Viswanathan Anand kennt das Gefühl, in New York einen WM-Kampf zu bestreiten. 1995 duellierte er sich im Südturm des World Trade Center mit dem russischen Titelträger Garry Kasparow. Am Ende verlor er klar, aber spätestens in jenem Sommer gehörte dieser Viswanathan Anand aus Indien zur Weltspitze des Schachsports. Später hielt er über viele Jahre den Titel - und jetzt bietet sich 21 Jahre später etwas überraschend die Gelegenheit, dass er am Ort seiner damaligen Niederlage noch einmal einen WM-Kampf bestreiten kann. Im Alter von 46 Jahren.
Acht Großmeister haben sich gerade in Moskau zum Kandidatenturnier versammelt. Jeder spielt zweimal gegen jeden, der Gewinner tritt im November in New York in einem WM-Match gegen Magnus Carlsen an. Und das Turnier verläuft bemerkenswert: Die favorisierten Amerikaner Hikaru Nakamura und Fabiano Caruana liegen nach neun Runden zurück, stattdessen befinden sich an der Spitze der Russe Sergej Karjakin - und der unverwüstliche Routinier Viswanathan Anand. Das ist erstaunlich.
Schach ist konditionell fordernd
Natürlich gibt es im Schach anders als in vielen anderen Sportarten kein biologisches Alterslimit - denken lässt sich auch mit 46 noch bestens. Andererseits ist der Kampf am Brett konditionell fordernder, als es von außen bisweilen den Anschein hat. Fünf, sechs, sieben Stunden sitzen sich die Kombattanten gegenüber, das ermüdet zwangsläufig. Nicht von ungefähr betreiben viele Schachprofis zum Ausgleich auch einen anderen Sport.
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Aus PR-Sicht wäre Hikaru Nakamura der ideale Gegner für Schach-Weltmeister Magnus Carlsen. Doch der New Yorker leistet sich beim Quali-Turnier ungewöhnliche Fehler.
Die Schachspitze wird überschwemmt von immer jüngeren Könnern, die neue Ideen mitbringen. Der Altersunterschied zwischen Anand und dem Gros seiner Gegner in Moskau ist groß: Als der Inder 1995 Kasparow unterlag, war Anish Giri, derzeit der jüngste im achtköpfigen Teilnehmerfeld, gerade auf die Welt gekommen. Mit-Favorit Caruana, am Mittwoch Anands nächster Gegner, feierte seinen dritten Geburtstag. Und Mit-Spitzenreiter Karjakin kannte immerhin schon die Schach-Regeln, verlor aber noch regelmäßig gegen seine Großmutter.
Die junge Garde tritt auch gänzlich anders auf. Carlsen, Nakamura und andere lassen sich bestens vermarkten, Anand hingegen ist ein typischer Vertreter der Schachzunft, der gefühlt seit 1995 dieselbe Brille und dieselbe Frisur trägt. Mehrsprachig, immer höflich und nett; niemals würde er am Brett oder in der Pressekonferenz solche Streitereien beginnen, wie es Nakamura gerne mal tut.
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Aber Viswanathan Anand, der eigentlich Anand Viswanathan heißt, die weit verbreitete Vornamen-Nachnamen-Verwechselung inzwischen jedoch gelassen hinnimmt, ficht das nicht an. Genauso wenig, dass er nach einer mäßigen Vorstellung bei den Gibraltar Open in der Weltrangliste auf Rang 13 abgerutscht und damit der am schlechtesten platzierte Spieler aus dem Teilnehmerfeld ist.
Anand ist ein Turnierspieler
Auch im Schach gibt es eine Art von Turnierspieler, und kaum jemand erfüllt diesen Anspruch so gut wie Anand. Er pflegt einen universellen Spielstil und hat quasi keine Schwächen. Und wenn eine WM oder ein Kandidatenturnier ansteht, dann kombiniert er seine Kenntnisse in den Eröffnungen und seinen strategischen Blick auf eine Art, wie es sonst kaum einer zu tun vermag. Zudem zeigt er, dass er sich auch mit 46 Jahren noch inspirieren lässt.
In Moskau demonstriert er das, wenn er mit den schwarzen Steinen in ein bisher so auf Welt-Niveau noch nicht gesehenes Eröffnungsmuster verfällt. Ein wenig Damen-Gambit, ein wenig Nimzo-Indisch, so klingt das grob zusammengefasst in den Fachbegriffen des Sports, aber die Formel dagegen haben die Gegner noch nicht gefunden.
Setzt sich Anand in Moskau tatsächlich durch, würde er jedenfalls eine beeindruckende Serie fortschreiben. 2007 gewann er in einem Achter-Turnier den WM-Titel, danach verteidigte er diesen dreimal. 2013 verlor er den WM-Kampf gegen Carlsen, 2014 misslang die Revanche gegen den Norweger. Wenn Anand im November in New York antritt, könnte er von sich behaupten, dass es eine komplette Dekade lang keinen WM-Kampf ohne ihn gab.