WM 2010: Joachim Löw:Grübelnder Ordensträger

Bundestrainer Joachim Löw gilt seit dieser beeindruckenden Weltmeisterschaft als unentbehrlich. Doch die grenzenlose Zustimmung bringt auch ein großes Problem mit sich.

Philipp Selldorf

Was es bedeutet, Bundestrainer zu sein, kann niemand sagen, der es nicht selbst war. Der Bundestrainer ist ein Sportlehrer, aber er ist auch ein Staatsmann, sein Wirken reicht tief nach innen und weit nach draußen. Das Abschiedsbild, das sich am Sonntag im DFB-Mannschaftsquartier formierte, war demnach das definitive deutsche Gipfeltreffen: Am Tisch saßen Joachim Löw und der Bundespräsident Christian Wulff, dazu die Kapitäne Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, eine bedeutendere Runde mit wichtigeren Deutschen lässt sich gegenwärtig - zumindest nach dem Maßstab der populären Kultur - nicht bilden.

WM 2010 - Deutschland PK

Möchte noch in Ruhe darüber nachdenken, ob er Bundestrainer bleibt: Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Löw empfing dann vom höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik die angemessene Würdigung für das Werk, das er als Trainer geschaffen hatte. Wobei Wulff auf angenehm unpathetische Weise den tieferen Sinn der DFB-Mission in Südafrika hervorhob, indem er die Nationalelf als ein Stück "buntes Deutschland" beschrieb, "von Boateng bis Özil, von Herrn Schweinsteiger bis Philipp Lahm". Herr Schweinsteiger? Wulff erlaubte sich wohl einen kleinen Spaß. Das präsidiale Pathos kam stattdessen eher von Löw, der von Toleranz, Moral und Miteinander sprach und von Charakterwerten, die seine Mannschaft dargestellt habe. Aber auch diese Worte saßen, sie passten zum Auftritt dieser Mannschaft, die bei dieser WM weit mehr als nur den dritten Platz erreicht hat.

Joachim Löw kann jetzt schlagartig ein ziemlich reicher Mann werden, wenn er bloß ja sagt zum Werben des Präsidenten Theo Zwanziger, bis 2012 Bundestrainer zu bleiben. Der DFB dürfe jetzt nicht geizig sein, raten dem Verband Experten wie der Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge. Er verweist dabei auf internationale Gepflogenheiten: Ein Mann wie Fabio Capello bekomme in England für wesentlich schlechtere Arbeit wesentlich mehr Geld, argumentiert Rummenigge und warnt Zwanziger, dass es "ein Riesenfehler" wäre, Löw nicht zu halten.

Aber der Münchner Klubchef übersieht dabei, dass es Joachim Löw gar nicht ums Geld geht, jedenfalls nicht in erster Linie. Es geht unter anderem darum, dass jetzt alle Deutschen meinen, dass Löw als Bundestrainer unentbehrlich ist. Dass die Zustimmungsrate ungefähr bei 102 Prozent liegt und selbst berufsmäßige Skeptiker wie Heribert Bruchhagen oder Rummenigge nichts auszusetzen haben. Sicher kostet es den Bundestrainer viel Kraft, wenn er im Alltag den Nörglern und Besserwissern widerstehen muss. Aber am meisten Kraft kostet es vermutlich, wenn alle zustimmen. So wie es jetzt ist: Löw kann niemanden mehr überraschen, wenn er sein Team in die EM-Qualifikation gegen Belgien, die Türkei und Kasachstan schicken wird. Und beim Turnier sollte seine Elf nun schon Europameister werden - mindestens.

Es ist kein Wunder, dass der künftige Verdienstordenträger Jogi Löw überlegt, ob er noch die Energie dazu hat, weiterhin Staatsmann und Bundestrainer zu bleiben.

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