WM-Kader der Nationalelf:Sané in der Sackgasse

  • Leroy Sané darf nicht mit zur Fußball-WM in Russland, weil der Bundestrainer aktuell andere für geeigneter hält.
  • Nun stellt sich die Frage, warum der Mann von Manchester City im Nationalteam noch nicht das gezeigt hat, was er eigentlich kann.

Von Sebastian Fischer, Eppan

Es war der Höhepunkt einer großen österreichischen Fußballfeier und sicherlich nicht so angenehm, als deutscher Spieler auf dem Rasen zu stehen. Doch Leroy Sané blieb. Er hörte sich an, wie Tausende Menschen kitschige Lieder über Austria sangen. Und als einer von nur vier Nationalspielern ging er nach der 1:2-Testspielniederlage gegen Österreich in Klagenfurt dem leisen Applaus der deutschen Fans entgegen. Sané hatte nicht gut gespielt, das wusste er. Aber er ahnte nicht, dass es für diesen Sommer sein Abschied werden würde.

Einen Tag und zwei Nächte nach den Eindrücken von Klagenfurt legte Joachim Löw eine lange Kunstpause ein, nachdem er den vierten jener Spieler aufgezählt hatte, die er aus dem vorläufigen Kader für die Weltmeisterschaft in Russland gestrichen hat. Er wusste, dass niemand damit gerechnet hatte. Bernd Leno, Jonathan Tah, Nils Petersen, das war durchaus so spekuliert worden. Aber Sané?

Der Flügelspieler, 22, groß geworden bei Schalke 04 und seit ein paar Wochen englischer Meister mit Manchester City, wozu er mit zehn Toren und 15 Vorlagen beitrug und in der Premier League als bester Jungprofi ausgezeichnet wurde - er ist in Deutschland ein Fußballer mit einem besonderen Alleinstellungsmerkmal: Er ist womöglich Deutschlands aufregendstes Talent. In Zeiten, in denen viele die schablonenartige Ausbildung von Nachwuchsspielern kritisieren, denen Kreativität und Mut fehle, weil sie früh in Systeme passen müssen, ist Sané einer der letzten Dribbler. Ein Spieler, bei dem die Zuschauer zu raunen beginnen, wenn er lossprintet. Er wetteifert mit Timo Werner um den Titel des schnellsten Nationalspielers. Allerdings weiß er das auch selbst sehr gut. Und das ist vielleicht ein kleines Problem.

Wer Sané in den vergangenen Jahren in der Nationalmannschaft sah, hatte oft den Eindruck, er würde gerne all seine Fähigkeiten auf einmal zeigen. Und wer seine Mannschaftskollegen oder den Bundestrainer reden hörte, konnte manchmal meinen, sie sprächen über ihn, wenn sie nach einem schwachen Spiel Kritik übten, ohne seinen Namen zu nennen. Toni Kroos sagte nach dem 0:1 gegen Brasilien im März, in dem Sané nach einer Stunde ausgewechselt worden war: "Man muss einfach ehrlich zugeben, dass wir auf gewissen Positionen nicht gut genug waren. Und viele ihre Chance nicht genutzt haben." Löw sagte damals: "Manch ein Jungstar schießt nicht so schnell in die Höhe, wie man denkt." "Leroy hat riesiges Talent, absolut", sagte Löw am Montag. "Aber er ist vielleicht in den Spielen der Nationalmannschaft noch nicht so ganz angekommen."

Der Test gegen Österreich war beispielhaft für Sanés zwölf Länderspiele. Er war viel gelaufen, nach vorne, nach hinten, war auf der linken Außenbahn stets unterwegs. Doch immer, wenn er den Ball führte, schien er nicht recht zu wissen, wie seine Aktionen enden könnten. Mit großen Schritten lief er stattdessen in seine persönlichen Sackgassen. Statt aufzuschauen, dribbelte er - und nahm den Kollegen Räume, in die sie hätten starten können.

Es sei eine knappe Entscheidung gewesen zwischen Sané und Julian Brandt, sagte Löw: "Bei einem 100-Meter-Lauf bei Olympia müsste man ein Zielfoto machen." Beide hätten "große Qualitäten, beide sind dribbelstark". Julian Brandt schloss in seiner auffälligsten Aktion gegen Österreich eine Kombination mit Stürmer Petersen ab; Leroy Sané schoss einen Freistoß übers Tor. Brandt war 2017 dabei, als Deutschland den Confed Cup gewann, was Löw noch mal betonte. Sané sagte die Teilnahme ab, um sich an der Nase operieren zu lassen.

Wer soll eigentlich Tore schießen?

Das alles wird der Bundestrainer vor seiner Entscheidung bedacht haben, in den Gesprächen mit seinen Assistenten Marcus Sorg und Thomas Schneider, alle Daten hätten sie verglichen, erzählte er. Jede Position im Kader doppelt zu besetzen, die Verteidigung nicht zu vernachlässigen, variabel zu sein, das waren die Prioritäten. Doch Löw weiß auch, dass in Deutschland besonders gerne diskutiert wird, wer in einem defensivstarken, variablen und sicher wunderbar ausgewogen besetzten Team eigentlich die Tore schießen soll.

Bei der EM 2016 kassierte die DFB-Elf im ganzen Turnier nur drei Tore, aber schon in der Gruppenphase gegen Polen schoss sie keines. Im Viertelfinale gegen Italien und beim 0:2 gegen Frankreich im Halbfinale traf jeweils kein Stürmer. Beim Confed-Cup-Sieg ein Jahr später empfahl sich Timo Werner, der wohl auch in Russland von Anfang an spielen wird. Lars Stindl, Finaltorschütze 2017, ist verletzt. Auf Sandro Wagner, den vor allem Sandro Wagner als möglichen WM-Torschützen vorgeschlagen hatte, verzichtete der Bundestrainer, er traute ihm auf hohem Niveau erstaunlicherweise weniger zu als Nils Petersen, der als Knipser- und Joker-Option gedacht war. Petersen schied am Ende aus dem Kader aus, weil der Freiburger, der erst gegen Österreich in der A-Mannschaft debütiert hatte, den Rückstand auf den zweiten Stürmer Mario Gomez nicht aufholen konnte. Immerhin versammeln sich auf den offensiven Außenbahnen im Kader viele Fußballer, die auch Tore schießen können: Thomas Müller, Marco Reus, Julian Draxler und eben Brandt, den Löw vor der EM 2016 ausgemustert hatte.

Nur jener Spieler fehlt, bei dessen Einwechslung die Zuschauer am lautesten raunen, von dessen Aktionen sich die aufregendsten Highlight-Videos zusammenschneiden lassen. Ob Löw die richtige Entscheidung getroffen hat, wird sich erst im Turnier zeigen - falls es dazu kommt, dass in einem engen Spiel einer gesucht wird, der es mit drei Übersteigern versucht statt einem Querpass.

Die Ausgemusterten seien von September an wieder Nationalspieler, sagte Löw noch, natürlich auch Sané. Und dann werde er mit ihm arbeiten.

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