WM-Gastgeber China:Besessen vom eigenen Image

15th IAAF World Athletics Championships Beijing 2015 - Day Seven

Im 20-Kilometer-Gehen holte Hong Liu (li.) das erste Gold für China bei dieser WM - auch, weil Xiuzhi Lu ihr den Vortritt ließ.

(Foto: Christian Petersen/Getty Images)
  • Die Chinesen schauen bei ihrer WM vor allem darauf, was die Welt von ihnen denkt.
  • Erfolg ihrer Sportler ist dabei nicht so wichtig.
  • Liveticker und Ergebnisse der Leichtathletik-WM finden Sie hier.

Von Johannes Knuth, Peking

Den bislang kuriosesten Moment dieser 15. Leichtathletik-Weltmeisterschaften bekamen sie in China gar nicht richtig mit. Am Donnerstag war ein Kameramann dem Jamaikaner Usain Bolt mit einem Stehroller versehentlich in die Hacken gerutscht. Bolt, der neue Weltmeister über 200 Meter, überstand den Verkehrsunfall unverletzt, alle lachten herzlich. Bis auf die Zuschauer von CCTV, dem chinesischen Staatssender.

Als CCTV die WM am Abend live ins Land sendete, tauchte die Szene noch kurz auf. In diversen Abendnachrichten fehlte sie. Die Zensoren hatten sie rausgeschnitten, es war ja einer ihrer Kameramänner gewesen, dem das Missgeschick unterlaufen war. Es dauerte freilich nicht lange, ehe sich der Clip in chinesischen Internetforen verbreitete. Samt Spott für den Sender.

Nicht alle Bilder passen zur Wahrheit

Seit einer Woche ist die Leichtathletik-WM in Peking, am Sonntag geht sie zu Ende. China zeigt sich mal wieder der Welt, und nicht alle Bilder, die man sieht, passen zur Wahrheit, die dahintersteckt. Es ist schwer, aus dieser WM schlau zu werden, aber vielleicht liegt darin auch der Fehler: dass man aus Menschen schlau werden will in einem Land, das sich nicht in ein Gedankengebäude pressen lässt. Die Gegensätze in China sind groß, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, auch in dem winzigen Kosmos im Pekinger Vogelnest, in dem die Leichtathletik gerade gastiert.

In den ersten Tagen, als Sebastian Coe ins Präsidentenamt des Weltverbandes IAAF gewählt wurde, war das Wetter beißend, Smog kroch in die Lungen, Hitze drückte auf den Schädel. Seit Tagen ist der Himmel blau. Die Organisation ist an einem Tag chaotisch, am nächsten perfekt. Die heimischen Sportler scheiden mal völlig unterlegen aus, am Freitag gab es dann die erste Goldmedaille, die Geherin Hong Liu gewann vor ihrer Landsfrau Xiuzhi Lu. Was bleibt hängen von dieser WM?

In China sagen sie "cha bu duo", wörtlich heißt das: "fehlt nicht viel". Manche packt der Ehrgeiz, wenn nicht mehr viel fehlt. Das chinesische Gemüt interpretiert "cha bu duo" aber eher als Endpunkt. Passt schon. Eine WM ist aber immer auch ein offener Spalt, durch den man in ein Land hineinschauen kann, und in China sind sie besessen davon, was die Welt von ihnen denkt. Deshalb ist ihnen diese WM dann doch wieder wichtig. Sie haben 120 Millionen Dollar für den Etat zusammengebracht, mehr hat noch kein Gastgeber für eine Leichtathletik-WM ausgegeben.

Sie haben sich einige Pannen geleistet, am ersten Tag fehlte beim Marathon im Ziel ein Band, die Sportler liefen einfach weiter. Als die IAAF am 17. Juli öffentlich gerügt hatte, dass der Vorverkauf schleppend verlaufe, stand am nächsten Tag am Verbandssitz in Monaco eine chinesische Delegation vor der Tür. Sie gelobte Besserung. Zehn Tage später waren fast sämtliche 800 000 Tickets abgesetzt. Allerdings nicht am freien Markt, das Erziehungsministerium hatte allein 280 000 Karten erstanden. Man trifft im Vogelnest in diesen Tagen viele fröhlich schnatternde Schüler.

Weniger Feinstaub für den Staatschef

Das Wetter? Der Smog? Die Besucher sind zufrieden, die Chinesen völlig perplex, was wohl daran liegt, dass Peking die saubersten Tage seit Jahrzehnten erlebt. Die Feinstaubbelastung sank zuletzt auf rund 45 Mikrogramm pro Kubikmeter, pro Tag. Die Schwelle der Welt-Gesundheitsorganisation liegt bei 25 Mikrogramm. In Peking, das an den meisten Tagen unter einem Smogdeckel liegt, ermitteln die Messstationen im Durchschnitt Werte um 150 Mikrogramm. Vor der WM hatten sie im Schwerindustriegürtel rund um die Hauptstadt 10 000 Stahl-, Zement- und Glasfabriken heruntergefahren, allerdings nicht, weil die Leichtathletik zu Gast ist.

Am 3. September rollt eine Militärparade durchs Stadtzentrum, Staatspräsident Xi Jinping hat aufgerufen, das 70. Jubiläum zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu feiern. Offiziell heißt das Ganze "Feier zum Sieg über den Faschismus und gegen die japanische Aggression". Inoffiziell feiert sich vor allem Jinping selbst. Da müssen die Bilder natürlich perfekt sein. "Xi-Jinping-Blau", so nennen viele Pekinger den bereinigten Himmel, "Anti-Faschismus-Blau" die anderen. In den letzten Tagen haben sich die meisten auf "Faschismus-Blau" geeinigt. Die Leichtathletik profitiert also auch davon, dass Xi Jinping sich in diesen Tagen als mächtiger Herrscher inszeniert, die Macht immer fester umklammert. Gleichzeitig haben sie in der Stadt Plakate aufgehängt, auf denen steht: "Leichtathletik für eine bessere Welt."

Die Wettkämpfe selbst tauchen nur ab und zu in den Nachrichtenspalten auf. Die heimischen Sportler haben mittlerweile in die WM reingefunden, einmal Gold, viermal Silber und einmal Bronze haben sie vor dem Wochenende gewonnen, nicht schlecht für ein Land, in dem die Leichtathletik nicht allzu tief wurzelt. Am Samstag bewirbt sich noch der Hochspringer Guowei Zhang mit seinen bislang gezeigten 2,38 Metern für eine Medaille. Sie haben gezielt Trainer eingekauft für Disziplinen, in denen am leichtesten etwas zu holen ist, den ehemaligen DLV-Trainer Dieter Kollark fürs Kugelstoßen, den Italiener Renato Canova für die Langstrecke. Canova, 70, hat viele afrikanische Spitzenläufer ausgebildet, er spricht Englisch mit italienischem Akzent, ohne Punkt und mit vielen Kommas.

"China, itse very muche different, you know?"

Kein Anreiz, schnell zu laufen

In China, sagt Canova, gehen die Schüler zum Badminton, Tischtennis oder Turnen, nicht zur Leichtathletik. Manche nehmen an Geher-Wettbewerben teil, wenige laufen, das lassen die Betonstreifen in den Städten kaum zu. Yinlie He, eine von Canovas Marathonläuferinnen, spulte vor kurzem 40 Kilometer im Stadion ab, sie lief 100 Runden im Kreis. "Es gibt in China ein dummes System", findet Canova. Die Sportler können sich bei einer Handvoll Wettkämpfe für die Asienspiele qualifizieren, je besser sie sich platzieren, desto mehr Punkte bekommen sie; die Zeiten sind egal.

"In den vier Jahren zwischen den Olympischen Spielen gibt es keinen richtigen Anreiz, schnell zu laufen", sagt Canova, er ist jetzt in Fahrt, "die Mentalität chinesischer Sportler zielt meiner Meinung nach auch sehr aufs Training ab. Aber Leichtathletik ist Wettkampf. Du musst dich mit den Besten der Welt messen, vor allem in den Laufwettbewerben. Da ist die taktische Komponente sehr wichtig."

Am Sonntag laufen die Frauen ihren Marathon, Canova hatte sich für die Chinesinnen gute Chancen ausgerechnet. Eine seiner besten Läuferinnen ist eine gewisse Changqin Ding, bei den Asienspielen 2014 war sie Zweite. Für die WM lud der Verband sie aber aus. Ding habe häufiger laufen und Geld verdienen wollen, teilten sie Canova mit: Und das widerspräche ihren Prinzipien.

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