WM in Großbritannien:Wie Rugby die Welt erobert

South Africa v Japan - IRB Rugby World Cup 2015 Pool B

Japans Karne Hesketh bei der entscheidenden Aktion im Spiel gegen Südafrika

(Foto: REUTERS)
  • Der Sportart Rugby kann man sich kaum entziehen. Wer aktuell die WM verfolgt, erlebt ein großes Spektakel.
  • Große Überraschungen, starke Typen und ein umkämpfter Wettbewerb machen den Sport faszinierend.

Von Thomas Hummel

Als der Japaner Karne Hesketh das Spielgerät auf den Boden des südafrikanischen Malfelds drückte, hatte das weitreichende Auswirkungen auf die Sportwelt. Kein Zuschauer wird diesen Versuch je vergessen. Es war ein riesengroßer Herzensbrecher-Moment. In der vierten Minute der Nachspielzeit drehten die mutigen 1000:1-Außenseiter aus Asien die Partie gegen den Favoriten und feierten mit dem 34:32 die größte Überraschung in der Geschichte des Rugby.

Das Brighton Community Stadium erlebte einen Aufschrei, der beinahe die Dachkonstruktion Richtung Mars katapultierte. In den Pubs und Bars rund um den Globus (außer in Südafrika) jubelten und brüllten die Menschen, lagen sich in den Armen und hatten nur noch einen Wunsch: Japan möge die WM gewinnen.

So begann die 8. Rugby-Weltmeisterschaft in England vor vier Wochen. In Japan sahen dieses Spiel etwa 800 000 Menschen. Vier Tage später gegen Schottland saßen in dem Land 20 Millionen vor dem Fernseher. Gegen Samoa sollen es 25 Millionen gewesen sein.

Es macht den Eindruck, als würde eine Sportart gerade die Welt erobern. Die WM im sogenannten Mutterland ist das größte Spektakel, das Rugby je erlebt hat. 2,41 Millionen Eintrittskarten sind verkauft. Mit den Viertelfinalspielen am Wochenende geht das Turnier in die entscheidende Phase, doch die Atmosphäre war schon in der Vorrunde großartig, die Leidenschaft der Spieler ebenfalls. Es gab mehrere Partien, die aufwühlten.

Die großen, starken Männer aus Rumänien freuten sich wie kleine Kinder, weil sie gegen Kanada nach einem 0:15 die größte Aufholjagd der WM-Geschichte erzwungen hatten. Den georgischen Kolossen reichte ein erfolgreicher Versuch gegen Titelverteidiger Neuseeland, um sich feiern zu lassen. Die Waliser verloren im Londoner Rugby-Tempel Twickenham erst drei Spieler mit Verletzungen, wandelten aber in den letzten zehn Minuten einen Sieben-Punkte-Rückstand in den wichtigsten Sieg über den ewigen Rivalen England um. (Den Jubel in Cardiff darüber gibt es z. B. hier.)

Dass ausgerechnet der Gastgeber in dem sogenannten "Pool of Death" (Todesgruppe) mit Wales und Australien ausschied, mag für die Engländer und ihren größten Fan Prinz Harry bedauerlich sein. Für das Welt-Rugby spielt es wohl keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass die Kluft zwischen den großen Nationen und den eher jungen Rugby-Ländern kleiner wird. Spannung und ein offener Ausgang steigern den Reiz.

Kampf um Raum und Zeit

Bei jedem Spiel entsteht ein schlichter wie epischer Kampf um Zeit und Raum. Ohne Hilfsmittel und unter dem Einsatz der körperlichen Unversehrtheit. Das kann jeder verstehen und die Unerschrockenheit der Männer fasziniert. Von der wilden Rauferei um ein Ei hebt Rugby sich deshalb ab, weil in der Sportart ein strikter Ehrenkodex herrscht: Fairness und Respekt vor dem Gegner.

Schiedsrichter-Entscheidungen werden klaglos hingenommen, ein Video-Referee zur Entschlüsselung strittiger Fälle ist selbstverständlich. Fehlende Disziplin wird mit Straftritt oder Ausschluss geahndet. Wer einen ballführenden Gegner attackiert, ist dafür verantwortlich, dass diesem nichts Schlimmeres passiert. Der Weltverband sperrte deshalb im Nachhinein zwei schottische Spieler wegen gefährlicher Tacklings für den Rest des Turniers.

Zudem steht der Teamgedanke über allem. In wohl keiner Sportart ist man ohne die Hilfe seiner Mitspieler den Gegenspielern derart ausgeliefert wie im Rugby. "Ein Interview fängt ein Spieler nie mit 'Ich' an, sondern immer mit 'Wir'", erklärt Robert Mohr, Manager der deutschen Nationalmannschaft. Diese spielt übrigens als Aufsteiger in der zweiten europäischen Liga. In der Hinrunde wurden dort alle Spiele verloren, dennoch hofft der Verband, mit Hilfe des Ex-Profis Mohr ernsthaft um die Qualifikation zur WM 2019 kämpfen zu können.

An der öffentlichen Unterstützung würde es nicht mangeln. Der übertragende Sender Eurosport freut sich aktuell über hohe Einschaltquoten, fast sieben Millionen Deutsche schauten in der WM-Vorrunde zu. Die Firmen DHL, Adidas und BMW stiegen bei dieser WM als Sponsoren ein. 25 Millionen Japaner am Fernseher sind auch keine schlechte Zielgruppe.

Die japanische Mannschaft wird übrigens doch nicht Weltmeister. Sie hat zwar in der Vorrunde drei von vier Spielen gewonnen, doch aufgrund von Bonuspunkten lagen Südafrika und Schottland am Ende vorne. Enttäuschung oder Beschwerden über einen fragwürdigen Spielplan, der dem Außenseiter nur vier Tage nach dem Coup gegen Südafrika die bis dahin spielfreien Schotten einbrockte? Keine Spur. Nur Stolz auf die eigene Leistung. Und Freude darüber, dass in Japan nun jeder weiß, dass das nächste WM-Spektakel 2019 im eigenen Land stattfinden wird.

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