr immer wieder Krankentransporte ins Ziel, mit Blaulicht. Am Samstag gab der Weltverband bekannt, dass alle Läuferinnen wohlauf seien, es habe auch niemand einen Hitzeschlag erlitten. Na dann.

Andererseits: Wer wusste da schon, welche Schäden das für die Zukunft angerichtet hatte?

"Es war sehr heiß, sehr hart", sagte Ruth Chelimo, die Titelverteidigerin aus Bahrain später, als sie um vier Uhr morgens erschöpft im Pressezelt saß. Sie habe "einfach gebetet, dass ich durchalte". Helalia Johannes aus Namibia freute sich über ihre Bronzemedaille, sagte dann mit einem müden wie süffisanten Lächeln: "Ich kann nicht gerade sagen, dass ich dieses Ereignis genossen habe." Chepngetich brauchte nach ihrem kurzen Einbruch noch länger, bis sie zur Pressekonferenz erschien, umschiffte aber auch höflich die Debatte, ob ein Rennen unter diesen Umständen überhaupt hätte stattfinden sollen. Die Antwort gab zum einen die Statistik: Nie war eine Weltmeisterin im Marathon langsamer gewesen als die Kenianerin (2:32:43 Stunden), sieben Läuferinnen hatten überhaupt nur die 2:40-Stunden-Marke unterboten. Zum anderen waren da die Rezensionen der Kolleginnen, die von "schrecklich" (die in Berlin lebende Palästinenserin Mayada Al Sayad) bis "unheimlich" (Lindsey Tesser aus Kanada) reichten. Die Weißrussin Volha Mazuronak, als Fünfte beste Europäerin, befand gar: "Die Luftfeuchtigkeit haut dich um. Du kannst kaum atmen. Das ist respektlos gegenüber den Athleten. Ein paar Offizielle vergeben die WM hierhin, aber jetzt sitzen sie in gekühlten Räumen oder schlafen längst."

Noch stehen in Doha vier Ausdauerrennen im Freien bevor, der Marathon der Männer und die Geher-Wettbewerbe. Die 50 Kilometer der Männer finden in der Nacht zum Sonntag statt, die deutschen Starter Carl Dohmann, Jonathan Hilbert und Nathaniel Seiler machten sich leise Hoffnungen auf vordere Plätze, auch dank ihrer Wüstenmützen. Im Marathon der Männer wird die Prominenz lieber in Berlin starten (Kenenisa Bekele) oder in Wien die Zwei-Stunden-Marke angreifen (Eliud Kipchoge). Letztgenannter will 2020 in Tokio seinen Olympiatitel verteidigen, das werde schon schwer genug bei der noch größeren Schwüle in Japans Hauptstadt, wie sein Manager Jos Hermens zuletzt im Gespräch gesagt hatte: "Viele Athleten, die schwere Hitzemarathons gelaufen sind, schaffen anschließend nicht mehr die Zeiten, die sie vorher gelaufen sind."

Dafür musste man am Wochenende in Doha aber gar nicht in der Geschichte blättern. Ein Blick ins Gesicht von Ruth Chepngetich reichte.

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