WM 2026 in den USA:Ahnungslos, wie es weitergehen soll

Trinidad & Tobago v United States  - FIFA 2018 World Cup Qualifier

Christian Pulisic fehlte bei der WM mit dem US-Team.

(Foto: AFP)
  • Die USA sollen gemeinsam mit Mexiko und Kanada die WM 2026 ausrichten, doch im US-Verband herrschen chaotische Zustände.
  • Neun Monate dauert die Suche nach einem neuen Nationaltrainer bereits, doch die Verantwortlichen wollen sich weiter Zeit lassen.
  • Der Fußball in den USA sucht sich gerade selbst, nachdem er sich vor vier Jahren angeblich gefunden hatte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Das Mädchen in der fünften Reihe hinter dem Tor ist begeistert, weil sie diesen Typen kennt, der gerade einen Elfmeter verwandelt hat. "Zlataaaaaaaan", ruft sie, und dieser Zlatan guckt zufrieden, weil er es mag, wenn die Leute seinen Namen rufen oder ihm auf sonstige Art huldigen. Der Vater des Mädchens jubelt ebenfalls, danach erklärt er ihr mit der Gewissheit, die nur Väter von Grundschulkindern derart überzeugend hinbekommen: "Hätte Zlatan heute für Schweden gespielt und nicht für Galaxy, dann hätte England keine Chance gehabt!" Das Mädchen nickt. Und sicherlich würde auch Zlatan nicken, hätte er das gehört, er ist jedoch mit dem Empfangen von Huldigungen beschäftigt.

Es ist Samstagabend, und den Sportfans in Los Angeles wird einiges geboten. Hier, in diesem Stadion im Süden, da demütigt der Fußballverein Galaxy vor mehr als 21 000 Zuschauern das Team von Columbus Crew 4:0. Ein paar Kilometer weiter duellieren sich die hiesigen Baseballklubs beim Stadtderby, die Dodgers gewinnen bei den Angels 3:1. Beim 96:79-Sieg der Basketballer der Los Angeles Lakers gegen die Sacramento Kings in der NBA-Sommerliga schafft der deutsche Zugang Moritz Wagner 16 Punkte und acht Rebounds, und es gibt noch ein weiteres Fußballspiel in der Stadt, in diesem neuen Stadion im Zentrum: Der LAFC besiegt Orlando City 4:1. Zuschauer: 22 000. Ausverkauft.

Nein, das ist kein Druckfehler: Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland wurden am Samstag zwei Viertelfinal-Partien ausgetragen, am selben Tag fanden in der US-Profifußballliga MLS insgesamt zehn Partien statt. Das Mädchen beim Galaxy-Spiel kennt nicht nur Zlatan Ibrahimovic, sie kennt auch die mexikanischen Brüder Giovani und Jonathan dos Santos, die fünf Tage davor im russischen Samara gegen Brasilien verloren haben und nun für Galaxy auf dem Feld stehen. Sie weiß, dass beim Lokalrivalen LAFC drei WM-Teilnehmer mitspielen, Omar Gaber (Ägypten), Marcos Urena (Costa Rica) und Carlos Vela (Mexiko). Und sie weiß, dass Gustav Svensson nicht für die Seattle Sounders aufläuft, weil er bei der Niederlage der Schweden gegen England auf der Ersatzbank sitzt. Die MLS nimmt bei ihrer Saisonplanung keine Rücksicht auf solche Nebensächlichkeiten wie eine Weltmeisterschaft.

Eine schlimme Fehlinterpretation

Das alles ist wichtig, um zu verstehen, was da gerade los ist im amerikanischen Fußball, der gemeinsam mit Mexiko und Kanada die WM 2026 ausrichten soll. Er sucht sich gerade selbst, nachdem er sich vor vier Jahren angeblich gefunden hatte: Die US-Nationalelf hatte bei der WM 2014 in Brasilien die so genannte "Todesgruppe" mit Deutschland, Ghana und Portugal überlebt und danach im Achtelfinale knapp gegen den so genannten "Geheimfavoriten" Belgien verloren.

Die Amerikaner trafen sich damals in den Bars, zahlreiche Beobachter wollten eine so genannte "Fußballbegeisterung" entdeckt haben. Es hat in der Geschichte der kickenden Menschheit nur selten eine schlimmere und Jahre überdauernde Fehlinterpretation gegeben als jene, dass der Fußball nun endlich angekommen sei in diesem Land. Die Amerikaner haben sich für die Begeisterung begeistert, sie haben sich an sich selbst berauscht und dem Nationalstolz gefrönt.

Die Nationalelf hat dann jedoch zum ersten Mal seit 32 Jahren die Qualifikation zur WM-Endrunde verpasst, nicht in einer Todesgruppe, noch nicht einmal gegen Geheimfavoriten. Die USA haben unter anderem gegen Costa Rica und Trinidad und Tobago verloren - und wer das in den vergangenen Monaten ein bisschen beobachtet hat, der dürfte zwei Dinge festgestellt haben: Den meisten Amerikanern war die Nicht-Qualifikation ziemlich gleichgültig. Im Verband, da haben sie aber so was von keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll.

Das Gegenteil von Ordnung ist nicht Chaos, sondern Planlosigkeit

Seit neun Monaten suchen sie einen Trainer für die Nationalelf, es könnte noch länger dauern, gerade haben sie den Vertrag mit Interimscoach Dave Sarachan bis zum Jahresende verlängert. Sie wollen keinen professionellen Laden-Auseinandernehmer wie Jürgen Klinsmann und keinen professionellen Laden-Zusammenhalter wie Nachfolger Bruce Arena, beide gelten gleichermaßen als verantwortlich für das Scheitern. Nur: Wen wollen sie sonst?

"Es gibt keinen Zeitplan, ein paar Monate mehr machen nun auch keinen Unterschied mehr", sagt Verbandspräsident Carlos Cordeiro. Es hat im Februar eine Kampfabstimmung um die Nachfolge von US- Verbandschef Sunil Gulati gegeben, der einstige Profi Eric Wynalda hat bei seiner Kandidatur etwa gefordert, den Spielplan der heimischen Profiliga an den internationalen Wettkampfkalender anzupassen und endlich Auf- und Abstieg einzuführen. Kathy Carter, seit 1993 im Verband, versprach eine Überarbeitung der Jugendausbildung, die in den USA weitgehend privatisiert ist und deshalb außerhalb der Reichweite des Verbandes stattfindet.

Der Verband sucht nicht bei der WM nach einem geeigneten Trainer

Das sind alles prima Ideen gewesen, gewonnen hat der einstige Gulati-Stellvertreter und Erstmal-Weiter-So-Kandidat Cordeiro, der nun über die Trainersuche sagt: "Es gibt eine Liste - und ich würde nicht sagen, dass sie kurz ist. Wir haben keine Eile und keine Panik." Heißt übersetzt: Der Verband wollte gar nicht, wie die meisten Leute geglaubt hatten, bei der WM nach einem geeigneten Auswahltrainer suchen. Sie haben vielmehr auch nach neun Monaten nicht die leiseste Ahnung, wohin sie wollen mit ihrem Verband und ihrem Fußball. Das Gegenteil von Ordnung ist nicht Chaos, sondern Planlosigkeit.

So gibt es dieses Duell zwischen Los Angeles und Columbus am Tag zweier WM-Viertelfinalspiele, und auf der Tribüne verkündet das junge Mädchen, dass sie ja eigentlich Kroatin sei. Der amerikanische WM-Sender FoxSports hatte sich zur Steigerung der Einschaltquoten mit dem Erbgut-Tester 23andMe zusammengetan. "Root for your Roots" hieß die Werbekampagne, die Amerikaner sollten ihre DNA untersuchen lassen und dann zu einer qualifizierten Nation halten, die dem Ergebnis entsprach.

Das Mädchen ist nun also für Kroatien, weil diese Wurzeln auch irgendwo - neben Schweden und Schweiz und Deutschland übrigens - im Erbgut aufgetaucht sind und weil die Kroaten bei der WM noch dabei sind. Die US-Nationalelf, sagt sie, sei ihr völlig egal. Besser könnte man den Zustand des amerikanischen Fußballverbandes nicht beschreiben. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit.

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