Süddeutsche Zeitung

Niederlage gegen Schweden:"Einfach brutal scheiße"

  • Die deutschen Spielerinnen sind fassungslos nach der Niederlage gegen Schweden.
  • Das Team wusste vorher, dass Schweden mit langen Bällen arbeiten würde. Trotzdem fällt so das erste Gegentor bei der WM.
  • Durch das Aus im Viertelfinale wird die deutsche Mannschaft auch an den Olympischen Spielen in Tokio nicht teilnehmen.

Von Tim Brack, Rennes

Melanie Leupolz hatte keine Minute gespielt, in der Mixed Zone musste sie dennoch erst einmal durchatmen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an eine Wand, hielt inne, suchte Halt. Das Viertelfinal-Aus gegen Schweden hatte sie getroffen, ihre Gefühlswelt durcheinandergewirbelt. In engen K.-o.-Spielen wie dem 1:2 (1:1) der DFB-Elf im WM-Viertelfinale gegen Schweden gibt es ja immer diese Hoffnung, dass eine der Chancen am Ende vielleicht doch noch reinfällt. Der Glaube an die rettende Verlängerung. Erst der Schlusspfiff raubte der deutschen Mannschaft ihre Hoffnung gänzlich.

Leupolz verharrte nur wenige Augenblicke in dieser Starre, dann stieß sich die 25-Jährige von der Wand ab und sagte: "Ich bin noch am Verdauen. Es ist schwer, von außen zu sagen, woran es lag." Auf Leupolz folgten nach und nach die deutschen Spielerinnen, aus ihren Worten sprachen Schmerz und Ratlosigkeit über das vorzeitige Aus. Das sei alles "einfach brutal scheiße", sagte Lina Magull. "Ich kann das alles noch nicht so glauben und fassen", sagte Giulia Gwinn. "Es ist einfach extrem bitter im Moment. Ich finde keine richtigen Worte gerade."

Die 19-Jährige wusste mit dieser Situation genauso wenig umzugehen wie die deutsche Mannschaft zuvor mit den Rückschlägen auf dem Platz. Gegen Schweden lag das Team von Martina Voss-Tecklenburg erstmals in Frankreich zurück. In den vier Partien zuvor war es ohne Gegentor geblieben. Es war eine ungewohnte Situation, mit der die DFB-Elf überfordert schien. Nach dem Ausgleich durch Sofia Jakobsson (22.) hatte Schweden direkt nach der Pause durch Stina Blackstenius den Führungstreffer erzielt. "Das war kein gutes Gefühl hinterherzulaufen, wir haben aber trotzdem nicht aufgegeben. Man hat gesehen, dass wir unbedingt wollten", sagte Gwinn. Die Bereitschaft sprach Bundestrainerin Voss-Tecklenburg ihrer jungen Mannschaft ausdrücklich nicht ab. Sie erkannte aber: "Es hat über die gesamte Spieldauer sicherlich an ein paar anderen Dingen gefehlt, deswegen haben wir das Spiel heute nicht gewonnen."

Die Schwächen bei hohen Pässen über das Abwehrzentrum waren augenscheinlich. "Wir wussten, dass die Schweden lange Bälle spielen werden", sagte Sara Doorsoun. Verhindern konnte die DFB-Elf dieses Stilmittel dennoch nicht. "Wir hätten es einfach viel cleverer verteidigen müssen", sagte die Innenverteidigerin. Auch in der Offensive entwickelte die deutsche Mannschaft insgesamt zu wenig Durchschlagskraft. Erst in der Schlussphase, als jede Flanke und jeder Pass von Verzweiflung begleitet wurden, waren die DFB-Spielerinnen dem Ausgleich und damit einer Verlängerung nahegekommen. Die Kopfbälle von Marina Hegering und Lena Oberdorf hatten das Ziel jedoch knapp verfehlt.

Als Oberdorf, 17, in der Mixed Zone sprach, waren ihre Tränen getrocknet, ihr Körper aber war gezeichnet von der Enttäuschung über dieses Aus: die Augen gerötet, die Stimme zitterte bei den ersten Worten. Oberdorf wollte keine Aufmunterung darin finden, dass sie mit großer Sicherheit noch an weiteren Weltmeisterschaften teilnehmen wird. "Dass ich die Jüngste bin, tröstet mich nicht wirklich", sagte die Mittelfeldspielerin. "Ich wollte weiterkommen. Das ist eine überragende Mannschaft und wir hätten es schaffen können, ganz groß rauszukommen."

Es sah zunächst auch danach aus, dass diese Mannschaft "ganz groß" rauskommen könne. "Wir sind relativ gut ins Spiel gekommen, haben Schweden unser Spiel aufgedrückt", sagte Giulia Gwinn. Lina Magulls Führungstreffer (16.) spiegelte die Dominanz wieder. Doch nach dem Ausgleich kollabierte das deutsche Team ein Stück weit in der Hitze des Roahzon Parks von Rennes. "Wir haben uns das Spiel nehmen lassen", sagte Gwinn, "da waren die Schwedinnen in den Zweikämpfen bissiger, einen Schritt früher dran."

24 Jahre lang hatte die deutsche Mannschaft zuvor kein wichtiges Duell bei einer WM, EM oder Olympia gegen Schweden verloren. Die Niederlage wirft das Projekt von Martina Voss-Tecklenburg in doppelter Hinsicht zurück. Es entgeht das Halbfinale und damit auch die Qualifikation für Olympia in Tokio. Schweden, die Niederlande und England werden 2020 als die drei besten europäischen Mannschaften dorthin reisen. "Es schmerzt unglaublich", sagte Torhüterin Almuth Schult. "Jetzt muss man halt die Pille schlucken, dass wir nächstes Jahr kein Turnier haben, in dem wir den deutschen Frauenfußball repräsentieren können."

Solche Turniere sind für die Wahrnehmung des Frauenfußballs in der Öffentlichkeit immens wichtig. "Ich hoffe, dass die Menschen da draußen eins gesehen haben", sagte Voss-Tecklenburg, "dass diese Mannschaft Potenzial hat, dass diese Mannschaft eine Zukunft hat und dass wir die Unterstützung brauchen, die diese Mannschaft verdient hat." Die Bundestrainerin will sich durch das Viertelfinal-Aus nicht in ihrem Weg beirren lassen. "Das darf für uns kein Rückschlag sein, wir müssen uns neue Ziele setzen", sagte Voss-Tecklenburg. "Wir müssen diesen Prozess jetzt weitergehen, vor allem müssen wir aus dieser Niederlage wachsen und Stärke gewinnen." Aber erst einmal müssen die Spielerinnen das Aus verdauen.

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