Süddeutsche Zeitung

Deutschland verliert gegen Schweden:Der Schmerz hallt nach

  • Deutschland verliert das Viertelfinale der Fußball-WM in Frankreich gegen Schweden.
  • Lina Magull trifft zur frühen Führung, doch Schweden dreht die Partie.
  • Die Skandinavierinnen treffen im Halbfinale auf die Niederlande.

Von Anna Dreher, Rennes

Lina Magull lief den engen Gang in den Katakomben des Stadions Roazhon Park entlang, vorbei an den Journalisten, den Kopf gesenkt. "Muss ich stehen bleiben?", fragte die Mittelfeldspielerin leise. Und weil sie die Antwort schon kannte, stand sie längst. Die Augen gerötet von Tränen. Magull hat in ihrer Karriere schon oft Spiele verloren, aber es gibt Niederlagen, die tun mehr weh als andere, weil der Schmerz noch lange nachhallt. Nicht nur einen Abend, nicht eine Woche, sondern bis ins nächste Jahr.

Magull hatte eben mit der deutschen Fußballnationalmannschaft vor 25 301 Zuschauern im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1:2 (1:1) gegen Schweden verloren. Und damit auch die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 verpasst. Nur die besten drei europäischen Mannschaften dieses Turniers dürfen auch für Tokio ihre Koffer packen - und andere waren bei der WM nun mal besser. Am Donnerstag hatte es England als erstes ins Halbfinale geschafft, am Freitag folgten die USA, am Samstagmittag die Niederlande und schließlich am Abend auch der nächste Gegner des Europameisters.

"Wir haben uns nach dem Gegentor aus der Ruhe bringen lassen, was total unnötig war. Wir waren gut im Spiel, haben den Ball gut laufen lassen. Aber insgesamt waren wir zu ungeduldig", sagte Magull. "Das ist jetzt einfach alles brutal scheiße. Dass wir die Olympia-Quali nicht geschafft haben, ist ziemlich bitter." Von der Freude, die sie in der 16. Minute gespürt und beim gesamten deutschen Team ausgelöst hatte, war nichts mehr zu spüren. Nur noch Enttäuschung.

Nach einem nervösen Start fing sich die Mannschaft und spielte mit mehr Übersicht. Vor allem Magull war an guten Kombinationen beteiligt, beschäftigte die Schwedinnen mit ihrer feinen Ballbehandlung - und brachte Deutschland schließlich in Führung. Sara Däbritz fing einen Pass ab, erwischte zur Weitergabe des Balls genau den richtigen Moment und Magull zog mit einer Art Seitfallzieher in der 16. Minute zum 1:0 ab. Doch nur sieben Minuten später trat ein, was von den intensiven Analysen bekannt war und also aus deutscher Sicht umso weniger hätte eintreten dürfen: Linda Sembrandt spielte einen langen Ball, Marina Hegering stand zu weit vorne und verpasste ihn mit ihrem Sprung. Sofia Jakobsson nahm dankend an, rannte Sara Doorsoun und Carolin Simon davon und überwand schließlich auch noch Torhüterin Almuth Schult zum 1:1-Ausgleich (23.).

"Dass uns dieser eine lange Ball rausbringt, darf nicht passieren. Ich war noch dran, wenn ich den halte, läuft das Spiel ganz anders", sagte Schult. "Wir hatten genau das vorher analysiert. Es ist einfach blöd, dass es dann genau so passiert, wie wir es ja schon erwartet hatten." Statt schon vorher ein Mittel gegen die gefährlichen langen Pässe der Schwedinnen zu finden oder dann entsprechend auf den - ja noch frühen - Ausgleich zu reagieren, wirkte die Mannschaft verunsichert. Ballverluste und Fehlpässe taten ihr Übriges. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg versuchte von außen, ihre Spielerinnen zu lenken. Dass es nicht gelang lag auch an der defensiven Stabilität, die Schweden nach dem Ausgleich aufrechterhalten konnte. Die deutsche Defensive, die bis Samstag als noch einzige im Turnier ohne Gegentor geblieben war, war nicht so hellwach, wie sie es hätte sein müssen. "Nach einem Ball, der zum Tor führt, ist unser Spiel komplett verloren gegangen", bestätigte Torhüterin Schult diesen Eindruck.

Es war ein besonderes Spiel gewesen in vielerlei Hinsicht. Es ging auch darum, eine 24 Jahre alte Serie zu durchbrechen. Schwedens und Deutschlands Fußballerinnen waren sich vor diesem Tag in 28 Partien begegnet, 20 davon konnte Deutschland gewinnen. Diese Zahlen schwebten schon die ganze Woche über diesem Spiel. Auch wenn die Spielerinnen oft betonten, darauf keinen Wert zu legen - auf deutscher Seite. Die Skandinavierinnen hingegen waren verbal sehr offensiv aufgetreten, diesen in Sätzen ausgedrückten unbedingten Siegeswillen brachten sie an diesem Sommerabend besser auf den Platz.

Den ersten kleinen Sieg hatte Schweden schon vor dem Anpfiff gefeiert: Voss-Tecklenburg, 51, wechselte zwar auch an diesem Tag durch. Keines der bisherigen vier Spiele hatte die Bundestrainerin mit der gleichen Startelf begonnen. Dzsenifer Marozsán aber stand nicht von Anfang an - wie von Schweden befürchtet - auf dem Platz. Beim Auftakt gegen China vor drei Wochen hatte sich die 27 Jahre alte Champions-League-Siegerin den mittleren Zeh im linken Fuß gebrochen. Erst gegen Nigeria saß die Spielmacherin wieder auf der Bank, musste beim ungefährdeten 3:0-Sieg jedoch nicht eingesetzt werden. Schwedens Respekt vor Marozsáns WM-Comeback speiste sich nicht nur aus ihrer ganz grundsätzlichen Stärke. Sondern auch aus ihren Toren in zwei wichtigen Spielen der jüngeren Geschichte gegen Schweden. Sie entschied mit ihren präzisen Schüssen das Olympiafinale 2016 (2:1) und das EM-Halbfinale 2013 (1:0). Am Samstag aber konnte auch sie nach ihrer Einwechslung zur zweiten Halbzeit keinen Einfluss auf das Ergebnis nehmen.

Wirklich eingeschüchtert wirkten die Schwedinnen dadurch auch nicht. Alles zusammen führte zum nächsten Schlag: In der 48. Minute landete ein von Jakobsson gespielter Ball erst bei der freistehenden Fridolina Rolfö, deren Kopfball Schult mit einer guten Parade vom Tor ablenken kann. Aber Stina Blackstenius wartete schon, bei ihrem Nachschuss aus der Nähe zur 2:1-Führung war Schult dann machtlos. "Wir müssen es besser verteidigen", sagte Voss-Tecklenburg. "Nach dem Rückstand mussten wir viel investieren, Schweden kann gut verteidigen. Uns hat auch etwas Spielglück gefehlt, das tut weh. Wir hatten nach vorne nicht ganz die Durchschlagskraft. In einigen Phasen haben uns die Konsequenz und der Mut gefehlt. Wir werden daran wachsen."

Die eingewechselte Lena Oberdorf hätte Deutschland zurück ins Spiel bringen können, als sie in der 86. Minute einen Kopfball links am Tor vorbei setzte. Auch Hegering hatte in der Nachspielzeit die Chance dazu. Doch der deutsche Tross wird sich nun am Sonntag auf den Rückweg nach Hause machen - und nicht nach Lyon.

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