Die Frage mag absurd klingen, aber sie ist in der Welt: Wird am Sonntag eine Mannschaft mit "Anti-Fußball" Fußballweltmeister? Anti-Fußball, so hat der Torwart Thibaut Courtois die Spielweise der Franzosen genannt, frustriert von der Nutzlosigkeit der schönen Ballstafetten, mit denen seine Belgier im Halbfinale an einer blauen Mauer abgeprallt waren. Lieber mit den um Ästhetik bemühten Belgiern verlieren, als mit diesen destruktiven Franzosen zu gewinnen - zu diesem Bekenntnis verstieg sich Courtois' Teamkollege Eden Hazard. Es war das Jammern eines Mannes, das sich schon durch den Furor des Vortrags entlarvte: Wäre Hazard so frustriert, wenn es stimmen würde? Wenn ihm wirklich mehr am schönen Spiel läge als am Zauber des Siegens?
Alte Fußballweisheit: Jede Weltmeisterschaft hat die Finalisten, die sie verdient. Und wer am Ende im Endspiel steht (vorausgesetzt er steht dort ohne unlautere Schiedsrichterhilfe und ohne sonstige versteckte Hilfsmittel, was man leider nie weiß im Sport) - der verdient es auch. Die Erwartung, dass so ein Weltturnier auch eine globale Leistungsschau sein muss, die den Sport auf die nächsthöhere Ebene hebt, war meistens übertrieben.
Evolution findet eher im Vereinsfußball statt, auf der Bühne der Champions League, wo man Tag für Tag am idealen Spiel feilen kann - und wenn es dafür noch einen Weltklasse-Flügelläufer braucht, wird er eingekauft, im Zweifel im Ausland. Nationalteams hingegen sind auf Zeit zusammengestellte Projektteams. Sie müssen das Beste aus den Mitteln machen, die sie haben.
Eine fast tröstliche Botschaft: Starkult allein reicht nicht
Kein Grund also, den Franzosen einen Vorwurf zu machen, dass sie das klug und ausbalanciert tun, anstatt ausschließlich auf ihr überbordendes Offensivpotenzial (Griezmann! Mbappé!) zu vertrauen. Oder den Kroaten, oder der WM an sich. Wenn schon, dann richtet sich der Vorwurf an jene, die aus ihren Möglichkeiten zu wenig gemacht haben, oder nichts. Wie etwa die Deutschen, die eher haltungsfrei durchs Turnier schlurften, als werde ihnen der Platz im Halbfinale durch ein Gewohnheitsrecht garantiert.
Oder die Brasilianer, die ihre herausragende Offensive zu selten ins Spiel brachten. Oder die Argentinier, die ihren Ausnahmekönner Lionel Messi mal wieder überfordert anstatt klug flankiert haben. Oder Holländer und Italiener, die in der Qualifikation scheiterten.
Frankreich gegen Kroatien, das ist der französische Stabilitätsansatz des Generals Deschamps gegen leidenschaftlichen Guerillafußball, der sich manchmal eine Halbzeit lang im Gebüsch versteckt, ehe er wie ein Naturereignis über den Gegner hereinbricht. Und es ist auch eine fast tröstliche Botschaft: Starkult allein reicht nicht. Die Gruppe muss funktionieren - dann, aber nur dann können sich auch die Individualisten entfalten. Modric, Rakitic, Perisic und Mandzukic gegen Pogba, Kanté, Griezmann und Mbappé: Sie haben sich dieses Finale verdient. Es gibt keinen Grund, am Sonntag einen Antifußballweltmeister zu küren.