Süddeutsche Zeitung

Elfmeter im WM-Finale:Zoff um die ewig unklare Handspielregel

  • Der Moment, der im WM-Finale zum Strafstoß für Frankreich führt, gibt dem Spiel eine entscheidende Wendung.
  • Ivan Perisic springt der Ball an die Hand, aber es ist nur schwer erkennbar, ob es dafür Elfmeter geben muss.

Von Sebastian Fischer

Zuerst hatte es der Franzose Oliver Giroud gesehen, und natürlich war er sich ausgesprochen sicher, was er gesehen hatte. Er wies auf seinen Unterarm und forderte Elfmeter. Blaise Matuidi klatschte fordernd in die Hände. Und dann zeigten die Kameras in der 35. Minute vorerst nur noch Schiedsrichter Néstor Pitana, wie er sich den Finger ans Ohr hielt und mit seinem Assistenten sprach, der die Videobilder begutachtete. Pitana, wie er ein Rechteck in die Luft zeichnete. Dann trabte er zur Seitenlinie, um dem Finale seine vorentscheidende Wendung zu geben.

Der Videobeweis ist als Hilfsmittel bei seiner WM-Premiere von vielen Menschen gescholten worden, die seine Nutzung für grundlegend falsch halten. Sie wurden durch einige wenige Fehler bestätigt. Er ist aber auch von vielen Menschen gelobt worden: als in seiner Anwendung immerhin gewissenhafter und transparenter als zum Beispiel in der vergangenen, von Pannen begleiteten Bundesligasaison. Und nun, im bis dahin ausgeglichenen Finale zwischen Frankreich und Kroatien, war der Videobeweis ausgerechnet durch eine Szene mitentscheidend, die er gar nicht aufklären konnte.

Pitana sah auf dem Bildschirm an der Außenlinie, wie der Ball nach einem Eckstoß über Matuidis Rücken an die Hand von Ivan Perisic flog, weil der Franzose seinen Kopf plötzlich einzog. Einerseits war Perisic keine eindeutig unfaire Absicht zu unterstellen. Andererseits vergrößerte er mit dem leicht nach vorne angewinkelten Arm, eher unfreiwillig, seine Körperfläche. Pitana schaute lange auf den Bildschirm, wandte sich ab, scheinbar sicher, lief noch mal zurück - und entschied auf Elfmeter. Griezmann traf zum 2:1. Ohne Videobeweis wäre das Spiel anders verlaufen. Aber macht sein Einsatz den Weltfußball nun "gerechter", wie Fifa-Präsident Gianni Infantino am Freitag schwärmte?

Große Leidenschaft in der Handspiel-Debatte

Die sagenumwobene Handspielregel zählt zu jenen, über die Schiedsrichter mit großer Leidenschaft debattieren, weil sie wie keine andere einen Ermessensspielraum zulässt. Absicht ist zwar Voraussetzung für ein Vergehen, setzt sich aber zusammen aus den Fragen: Bewegte sich die Hand zum Ball (und nicht umgekehrt)? War es absehbar, wo der Ball hinfliegen würde? Und hielt der Spieler seine Hand zu weit weg vom Körper?

Selten können alle Fragen eindeutig mit Ja beantwortet werden, weshalb die Regel 12 das ungelöste Aktenzeichen des Fußballs bleibt, auch mit Videobeweis. Hätte Pitana sich die Szene noch eine halbe Stunde lang angeschaut, er wäre womöglich minütlich - und jeweils zu Recht - in seinem Urteil geschwankt. Fest steht nur, dass Pitana das Handspiel zunächst übersehen hatte. Und fest steht, dass das Spiel ohne Videobeweis einfach weitergelaufen wäre.

In der Nachspielzeit, beim Stand von 4:2 für Frankreich, sprang der Ball übrigens Kroatiens Domogoj Vida in Richtung Arm. Paul Pogba hätte gerne noch einen Strafstoß gehabt, aber Pitana winkte ab. Er war sich sicher, ohne Videobeweis.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4056294
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.07.2018/jbe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.