DFB-Team bei der WM:Popp verwandelt sich im Zeitraffer

Alexandra Popp Germany Virginia Torrecilla Spain during the FIFA Women s World Cup France 2019 G; Popp

Für Tore und Grätschen zuständig: DFB-Kapitänin Alexandra Popp (li.).

(Foto: imago images / AFLOSPORT)
  • Kapitänin Alexandra Popp steht exemplarisch für die Flexibilität der deutschen Fußballerinnen.
  • Die Stürmerin zieht sich beim 1:0 gegen Spanien ins Mittelfeld zurück, wo sie die Unordnung im deutschen Spiel ausgleicht.
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Von Anna Dreher, Valenciennes

Kurz vor Anpfiff wollte Dzsenifer Marozsán ihren Mitspielerinnen unbedingt noch etwas mitteilen. Aber sie war nicht dort, wo sie zu hören gewesen wäre, sie stand nicht Arm in Arm mit den anderen auf dem Rasen beim zweiten Gruppenspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Spanien. Marozsán, 27, saß auf der Tribüne des Stade du Hainaut in Valenciennes, nahm ihr Handy, filmte den Schlachtruf und sendete über soziale Medien jene Botschaft, die die eigentlichen Adressaten erst viel später sehen würden: ALLEZ MAXIMAL LADIES, schrieb sie dazu, in lauten Großbuchstaben.

Mehr war von ihr dann erstmal nicht zu hören bei diesem Spiel, das Sara Däbritz mit dem 1:0 (42.) entschied und das die Gruppenführung bei der Weltmeisterschaft in Frankreich brachte. Als Zuschauerin nicht eingreifen zu können, wird sie noch mehr geschmerzt haben als ihr gebrochener Zeh. Marozsán, die nach einem Tritt auf ihren linken Fuß für die Vorrunde ausfällt, ist sonst der Dreh- und Angelpunkt der DFB-Elf und kaum zu ersetzen. Das Fehlen der Regisseurin machte große Veränderungen im Team notwendig.

Dass sie von ihren Spielerinnen sehr viel Flexibilität fordert, hatte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, 51, stets betont, seit sie das Amt übernahm - und die WM zeigt, dass sie es ernst meint. Zwar basieren ihre Entscheidungen grundsätzlich auf einer gewissen Freiwilligkeit, aber in sportlicher Not muss gehandelt werden. Dann Spielerinnen im Kader zu haben, die ihren Stil verändern, die über diverse Positionen rotieren können, hilft enorm.

Ein Phänomen, das im modernen Männerfußball nicht bekannt ist

Exemplarisch für die Flexibilität steht Alexandra Popp, 28, die Kapitänin ist eine wahre Verwandlungskünstlerin. Eigentlich ist sie bekannt als zielstrebige Stürmerin. Und das in diversen Systemen. In Spiel eins gegen China war sie im 4-2-3-1 als alleinige Spitze nominiert. In Spiel zwei gegen Spanien startete sie im neuen 4-4-2 vorne neben Svenja Huth. Popp mühte sich, rackerte, gestikulierte, schrie, wirkte unzufrieden und genervt. Sie versuchte, ins Spiel zu kommen, doch ein Tor wollte ihr nicht gelingen. Im Gegenteil: In den freien Räumen dominierten die Spanierinnen mit ihren feinen Kombinationen.

Dann verwandelte sich Popp.

Und es war ein Phänomen zu bestaunen, das im modernen Männerfußball nicht bekannt ist. Gut, es gibt Spieler, die beginnen ihre Laufbahn in offensiver Rolle und enden als Libero - Lothar Matthäus war so einer. Popp aber vollzog die strategische Verwandlung im Zeitraffer, in einem einzigen Spiel, binnen weniger Minuten. Als die Münchnerin Lina Magull nach 64 Minuten eingewechselt wurde, zog sich Popp zurück. Aus der Spitze ins defensive Mittelfeld, auf die Sechserposition. Um es zu veranschaulichen: Das wäre so, als würde Robert Lewandowski beim FC Bayern plötzlich grätschend die Drecksarbeit am eigenen Strafraum verrichten. Einen solchen Rollentausch haben die Männer nahezu nie in ihrem methodischen Repertoire. Dass es doch geht, hat Popp am Mittwoch zum Erstaunen vieler vorgeführt.

Oft ist es Popp, die Bein und Körper dazwischen wirft

Das 1:0 hatte sie mit einem scharfen Kopfball, den Spaniens Torfrau Sandra Panos nur abprallen lassen konnte, selbst vorbereitet. Dann rückte sie auf der Bühne zurück, um in der Verteidigung mitzuarbeiten. Sie war die Allzweckspielerin. Die vorbildliche Kapitänin, die präsentierte, wie groß ihr Einfluss auf dieses Team ist. Die ihre Energie auf dem gesamten Platz entfalten konnte. Oft war es Popp, die Bein und Körper dazwischen warf, als die Gegnerinnen verzweifelt auf den Ausgleich drängten. Eine Stürmerin sorgte als Verteidigerin dafür, dass Spanien die Eleganz verlor.

Auch in der Bundesliga beim VfL Wolfsburg wird sie flexibel eingesetzt. In der Offensive ist der Doublesieger mit der Dänin Pernille Harder Dänemark und der Polin Ewa Pajor gut besetzt; Popp ist dort deshalb keine Stürmerin mehr, sie verbrachte fast die gesamte Saison im linken Mittelfeld. Im Champions-League-Viertelfinale wechselte sie dann auf die Sechs; jener Position, in der sie in Valenciennes half, den Sieg gegen Spanien über die Zeit zu retten.

Wie geht man damit um, in einem einzigen Spiel an so vielen Orten aufzutauchen? "Als ich gewechselt bin, habe ich nicht viel darüber nachgedacht", sagte Popp: "Ich habe mich einfach reingekämpft und bin in jeden Ball reingegangen. Das war wichtig." So redet eine, die ihre erste Pflicht darin sieht, der Mannschaft zu assistieren. Es war augenfällig, wie sich keine zu schade war, für die anderen zu wirken. Auf den kurzen oder den ganz langen Wegen.

Natürlich gab es später interne Kritik, schließlich wurde Popp als Nothelferin zurückgezogen, weil im Mittelfeld die Löcher zu groß waren, weil die deutsche Elf zunächst sehr porös gewirkt hatte. "Wir haben uns selbst in die Bredouille gebracht", sagte Popp. "Die Kommunikation zwischen den Mannschaftsteilen muss besser werden, sonst laufen wir nur hinterher."

Doch Flexibilität ist ein Merkmal dieser Mannschaft. Popp ist ja nicht allein, im Gegenteil. Auch die Jüngsten, Lena Oberdorf, 17, oder Giulia Gwinn, 19, sah man schon auf diversen Positionen. Es könnte die taktische Stärke dieser deutschen WM-Elf werden: Niemand weiß, wer gerade wo ist.

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