WM 2010: Finale:Die Schönheit siegt über die Treterei

Harte Fouls, wilde Attacken, ein derber Kung-Fu-Tritt: Hollands Nationalelf langt beim 0:1 gegen Spanien so kräftig hin, dass sich ihr Trainer hinterher entschuldigen muss - und sucht die Schuld für die Niederlage dennoch beim Schiedsrichter.

Thomas Hummel, Johannesburg

Als Vicente del Bosque zum ersten Mal gefragt wurde, was er denn zu diesen harten Attacken der Niederländer sage, blickte er freundlich in die Runde: "Ich gratuliere dem Gegner, er hat es uns heute sehr schwer gemacht." Das war eine sehr elegante Antwort des 59-jährigen freundlichen Mannes aus Madrid. Aber so leicht kam er nicht davon. Es folgte eine zweite Frage zum harten Spiel des Gegners. Doch weil gleichzeitig eine andere gestellt wurde, überhörte er sie einfach. Wieder sehr elegant.

Die internationalen Beobachter ließen aber nicht locker, der freundliche Herr del Bosque musste doch etwas zu den Attacken auf seine Spieler sagen. Nach der dritten Frage schimmerte in den sanften Augen des spanischen Trainers fast ein wenig Ärger. "Ich bin hier, um über die guten und schönen Dinge des Fußballs zu sprechen." Vicente del Bosque war gerade Weltmeister geworden. Was sollte er sich da noch mit ein paar wild gewordenen Gegenspielern herumärgern.

Spanien ist nach dem 1:0 gegen Holland zum ersten Mal Fußball-Weltmeister. Nach dem Endspiel in Johannesburgs Soccer City gibt es auch keinen Zweifel, dass der spanische Fußball sich diesen Titel verdient hat. Denn am Ende hätten es bis auf die in Orange gekleideten Menschen nur wenige für richtig und gut befunden, wenn da ein Nigel de Jong oder ein Mark van Bommel mit dem Weltpokal über den Rasen gelaufen wären. Gerade die beiden hatten es zuvor arg übertrieben mit dem harten Spiel.

Die defensiven Mittelfeldspieler sahen es als ihre Aufgabe an, das spanische Tiqui-taca, das schnelle Passspiel der Spanier, mit robustem Körpereinsatz zu unterbinden. Waren nicht die Deutschen im Halbfinale von Durban mit fast körperlosem Spiel heillos unterlegen gewesen? Nach 22 Minuten allerdings rauschte van Bommel von hinten Andrés Iniesta in die Beine, so dass unter dem Stadiondach, wo Tausende Berichterstatter aus aller Welt die Wiederholung sahen, zum ersten Mal ein lautes Ouuhh!! in die Johannesburger Nacht aufstieg. Doch Schiedsrichter Howard Webb hatte offenbar die Anweisung bekommen, unter keinen Umständen das Spiel mit einer schnellen roten Karte in eine Richtung zu lenken. Und so gab er nur Gelb.

Noch gnädiger war die gleiche Karte kurz darauf für Nigel de Jong. Im Stile eines Kung-Fu-Könners trat der 25-Jährige von Manchester City im Luftkampf gegen die Brust von Xabi Alonso. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid dürfte unter dem Trikot ein paar ordentliche Striemen davongetragen haben. Genauso wie Sergio Busquets am Oberschenkel nach dem Tritt von Wesley Sneijder. Doch der bekam dafür noch nicht einmal Gelb.

Und so blieb Sneijder einer der weniger Niederländer, die an diesem Abend nicht verwarnt wurden. Neun gelbe Karten sammelte die Mannschaft, Trainer Bert van Marwijk entschuldigte sich später fast dafür. "So etwas ist bedauerlich für ein Finale, das ist eigentlich nicht unser Stil."

Dieser Stil hinterließ aber durchaus Wirkung bei den Spaniern. Nachdem zu Beginn Sergio Ramos zwei schöne Möglichkeiten vergeben hatte, wirkte der Favorit eingeschüchtert, verlor teilweise die Kontrolle über das Spiel. Die nächste Chance hatte David Villa nach 71 Minuten. Und da mussten sich die Spanier bei ihrem Torwart Iker Casillas bedanken, dass sie nicht schon zurücklagen. Oder besser gesagt bei Arjen Robben, der den Ball bei seiner Großchance nichts ins Tor, sondern Iker Casillas an den Fuß geschossen hatte (64.). Wären die Niederländer da 1:0 in Führung gegangen, ihr Plan wäre vielleicht aufgegangen.

Schuld hat natürlich der Schiri

Robbens Lauf alleine auf Casillas zu erinnerte die Spanier aber offenbar daran, dass man sich in einem WM-Finale nicht eingeschüchtert und verzagt in den Schmollwinkel zurückziehen darf. Nach Villa vergaben Ramos, Fàbregas und Navas in aussichtsreichen Positionen. Als dann in der zweiten Hälfte der Verlängerung tatsächlich ein Niederländer vom Platz gestellt wurde - John Heitinga hatte Iniesta gehalten - mobilisierten die Spanier letzte Kräfte. Vier Minuten vor Schluss gelang Cesc Fàbregas der entscheidende Pass auf Iniesta, der den Ball an Torwart Maarten Stekelenburg ins Netz wuchtete.

Es muss wohl der menschlichen Natur zugeschrieben werden, bei Niederlagen einen Schuldigen zu suchen, um zu verstehen, warum die niederländischen Spieler sich danach vehement bei Schiedsrichter Webb beschwerten. Oder wie es van Marwijk ausdrückte: "So ein Finale, das willst du gewinnen, auch mit nicht so schönem Fußball."

Seine Spieler umringten Webb und regten sich furchtbar auf, weil dieser zwei Minuten vor Iniestas Treffer ihnen eine klare Ecke verweigert hatte. Das entsprach einer sachgerechten Deutung, tatsächlich hatte Sneijder die spanische Abwehrmauer getroffen, bevor der Ball ins Aus flog. Und dennoch durften sie nicht dem Schiedsrichter ihre Niederlage zuschieben, Webb war schließlich dafür verantwortlich, dass sie lange Zeit mit elf Spielern auf dem Feld stehen durften.

Die Spanier bestätigten danach das allgemeine Klischee ihres Landes, ausgiebig und ohne auf die Uhr zu schauen feiern zu können. Noch um 1:30 Uhr hatte kein Spieler den Mannschaftsbus betreten, Spaniens goldene Generation hatte nach ihrer Krönung keine Lust, den Ort des Sieges zu verlassen. Erst zwei Spielergenerationen vor ihnen schafften es, den Europa- und Weltmeistertitel gleichzeitig zu halten: eine deutsche nach den Erfolgen 1972 und 1974, und eine französische 1998 und 2000.

Nachdem sich ihr freundlicher Trainer Vicente del Bosque ein wenig über die Fragen zu den Niederländern geärgert hat, stellte er fest: Dieser WM-Titel ist auch "ein Preis für den schönen Fußball". Nach diesem Abend in Johannesburg kann ihm niemand widersprechen.

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