WM im Amateurboxen:Sicherer ohne Kopfschutz

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Als die Boxer noch Helme trugen: Jack Culcay (links) bei der WM 2009 im Kampf gegen Batyr Machmudow aus Usbekistan.

(Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Schützt ein Helm vor Verletzungen? Jahrelang gab es eine Sicherheitsdebatte im Amateurboxen. Bei der WM in Almaty ist der Kopfschutz verschwunden - weil es angeblich ungefährlicher ohne ist.

Von Benedikt Warmbrunn

An seinen vorletzten Kampf mit Kopfschutz kann sich Jack Culcay noch gut erinnern, er hatte eine hässliche Verletzung, die Physiotherapeutin musste ihn eine Stunde lang behandeln, so übel sah die Wunde aus. Die Verletzung am Bizeps war aber nicht so gravierend, Culcay konnte ein weiteres Mal mit Kopfschutz kämpfen.

Es war das Finale der Weltmeisterschaft im Amateurboxen 2009, Culcay fühlte sich manchmal unsicher, auch wenn es nur für wenige Millisekunden war. Das Problem war allerdings nicht der angeschlagene Bizeps. Das Problem war der Kopfschutz.

Im Amateurboxen gab es schon mehrere Jahre lang eine Sicherheitsdebatte, die etwas eigenartig war, stand doch in ihrem Mittelpunkt der Helm, den sich Amateurboxer jahrelang umgebunden haben. Und die Frage, ob dieser tatsächlich vor Verletzungen schützt. Die Ärztekommission des Weltverbandes AIBA hatte 2011 daher vorgeschlagen, den Kopfschutz abzuschaffen, die Funktionäre folgten eilig diesem Ratschlag.

Platzwunden und Blumenkohlohren

Die Weltmeisterschaften, die an diesem Freitag in Almaty/Kasachstan beginnen, sind das erste große internationale Turnier ohne Kopfbedeckung. "Das ist befreiend, für die Boxer und für die Zuschauer", sagt Culcay, 28, der 2009 auch im WM-Finale gewonnen hatte und seitdem als Profi boxt.

Culcay weiß, dass es weiter Bedenken gibt, ob der Kopfschutz nicht vielleicht doch mehr Sicherheit garantiert hat, er weiß, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es zu Platzwunden oder Augenverletzungen kommt, auch zu den berüchtigten Blumenkohl-Ohren. Dennoch sagt er: "Ich habe mich ohne Kopfschutz immer sicherer gefühlt."

Als er noch bei den Amateuren geboxt hat, hatte er etwa im Training nie einen Helm an, "nur so kannst du dein Auge schulen". Für die defensive Technik, sagt Culcay, sei der Kopfschutz mitunter hinderlich gewesen; neigte Culcay seinen Kopf nach links, konnte er aufgrund des Helmes etwa nicht mehr sehen, ob sein Gegner gerade einen linken Haken schlug. "Ohne Kopfschutz hast du ganz andere Blickwinkel, da kannst du dich viel besser bewegen", sagt Culcay. Jetzt bei den Profis fühlt er sich auch wohler, wenn er mal seitlich aus dem Blickfeld des Gegners rausgeht - und nicht gleich für sich selbst einen Nachteil befürchten muss.

Die eigentliche Gefahr des Kopfschutzes, sagt Culcay, liege jedoch darin, dass der Boxer durch ihn dazu neige, die eigene Deckung zu vernachlässigen. "Du achtest zu sehr darauf, selbst zu treffen und denkst, dass so ein leichter Treffer des Gegners schon nicht so schlimm sein wird."

Dabei reicht schon eine kleine Berührung, und der Kopfschutz verschiebt sich auf dem verschwitzten Kopf, er muss mit den klobigen Handschuhen wieder zurechtgerückt werden - die Sicht ist kurzzeitig noch schlechter, der Gegner im Vorteil. Angelika Fischer, die Ärztin des Deutschen Boxsport Verbandes (DBV) sagt daher: "Die Sicherheit, die der Kopfschutz bietet, ist eine Pseudo-Sicherheit."

"Alle, die bei der WM starten, freuen sich"

Fischer sitzt in der Ärztekommission der AIBA, sie befürwortet die Entscheidung, trotz der Gefahr der steigenden Platzwunden, Augenverletzungen, Blumenkohlohren. Sie verweist darauf, dass bereits bis 1984 im Amateurboxen ohne Kopfschutz geboxt wurde - und dass dieser nur eingeführt wurde, da es viele Fehlurteile gab. Der Kopfschutz sollte dafür stehen, dass sich die Funktionäre sehr wohl auch für die Anliegen der Boxer interessieren, sogar für deren Gesundheit. "Im Nachhinein kann man diesen Beschluss sicherlich hinterfragen", sagt Fischer.

Um herauszufinden, ob die Helme die Boxer tatsächlich besser schützen, hatte die AIBA-Ärztekommission 2000 Kämpfe analysiert; besonders gerne zitieren die Ärzte zudem einen Artikel aus dem British Journal of Sports Medicine. Dessen Autoren hatten über 59 Jahre 30 000 Boxkämpfe untersucht - und kamen zu dem Ergebnis, dass seit Einführung des Kopfschutzes die Anzahl der Knockouts und Abbrüche aufgrund von Kopfverletzungen gestiegen ist. "Durch das verengte Gesichtsfeld ist es sehr wahrscheinlich, dass mit einem Kopfschutz nicht mehr harte Treffer vermieden werden können als ohne", sagt Fischer.

Es gibt auch Kritiker der Reform, sie werfen der AIBA und der Ärztekommission vor, dass sie versuchen, ihre Sportart populärer zu machen, dass sie mehr Geld verdienen wollen, und dass sie dabei die langfristige Gesundheit der Boxer vernachlässigen. Fischer gibt zu, dass ihre Kollegen und sie nicht glaubwürdig vorhersagen können, wie sich der Kopfschutz dauerhaft auf die Gesundheit auswirkt; Fischer sagt aber auch, dass es bei den bisherigen Studien "extrem wenig" Boxer mit langfristigen Schäden gebe. "Entscheidend ist auch nicht, ob der Schlag etwas abgemildert wird oder nicht", sagt sie, "es kommt darauf an, wie sich die Kräfte auf den Kopf verteilen. Zu einer Gehirnerschütterung kommt es ja erst, wenn im Schädel eine Rotationsbewegung stattfindet."

Dass der fehlende Kopfschutz schnell akzeptiert wird, daran zweifelt Fischer daher nicht. Auch Culcay, der weiter Kontakt zu Amateurboxern hat, sagt: "Alle, die bei der WM starten, freuen sich, dass das Ding endlich weg ist."

Bei ihm selbst hat sich die Einstellung zum Kopfschutz in den vergangenen Jahren verändert. Als Profi boxt er in den Kämpfen ohne Kopfschutz. In Trainingsduellen trägt er dagegen immer einen. Er findet es weiter lästig. Aber die Gefahr, eine Platzwunde zu bekommen, sei einfach zu groß.

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