WM-Finale:Schweinsteiger verewigt sich als Ironman

Germany v Argentina: 2014 FIFA World Cup Brazil Final

Endlich am Ziel angekommen: Bastian Schweinsteiger

(Foto: Getty Images)

Er steht immer wieder auf. Mit Blut im Gesicht, mit Krämpfen in den Beinen. Bastian Schweinsteiger übernimmt nach dem plötzlichen Ausfall von Khedira im WM-Finale allein die Verantwortung. Nach dem Schlusspfiff packen ihn die Gefühle.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Von der Tribüne aus sah es fürchterlich aus. Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und ein Kollege beugten sich über den auf dem Rücken liegenden Bastian Schweinsteiger. Er hatte gerade von Sergio Agüero einen Schlag erhalten. Aus einer Wunde unter dem rechten Auge rann Blut über das Gesicht. Es war nicht zu sehen, was da vor sich ging. Doch Schweinsteigers Beine zuckten.

Es lief die 108. Minute und auch wenn Theaterfreunde das nicht gerne haben: Dieses Fußballspiel musste längst episch genannt werden. Zu viele Geschichten spielten sich auf dem Rasen ab, den beide Mannschaft dazu nutzten, sich gegenseitig alle Kräfte abzuverlangen. Die Geschichte von Bastian Schweinsteiger schien jetzt kein gutes Ende zu nehmen.

Viel später, als der Weltenlauf längst eine schöne Wendung für die Deutschen genommen hatte, stand Schweinsteiger im Bauch des Estádio do Maracanã und gab Interviews. Das kommt selten vor, weshalb er sich ein besonderes Gewand ausgesucht hatte. Er trug als Rock ein deutsches Trikot, das von früheren Weltmeistern signiert worden war und seit Beginn des Turniers als eine Art Glücksbringer in der Kabine hing. Er sagte: "Wir haben nicht demokratisch abgestimmt, wer es bekommt. Ich fand es cool."

Schweinsteiger gab sogar den internationalen Medien Auskünfte auf Englisch, er sprach im Fernsehen. Er wirkte wie einer, der am Ziel angekommen ist. 1:0 in der Verlängerung gegen Argentinien. Weltmeister. In Brasilien. Mit einer phänomenalen Leistung, die ihm noch vor drei Wochen niemand zugetraut hätte. Vielleicht nicht einmal er selbst.

Khedira und Kramer verloren

Der Mann aus Oberaudorf in Oberbayern hat sich verewigt in diesem WM-Finale. Es lief wahrlich nicht ideal für das deutsche Team. Es brauchte einen, der Verantwortung übernahm. Es brauchte einen Bastian Schweinsteiger in Topform. Es bekam mehr.

Der 29-Jährige hatte zu Beginn seinen Mitstreiter Sami Khedira wegen einer Wadenverletzung verloren. Dann verlor er dessen Ersatzmann Christoph Kramer wegen einer Gehirnerschütterung. Dabei sollte Schweinsteiger zusammen mit ihnen den zauberhaften Lionel Messi stoppen. Zudem das eigene Spiel aus dem Zentrum heraus anleiten. In seiner Not beschloss Schweinsteiger, dann eben alles alleine zu erledigen.

Wenigstens war Toni Kroos noch da, doch der Toni Kroos in Rio hatte recht wenig zu tun mit dem aus dem Halbfinale in Belo Horizonte. Schweinsteiger hingegen wühlte sich immer tiefer in die Partie, je länger sie dauerte. Dabei war sein Körper dafür gar nicht vorgesehen.

Zweimal ist er in der vergangenen Saison am Sprunggelenk operiert worden, zuletzt reizte die Patellasehne. Zu Beginn des Turniers kam der Verdacht auf, er wäre nur als prominentes Maskottchen dabei. Jetzt sagte er: "Ich wollte hier mit aller Gewalt weit kommen. Es war ganz wichtig, dass ich meine Gesundheit zunächst etwas schonen und fit werden konnte." Löw ließ ihn draußen, doch weil Khedira ebenfalls nur mit halber Kraft angereist war, kam Schweinsteiger bald zum Einsatz.

Im zweiten Spiel drehte er zusammen mit Miroslav Klose als Einwechselspieler das Schicksal gegen Ghana. Im dritten dominierte er die Partie gegen die USA, um im Achtelfinale gegen Algerien seinen Tiefpunkt zu erleben. "Da war ich platt", sagte er, für das Viertelfinale gegen Frankreich habe es "gerade so" gereicht. Im früh entschiedenen Halbfinale gegen Brasilien konnte er sich ein bisschen schonen. Um Kräfte zu sammeln für das Finale. Er sollte sie brauchen.

Gefühle mitten auf dem Platz

Schweinsteiger lief mit 15,3 Kilometern am meisten von allen Spielern auf dem Platz, knapp vor Thomas Müller (15,1) und Toni Kroos (14,3). Fast jeder Angriff hatte bei ihm seinen Ursprung, dazu warf er sich hinten in die Zweikämpfe. Zumeist erfolgreich. Selbst dem quirligen Messi nahm er mehrfach den Ball ab.

Als die Partie immer länger dauerte, sah es danach aus, als würde die Kraft wie gegen Algerien nicht für 120 Minuten reichen. Immer wieder dehnte er sich, kam nach Stürzen kaum mehr hoch. Er wirkte wie ein Ironman, der völlig erschöpft und verzweifelt Richtung Ziel wankt. Die Argentinier verpassten ihm einige Tritte, Höhepunkt war der Schlag von Agüero ins Gesicht.

Kevin Großkreutz stand bereits umgezogen an der Seitenlinie parat, und es ist zu vermuten, dass eine schnelle Spielunterbrechung eine Auswechslung zur Folge gehabt hätte. Doch der Ball blieb im Feld, draußen zuckte Schweinsteiger mit den Beinen, um plötzlich aufzuspringen und wie ein Derwisch zur Mittellinie zu laufen. Er war längst das Symbol der unbeugsamen Germanen, die selbst mit Platzwunden im Gesicht weiterkämpfen.

Später sagte er: "Das gehört dazu, da muss man sich einfach reinhauen. So ein Spiel spielt man nicht so oft in seinem Leben."

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Der eigentliche "Man of the Match": Bastian Schweinseiger mit blutender Platzwunde unter dem Auge

(Foto: AFP)

Debatte um Chefchen

Kurz darauf flankte André Schürrle und schoss Mario Götze das Tor. Schweinsteiger jubelte und spielte weiter. Ganz zum Schluss warf er sich noch einmal in einen Kopfball und schlug mit der Schulter auf dem Boden auf. Wieder lag er im Gras. In diesem Moment pfiff der Schiedsrichter ab und eine Meute Mitspieler warf sich auf den Lädierten.

Das war allerdings nicht der Grund für die anschließenden Tränen. Bastian Schweinsteiger packten die Gefühle, mitten auf dem Platz. Viel hatte er sich anhören müssen in den vergangenen Jahren. Die Leitwolf-Debatte bezog sich stets auf ihn, er wurde als "Chefchen" verspottet und manche meinten, Pep Guardiola plane beim FC Bayern ohne ihn, weil er zu schwerfällig sei für Tiki-Taka.

Doch es gibt kaum einen Fußballer, der nach Rückschlägen so zuverlässig und so stark zurückkommt wie er. Seine Leistung im WM-Finale dürfte bald ein Mythos des deutschen Fußballs sein. Als auf dem Bildschirm Mario Götze den Pokal für den "Mann des Spiels" von der Fifa erhielt, drehte sich ein Argentinier kopfschüttelnd um und sagte: "Man of se Match is Swainstaigr."

Swainstaigr sprach noch ein wenig über seinen Anfang als Nationalspieler 2004. Er bedankte sich für die Unterstützung der Leute in Deutschland, lobte "wie die Jungs von der Bank mitgegangen sind, ich habe so was noch nie erlebt". Er schickte einen Gruß an den inhaftierten Ex-Präsidenten des FC Bayern, Uli Hoeneß. Und blickte voraus auf seine erste Nacht als Weltmeister. "Meine Beine sind im Arsch, aber mein Kopf ist okay", berichtete er. "Ich bin jetzt leer. Ich weiß, das wird eine lange Nacht. Aber da lasse ich Leuten wie Kevin Großkreutz gern den Vortritt." Nachdem er zuvor den ersten WM-Einsatz des Dortmunders verhindert hatte, war auch das eine noble Geste.

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