Nationalmannschaft:Löw fehlte die Leitidee für diese WM

Das DFB-Team war nicht zu alt oder zu satt - Bundestrainer Löw hatte schlicht keinen Plan B. Bei der Analyse des Desasters dürfte er zu einem eindeutigen Schluss kommen.

Kommentar von Claudio Catuogno

Vor vier Jahren ist der deutsche Fußball nicht nur in Rio de Janeiro Weltmeister geworden. Sondern auch im "Campo Bahia", einer Wohlfühloase, die sich der Deutsche Fußball-Bund als Quartier extra an einen Strand hatte bauen lassen. Die Spieler wohnten in Bungalows und spielten Darts an einer Poolbar, die mit Szenen aus der deutschen Fußballgeschichte verziert war. Ja, man kann es auch übertreiben mit der Selbstglorifizierung - aber als gruppendynamisches Projekt war das Campo Bahia ein Erfolgsmodell. Am Ende waren die Deutschen nicht nur Weltmeister auf dem Platz, sie waren es auch im Planen. Sie flankierten ihren Reichtum an Talenten mit einer Führungscrew, die nichts dem Zufall überließ.

Vier Jahre später stehen die Deutschen vor den Trümmern dieses Erfolgs. Ihr Quartier in der Einöde von Watutinki liefert auch diesmal einen Erklärungsansatz. Nicht, weil man es dem Bundestrainer Joachim Löw als Alibi durchgehen lassen dürfte, dass dort der Espresso nicht gut war. Im Gegenteil: Das blutleere 0:2 gegen Südkorea, das die Deutschen aus dem Turnier beförderte, wäre selbst dann nicht zu erklären, wenn der DFB seine Kicker auf Reißzwecken hätte nächtigen lassen. Aber Watutinki, der Zweckbau vor den Toren Moskaus, erzählt trotzdem viel. Das Quartier war für die DFB-Planer eine "Vernunftentscheidung". Das Luschniki-Stadion liegt ganz in der Nähe. Dort wollten sie das Halbfinale und das Finale spielen.

Mit dem Kopf waren sie schon am Ziel, aber die Füße haben sich auf groteske Weise dem Weg verweigert. Auch an dieser als Planung verbrämten Hybris ist der deutsche Fußball in Russland gescheitert.

Katastrophen und Tiefpunkte werden im Sport inflationär bemüht, doch dieses Scheitern ist tatsächlich historisch: Nie zuvor fuhr eine deutsche WM-Elf nach der Vorrunde heim. Die Verantwortung dafür trägt vor allem der Bundestrainer (auch wenn Löw sich für das mondäne Sotschi als Quartier starkgemacht hatte). Wenn eine Gruppe hoch qualifizierter Fußballer - Champions-League-Sieger, Weltmeister - nicht etwa gegen Brasilien oder England die Segel streicht, sondern gegen Mittelklasseteams, in der Vorrunde, dann ergibt sich die Verantwortung des Trainers von selbst. Löw trägt sie durch sein Tun, aber vor allem durch sein Unterlassen.

Die Deutschen waren von Beginn an im Krisenmodus

Vor vier Jahren hatte Joachim Löw seine Reisegruppe noch mit dem Begriff von der "Urkraft" auf die Unwägbarkeiten Südamerikas vorbereitet. In Brasilien ergriff er Maßnahmen, um der Urkraft zu trotzen. Seiner Elf verpasste er kluge Sicherungssysteme, etwa ein Bollwerk aus vier Innenverteidigern, obwohl diese Art zu spielen seine ästhetischen Gefühle verletzt. Und seinen Assistenten Hansi Flick, einen stillen, aber entschiedenen Berater, wie er diesmal keinen an seiner Seite hatte, ließ er Ecken und Freistöße einstudieren wie nie zuvor. Mit Erfolg: Auch dadurch gewann Deutschland den Pokal.

Für Russland hatte Löw keine Leitidee. Außer dem Vertrauen darauf, dass sich sein "Made in Germany" schon durchsetzen wird: Erfahrung, Routine, Dominanz auf dem Platz. Seine Elf war nicht in erster Linie zu alt oder zu satt - sie hatte schlicht keine Sicherheiten, keinen Plan B. Man hat sie nie spielen sehen, wie sie eigentlich spielen sollte. Die Deutschen waren von Beginn an im Krisenmodus, wie ein Autofahrer, der bei der Inspektion vergessen hat, Bremsflüssigkeit nachzufüllen, und der das jetzt nachholen will, während der Wagen mit glühenden Bremsscheiben den Berg hinabbrettert. Kein Wunder, dass eine derart alleingelassene Elf in lähmende Taubheit verfällt.

Daran ist Löw gescheitert: am Antizipieren all dessen, was auf seine WM-Mission zukommen würde. Dass es zum Beispiel nicht gelingen konnte, die Debatte um die Erdoğan-Fotos von Mesut Özil und İlkay Gündoğan einfach mit leichter Hand für erledigt zu erklären. Oder dass findige Gegner den immer gleichen Plan A dechiffrieren würden. Der Reichtum des deutschen Fußballs ist weiter gewaltig, aber er hat seine Sachwalter behäbig gemacht.

Reinhard Grindel, der DFB-Präsident, erwartet von Löw und seinem Stab jetzt eine "saubere Analyse". Deren Ergebnis hat Grindel schon vorweggenommen: Er hofft, dass Löw den Vertrag bis 2022, den er erst kurz vor dem Turnier vom DFB quasi aufgedrängt bekam, erfüllt. Als Persönlichkeit schätzen sie Joachim Löw sehr beim DFB. Es drängt sich aber auch keine Alternative auf. Trainer wie Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel, die sich im Ligabetrieb bewiesen haben, sind bei ihren europäischen Spitzenmannschaften gebunden - und dürften sich auch noch zu jung fühlen für den Job.

Aber zu einer Analyse gehört jetzt wieder dies: antizipieren. Erspüren, ob Löw, wenn er sich noch mal strafft, all das wieder ausbügeln könnte: den Frust der Spieler, das verlorene Vertrauen der Öffentlichkeit. Je sauberer die Analyse wird, desto eher dürfte Joachim Löw erkennen: Er müsste einen sehr schweren Rucksack mitschleppen in die nächsten Turniere. Er wäre wohl zu schwer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: