WM 2010: Frankreich:Trainer Domenech, der wunderliche Wassermann

Nach dem Skandal um Nicolas Anelka steckt Frankreich bei der Fußball-WM tief in der Krise. Sündenbock ist wieder mal Trainer Raymond Domenech. Wie er das aushält? Das steht in den Sternen.

Michael König

Es ist nicht die Art des Trainers und Gentlemans Ottmar Hitzfeld, einem Kollegen Ratschläge zu geben. Diesmal konnte er nicht anders: "Wenn mir so etwas passieren würde, dann würde ich Tschüß sagen", meinte der Schweizer Nationalcoach. Auch Hitzfeld hatte mitbekommen, was sich sein französischer Trainerkollege Raymond Domenech in der Halbzeitpause des Spiels gegen Mexiko von Stürmerstar Nicolas Anelka hatte anhören müssen: "Va te faire enculer, sale fils de pute", soll der Stürmer gesagt haben. Zu Deutsch: "F... dich in den A...., du dreckiger Hurensohn."

Raymond Domenech

Wassermänner sollen zum Verdrängen von Konflikten neigen. Blieb Frankreichs Trainer, der Hobbyastrologe Raymond Domenech, deswegen so ruhig, als seine Mannschaft das Training verweigerte? Als spontan eingesetzter Pressesprecher verlas Domenech sogar noch die Erklärung der Spieler.

(Foto: ap)

Einem Trainer wie Hitzfeld hätte das gereicht, um Anelka für alle Zeiten aus der Nationalelf zu verbannen. Bundestrainer Joachim Löw reichte bekanntlich die vergleichsweise harmlose Stadionflucht des Kevin Kuranyi, um den Schalker zur persona non grata in der DFB-Elf zu machen.

Frankreichs Domenech jedoch hatte zunächst gar nicht vor, Anelka wegen dessen Beschimpfung aus dem Team zu werfen. Das Verhalten des Stürmers sei "nicht das beste gewesen, aber ich hätte das intern geregelt", sagte er. Erst die Veröffentlichung der Schmähung auf der Titelseite der französischen Sportzeitung L'Équipe bewog ihn dazu, Anelka nach Hause zu schicken - nachdem dieser eine öffentliche Entschuldigung abgelehnt hatte.

Für die Franzosen war es ein Grund mehr, über ihren Trainer den Kopf zu schütteln. Domenech tickt anders, sagen freundlichere Kommentatoren. Weniger freundliche sagen, Domenech ticke nicht richtig.

Allen Kritikern ist gemein, dass sie den Trainer zur Wurzel allen Übels erklären. Er allein sei daran schuld, dass Frankreich im letzten Vorrundenspiel am Dienstag gegen Südafrika um den Einzug ins Achtelfinale bangen muss. Und er sei auch der Grund dafür, dass das Team heillos zerstritten ist.

Am Tag nach dem Rauswurf Anelkas hatten sich Franck Ribéry und Co. geweigert, unter diesem Raymond Domenech zu trainieren. Das Konditionstraining fiel aus, die Spieler versammelten sich im Bus. Der Trainer konnte oder wollte den Boykott nicht verhindern, er verlas sogar eine Erklärung der Spieler, in der sie die Suspendierung Anelkas kritisierten. Domenech tat das einigermaßen ungerührt - dabei ist seine Mannschaft gerade dabei, ihm den letzten großen Auftritt auf der WM-Bühne zu verderben: Er wird nach dem Turnier von Laurent Blanc, dem Weltmeister von 1998, abgelöst.

Nach der Arbeitsverweigerung vor der versammelten Presse ließen sich die Fußballer zurück ins Hotel fahren. Frankreichs Sportministerin Roselyn Bachelot verlängerte auf Anordnung von Staatspräsident Nicolas Sarkozy ihren Aufenthalt in Südafrika und berief ein "Krisentreffen" mit Teamkapitän Patrice Evra, Domenech und dem Präsidenten des Nationalverbands FFF, Jean-Pierre Escalettes ein. Escalettes war Domenech nach der Demission Anelkas in den Rücken gefallen, als er sagte: Nach seinem Rauswurf habe sich der Stürmer "absolut würdevoll und nobel verhalten".

Schulmeisterlicher Ton

Daheim in Frankreich ist die Bestürzung über das Chaos groß. "Wo fing das alles an?", fragt die Zeitung Le Monde auf ihrer Website und antwortet: Mit dem Handspiel von Thierry Henry, das den Franzosen am 18. November 2009 im entscheidenden Relegationsspiel gegen Irland die Qualifikation rettete. Die Probleme mit Domenech aber reichen noch viel weiter zurück.

Schon die Berufung des geborenen Lyoners zum Nationaltrainer im Jahr 2004 hatte Kritik hervorgerufen: Fans und Medien hatten Weltmeister Blanc und Europameister Jean Tigana als Favoriten gesehen. Kaum im Amt, geriet der "verrückte Professor" in den Verdacht, Zinedine Zidane aus dem Team geekelt zu haben. Als Frankreich in der WM-Qualifikation 2006 zu scheitern drohte, kam Zidane aus freien Stücken zurück und führte das Team bis ins Finale gegen Italien. Heute wird der französischen Fußball-Legende nachgesagt, er revanchiere sich mit einer Intrige gegen den Trainer.

Nach seiner Berufung hat Domenech neue Umgangsregeln eingeführt: Er verhängte eine Schienbeinschoner-Pflicht und verbot den Gebrauch von Handys im Bus und auf der Massagebank. Der damalige Nationalspieler und Arsenal-Star Robert Pires schimpfte: "In unseren Besprechungen komme ich mir vor wie in der Schule. Wir werden behandelt wie unerfahrene 20-Jährige, so als stünden wir alle am Anfang unserer Karriere."

Obwohl er in London brillierte, hatte Pires einen besonders schweren Stand bei Domenech. Der Grund: Pires ist im Sternzeichen des Skorpions geboren - und der überzeugte Hobby-Astrologe Domenech wollte herausgefunden haben, dass Skorpionen nicht zu trauen sei. Auch Verteidigern vom Sternzeichen Löwe duldete der Trainer nur ungern in seinem Kader. In einem Interview soll er einst gesagt haben: "Wenn ein Löwe in meiner Abwehr spielt, halte ich bei jeder seiner Ballberührungen die Luft an."

Astrologische Spielstrategie

Domenech ist im Sternzeichen des Wassermanns geboren, Aszendent Jungfrau. Anelka ist ein Fisch, also auch im feuchten Element zu Hause. Ist das der Grund, warum der Trainer ihn trotz der obszönen Worte nicht direkt hatte feuern wollen? Die französischen Medien trauen ihrem Trainer mittlerweile alles zu: "Weltmeister der Lächerlichkeit", titelte L'Équipe.

Vielleicht liegt die Nachsicht aber auch darin begründet, dass Domenech zu aktiven Zeiten ebenfalls kein Kind von Traurigkeit war. In 433 Erstligaspielen für Olympique Lyon, Racing Straßburg, Paris St. Germain und Girondins Bordeaux erwarb er sich den Ruf eines säbelbeinigen, kompromisslosen Verteidigers. Bereits im Alter von 16 Jahren hatte er einem Gegenspieler das Bein gebrochen.

Seine Trainerkarriere begann der Mann beim Zweitligisten FC Mulhouse, bevor er zu seinem Heimatverein Olympique Lyon wechselte. Im Juli 1993 stieg er in die Nachwuchsarbeit des französischen Verbands ein, 2004 wurde er Nationaltrainer. Wie schon seinem Vorgänger Jacques Santini gelang es Domenech nicht, in die großen Fußstapfen von Aimé Jacquet zu treten, der Frankreich 1998 zur Weltmeisterschaft gecoacht hatte.

Die Kritiker gingen alsbald so hart mit Domenech ins Gericht, wie der als Spieler einst selbst verteidigt hatte. Der Rücktritt wurde ihm x-mal nahe gelegt, doch der "Lyoner mit dem grauen Wuschelkopf und dem traurigen Blick" (FAZ) blieb auf seinem Posten. "Ich befehle nicht wie ein General; ich sehe mich als ein Oberst, der die Geschicke lenkt", sagte Domenech einmal und bekannte, er lese nicht alles, was die Leute über ihn schreiben. "Denn sonst hätte ich mich längst umbringen müssen".

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