WM-Gold für deutsche Staffel:Emanzipation von der Strahlefrau

Das deutsche Staffel-Gold bringt überraschende Erkenntnisse: Diesmal gewinnt nicht Magdalena Neuner für alle anderen - Henkel, Gössner und Bachmann bügeln vielmehr die Fehler ihrer prominenten Teamkollegin aus. Für die Zukunft ist dies ein Zeichen, das Mut macht.

Carsten Eberts, Ruhpolding

Ihre letzte halbe Runde konnte Andrea Henkel richtig genießen. Mit fünf perfekten Treffern hatte sie gerade das letzte Stehendschießen bewältigt; damit stand fest, dass die Staffel-Weltmeisterinnen von Ruhpolding erneut aus Deutschland kommen würden. "Ich habe unterwegs schon das ein oder andere Mal gelächelt", gestand Henkel später, entgegen aller gebotenen Professionalität. Allerdings: Mit der Goldmedaille um den Hals lächelte Henkel noch ein bisschen mehr.

Germany's Bachmann, Neuner, Goessner and Henkel pose during the medal ceremony for the women 4 x 6.0 km relay race at the Biathlon World Championships in Ruhpolding

Feier nach dem Gewinn der Goldmedaille: Tina Bachmann, Magdalena Neuner, Miriam Goessner and Andrea Henkel.

(Foto: REUTERS)

Die deutsche Staffel hatte ihr Ziel dieser WM erreicht, ansonsten verlief das Rennen komplett konträr zu den deutschen Erwartungen. Bislang hatte ja Magdalena Neuner alle Medaillen verantwortet: Bronze in der Mixed-Staffel, Gold im Sprint, Silber in der Verfolgung. Neuner hatte das Team stets mitgezogen - für die Zeit nach Neuner, die sich in anderthalb Wochen bekanntlich dem Privatleben widmet, musste Schlimmes befürchtet werden.

Dann jedoch diese Staffel. Neuner ging als Zweite auf die Strecke, sollte einen Vorsprung auf die Konkurrenz herauslaufen. Doch sie schoss erst schlecht (drei Fehler), dann noch schlechter (vier Fehler), musste nach etlichen Nachladern gar in die Strafrunde, was ihre Staffel die Führung kostete. Dass Deutschland trotzdem gewann, war nicht gerade der Leistung der mittlerweile zwölffachen Weltmeisterin geschuldet. Sondern der fulminanten Aufholjagd ihrer Kolleginnen.

Wie es sich gehört, wurde dieser Umstand im Mannschaftskreis zunächst heruntergespielt. Neuner habe für die anderen Starterinnen schon so viele Staffeln gewonnen, betonte Bundestrainer Uwe Müßiggang: "Heute haben es eben die anderen für sie gewonnen."

Auch Neuner wollte den Ereignissen keine überragende Bedeutung zukommen lassen. "Die Einzelleistung zählt in so einem Moment weniger", erklärte Neuner nach ihrer vierten Medaille dieser WM: "Aber die Mädels waren super. Wir haben zusammen Gold geholt."

Es geht auch gar nicht darum, Neuners Leistung zu schmälern. Noch bei der WM 2011 in Chanty Mansijsk waren ihre drei Mitstreiterinnen schwach unterwegs, ehe Neuner als Schlussläuferin den Rückstand aufholte und schließlich zu Gold stürmte. "Jetzt steht es 1:1", witzelte Neuner später. Nein, es ist vielmehr ein gutes Zeichen, dass Deutschland neben seiner blonden Strahlefrau offenbar auch andere siegbringende Athleten hat. Vor allem, da diese blonde Strahlefrau nach der Saison aufhört.

Das letzte WM-Rennen von Magdalena Neuner

Da wäre beispielsweise Miriam Gössner. Extrem nervös sei sie vor der Staffel gewesen, erklärte die 20-jährige Zimmerkumpanin von Magdalena Neuner. Dann lieferte Gössner jedoch ihr bestes Rennen der WM: Schnell holte sie den Rückstand auf, den ihr Neuner mit auf den Weg gegeben hatte, schoss zweimal stark, besonders im Stehend-Anschlag. Zwischendurch strauchelte Gössner sogar, als sie mit dem linken Ski an einer Werbebande hängen blieb und kurz im Schnee kniete. Stoppen konnte sie das Missgeschick nicht. "Das war eines der wichtigsten Rennen, die ich je hatte", jubelte Gössner später.

Oder Schlussläuferin Andrea Henkel, für die diese WM bislang so enttäuschend verlief. Sie verteidigte den deutschen Vorsprung, den sie von Gössner übergeben bekam, mit Leidenschaft und Nervenstärke. Vor allem schoss Henkel zweimal sehr sicher, ließ keinen Hauch Nervosität erkennen. "Heute war es entscheidend, ruhig zu bleiben", sagte Henkel, "vielleicht liegt das auch an meiner Erfahrung."

Mit ihren 34 Jahren ist Henkel zweifelsohne in der Position, sich auch zu heiklen Themen zu äußern. Während andere die Leistung von Magdalena Neuner als Gesprächsthema eher mieden, sah Henkel das Zustandekommen des deutschen Sieges mit Wohlwollen.

"Bislang war es immer so, dass gefragt wurde: ,Wie geht es weiter, wenn Magdalena nicht mehr dabei ist?'", erzählte Henkel. Sie kam zu folgendem Schluss: "Wir anderen haben heute gezeigt, dass wir auch eine gute Leistung zeigen können. Das macht mich schon stolz."

Auch Gössner, die immer noch strahlte, bemerkte: "Klar wird Lena fehlen." Schließlich sei dann keine mehr da, die stets aufs Podest sprintet und so auch Druck vom restlichen Team nimmt. Gössner sagte aber auch: "Der Vorteil ist, jetzt können wir anderen auch zeigen, was wir können." Das wirkte wie eine Erlösung, fast wie eine Emanzipation.

So könnte diese Staffel ein Wegweiser sein für das deutsche Team, nicht nur für das Massenstartrennen am Sonntag, sondern vor allem für die kommende Saison. "Das macht uns viel Mut für die Zukunft", befand auch Bundestrainer Müßiggang glücklich. Im Zielbereich knieten Müßiggang und die anderen deutschen Trainer spontan vor ihrem Quartett nieder, einfach in den Schnee. So glücklich waren sie.

An einem Umstand ändert jedoch auch die deutsche Gold-Staffel nichts: In den Massenstart am Sonntag (16 Uhr, Liveticker auf SZ.de) geht nicht Gössner als Topfavoritin, auch nicht Henkel oder Bachmann. Sondern immer noch Magdalena Neuner. In ihrem letzten WM-Rennen überhaupt.

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