WM 2011: Interview mit Nadine Angerer:"Ich brauche nicht mal eine Dusche"

Torhüterin Nadine Angerer spricht kurz vor der Frauen-WM über Urlaub in der Wildnis, ein weiteres Turnier ohne Gegentreffer, welche Wege sie finden wird, aus dem Mannschaftsquartier zu fliehen. Und wie sie mit einem vier Meter hohen Feuerwehrbus durch Berlin fuhr.

Interview: Kathrin Steinbichler und Claudio Catuogno

SZ: Frau Angerer, besitzen Sie diesen Bus noch, mit dem Sie nach Ihrem Karriereende durch Afrika fahren wollten?

Nadine Angerer: Den Bus habe ich leider verkauft. Aber der Plan besteht nach wie vor. Das heißt, dass ich mir wieder einen Bus kaufen werde.

SZ: Wie viele hatten Sie schon?

Angerer: Zwei. Einen großen Feuerwehrbus und einen kleinen VW-Bus.

SZ: Vehikel eines unerfüllten Traums?

Angerer: Nein, es hat sich nur noch nicht ergeben. Mit dem VW-Bus bin ich in Schweden vorgefahren, als ich von Turbine Potsdam weg bin zu Djurgarden IF in Stockholm. In Schweden war er hilfreich beim Campen. Den Umzug von Schweden nach Frankfurt habe ich dann auch wieder mit dem VW-Bus gemacht.

SZ: Warum haben Sie ihn verkauft?

Angerer: Weil er immer nur rumstand. Ich muss ja das Sponsor-Auto verwenden, also stand er die ganze Zeit im Wald. Und da hat er mir leidgetan.

SZ: Er stand im Wald?

Angerer: In meiner Anfangszeit beim 1. FFC Frankfurt habe ich in einem Haus im Wald gewohnt, mitten im Taunus. Ich hatte keine Lust auf Frankfurt, wollte die Stadt boykottieren und habe deshalb mit zwei Mitspielerinnen eine WG im Grünen aufgemacht. Das Blatt hat sich aber gewendet: Jetzt bin ich mitten rein nach Frankfurt gezogen.

SZ: War es Ihnen zu still im Wald?

Angerer: Irgendwie schon. Ich habe jedenfalls gemerkt, dass ich Abwechslung brauche. Spontane Abwechslung. Ich wohne ziemlich zentral jetzt, in einem Kiez sozusagen. Und Frankfurt hat auch ganz schöne Läden. Nicht ganz so wie in Berlin, wo man aus der Tür stolpert und von einem Laden in den nächsten fällt, man muss schon gezielt suchen.

SZ: Am Sonntag beginnt die Frauenfußball-WM in Berlin mit dem deutschen Gruppenspiel gegen Kanada.

Angerer: Schön, denn Berlin wird immer die Stadt bleiben, die ich liebe, ich hatte eine wunderbare Zeit hier. Nur mit dem Bus war es schwierig.

SZ: Wo war das Problem?

Angerer: Vor dem VW-Bus hatte ich ja den Feuerwehrbus. Einen großen Feuerwehrbus. Damit bin ich durch die Stadt geheizt, das Problem war nur, aus der Stadt rauszukommen: Der Bus war vier Meter hoch, die meisten Brücken hier gehen aber nur bis 3,70 Meter.

SZ: Lautet das Ziel weiterhin Afrika, irgendwann?

Angerer: Immer noch, mit Bus. Aber ich bin spontan, ich finde es blöd, sich festzulegen. Afrika ist der Traum, aber ich bin für alles offen, auch beim Reisen.

SZ: Jetzt wird der Freiheitsmensch Nadine Angerer schon seit Monaten eingeengt: vom Tagesablauf der WM-Vorbereitung, von den öffentlichen Erwartungen. Macht das eigentlich Spaß?

Angerer: Es ist schon seltsam. Während der Vorbereitung hatten wir zwischendurch ja immer mal einen Tag frei, da fühlt man sich dann schon wie im Gefängnis beim Ausgang: Freiheit für einen halben Tag. So einen halben Tag nur für sich, den lernt man hier zu schätzen.

SZ: Trotzdem wollen Sie weiterspielen, zumindest bis Olympia 2012.

Angerer: Natürlich bedeutet das ein weiteres Jahr nach einem strengen Zeitplan, bestimmt vom Rhythmus des Fußballs. Aber es geht mir körperlich nicht schlecht, ich war noch nie schwer verletzt. Und das Wichtigste: Ich habe immer noch Lust, Fußball zu spielen.

"Und wenn ich einen Tunnel buddeln muss"

SZ: Bei der WM 2007 in China konnten Sie aus dem Hotel gehen und hatten, abgesehen von ein paar kichernden Mädchen, Ihre Ruhe. Im eigenen Land wird es schwieriger werden mit den Ausflügen.

Angerer: Ich komme schon raus. Und wenn ich einen Tunnel buddeln muss.

SZ: Haben Sie sich schon über die Umgebung der Teamhotels informiert?

Angerer: Ich war auf Google Earth, ich weiß alles. Nein, im Ernst: Ich finde meinen Weg, ich würde wahnsinnig werden, wenn ich nur im Hotel bleiben müsste. Mein Gott, dann macht eben mal jemand ein Foto von mir bei Starbucks. Ich mache ja auch nichts anderes als die anderen: Kaffeetrinken und Zeitung lesen.

SZ: Bei der WM 2007 haben Sie kein einziges Gegentor bekommen. Kann so ein Rekord zur Last werden?

Angerer: Könnte man denken. Aber wirklich Druck hatte ich nur bei Olympia 2008. Das war das erste Turnier danach, und da hatte ich mich selbst unter Druck gesetzt und gedacht: Das muss ich jetzt noch einmal schaffen.

SZ: Noch mal ein Turnier zu null?

Angerer: Klingt blöd, ich weiß, aber im ersten Moment war das so. Bis zum Halbfinale gegen Brasilien ging's auch gut, aber als es dann rum war mit dem Gegentreffer, war das eine Erleichterung.

SZ: Aber jedes Gegentor ärgert Sie immer noch extrem ...

Angerer: Total. Ich hasse es. Für mich ist jedes Gegentor eine persönliche Niederlage. Na ja, wenn wir 5:1 gewinnen, ärgert mich das weniger. Aber wenn ich mit einem Gegentor Stress auslöse in der Mannschaft, weil es noch mal eng wird, dann stresst mich das. Auch später noch.

SZ: Diese WM ist mit viel Bedeutung aufgeladen: Mehr Aufmerksamkeit, mehr Professionalität, mehr Geld: Sind diese Hoffnungen realistisch?

Angerer: Ich denke schon. Aber ich hoffe, dass die Vereine nicht denken, dass diese WM ein Selbstläufer ist und die Sponsoren einem danach die Bude einrennen. Viele Vereine müssen kapieren, dass man viel dafür tun muss, die Bedingungen im Frauenfußball zu verändern.

SZ: Am Sonntag in Berlin werden 74.000 im Stadion sein - am ersten Ligaspieltag herrscht dann aber wieder Tristesse. Die WM täuscht eine Kulisse vor, die der Alltag nicht einlösen kann.

Angerer: So ist es, so wird es kommen. Aber die Bundesligaspielerinnen, also die Nicht-Nationalspielerinnen, müssen auch professioneller werden. Und die Vereine müssen diese Professionalität ermöglichen. Sonst ändert sich nichts. Für diese Forderung habe ich vor zwei, drei Jahren auf den Deckel bekommen, aber sie ist richtig. Natürlich: Ich tue mich da leichter, ich habe in Frankfurt diese Strukturen. Aber wenn ich sehe, dass sie bei einem Erstligisten den VIP-Bereich mit einem Band abgesteckt haben, trotz minus zehn Grad auf der Tribüne, kann ich nur den Kopf schütteln. So bekommt man keine neuen Sponsoren.

SZ: Sie selbst werden inzwischen recht intensiv vermarktet.

Angerer: Es geht mir finanziell gut.

SZ: Ist die vom DFB ausgelobte WM-Siegprämie von 60.000 Euro pro Spielerin ein großer Anreiz?

Angerer: Ehrlich gesagt schon. Das ist mir aber auch erst bewusst geworden, als wir in der Mannschaft darüber diskutiert haben. Diskussionen darüber, wie wir in die Prämienverhandlungen gehen, gab es bei der WM 2007 noch nicht. Der Frauenfußball entwickelt sich eben weiter, ein Teil davon ist, sich über solche Dinge Gedanken zu machen. Wichtig ist nur, den Fokus nicht zu verlieren: Es geht immer noch um Fußball.

Ein Hotelzimmer für 1500 Euro

SZ: Als Sie aus Stockholm zurückkamen, haben Sie lukrative Angebote von US-Profiklubs aus Los Angeles und New York ausgeschlagen. Vor der WM wollten Sie in Deutschland spielen. Sind die USA weiterhin eine Option?

Angerer: Auf jeden Fall. Auch Australien oder England. Ich will wie vereinbart noch ein Jahr in Frankfurt spielen, zusammen mit Desirée Schumann, der zweiten Torhüterin, weil sie ein sehr großes Talent ist. Ich wollte, dass sie von Potsdam nach Frankfurt kommt ...

SZ: ... Sie waren an Ihrem Transfer beteiligt?

Angerer: Sozusagen. Unser Manager Siegfried Dietrich hatte mich gefragt, wen er perspektivisch holen soll. Und da habe ich ihm Desirée Schumann empfohlen. Ich habe gesagt: Komm, die hat ein Riesen-Potential, die würde ich gerne noch ein Jahr aufbauen.

SZ: Und wenn Sie aus Frankfurt weggehen, haben Sie alles gut hinterlassen?

Angerer: Ja, ich würde mich freuen, wenn Desirée dann ihren Weg geht und ich sagen kann: Ich war daran beteiligt.

SZ: Wissen Sie schon, was Sie nach der WM machen?

Angerer: Ich fahre in den Urlaub, nach Nordschweden.

SZ: Campingplatz oder Hotel?

Angerer: Im Urlaub will ich kein Hotel von innen sehen. Ich brauche ein Bett und eine Hütte, mehr nicht. Ich brauche nicht mal eine Dusche, ich würde auch einen Wassereimer nehmen.

SZ: Ein ziemlicher Unterschied zu dem Standard der WM.

Angerer: Hier bin ich froh um eine ordentliche Dusche, das erleichtert schon einiges. Aber ich brauche keinen Luxus. Ich gehe vielleicht mal schön Essen im Urlaub, aber ich kann auch am Lagerfeuer mit Kartoffeln glücklich sein.

SZ: Klingt, als ob Ihre private Welt wenig zu tun hat mit der des Sports?

Angerer: Hat sie auch nicht. Als ich im Januar in Zürich bei der Preisvergabe für die Welt-Fußballerin des Jahres war, waren wir in einem Hotelzimmer für 1500 Euro. Finde ich eine Nacht auch mal toll, aber das ist nicht die Normalität, und daran sollte man sich nicht gewöhnen. Im Frauenfußball verdienen wir keine Millionen, das heißt: Wenn die Fußballkarriere mal zu Ende ist, kann man sich so ein Hotelzimmer - wie die meisten Leute eben - nicht mehr leisten. Man darf nicht vergessen, dass man auch ohne Geld entspannt und glücklich sein kann.

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