WM 2010: Einzelkritik Deutschland:Standuhr und Quartalsspieler

Ein böser Geist im Sturm, ein Saisonarbeiter im richtigen Quartal, ein unwiderstehlicher Kerl, ein Kandidat für die Seleção und der beste Arzt der Welt. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

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WM 2010 - Deutschland - England

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Manuel Neuer

Praktizierte Völkerverständigung. Überließ vor dem Spiel dem zweiten englischen Ersatztorwart Joe Hart in seinem Strafraum Platz für sonderbare Aufwärmübungen. Zeigte dann im Spiel selbst Sonderbares, nämlich, wie ein moderner Torwart Fußball spielt: mit dem Fuß. Leitete Kloses Tor mit einem herrlichen Pass - einem Abschlag vom Fünfmeterraum - ein. Leitete aber auch Upsons Anschlusstor ein, als er beim Rauslaufen zögerte. Geriet erheblich unter Beschuss und wurde vom Mantel der Geschichte gestreift, als sich in Bloemfontein die Rache von Wembley erfüllte. In der zweiten Halbzeit mehrere 1-a-Paraden für die WM-Bildergalerie.

Germany v England: 2010 FIFA World Cup - Round of Sixteen

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Philipp Lahm

Kann bekanntlich sehr viel, ist dennoch gerade dabei, eine neue Spezialität zu entwickeln: die Linienrettung - wie zuvor gegen Ghana und diesmal in der 35.Minute gegen Lampard. War ansonsten nicht auf gewohntem Weltklasse-Niveau. Hinten derart beansprucht, dass ihm nach vorn die Effizienz fehlte. Beunruhigend: Ihm fehlten Timing und das Gefühl fürs Spiel, zwei Eigenschaften, die ihn sonst auszeichnen.

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Per Mertesacker

Immerhin: Das erste Duell mit Wayne Rooney gewann er, beim ersten Fall von Wegdreschen erinnerte er allerdings in Haltung und Ausführung an einen Vorstopper aus dem Jahr 1973. Wirkt weiterhin nicht geschmeidig, eher wie eine alte englische Standuhr. Sein Glück: Die Engländer forderten sein Talent zunächst kaum heraus. Die zweite Halbzeit diente ihm dann weitgehend zur Erholung und moralischen Erbauung. Hatte auch seine Verdienste am Sieg.

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Arne Friedrich (Zweiter von links)

Mittlerweile hat man sich daran gewöhnt, Komplimente an Arne Friedrich zu verteilen. Hier ist wieder eines: War wieder stabiler und gegenwärtiger als sein Partner. Große Rettungstat in der 68. Minute gegen Defoe und anschließend Gerrard, auch stilistisch wertvoll: Löste Probleme elegant wie ein Arninho Friedrichao. Wolfsburg will ihn haben, aber mittlerweile ist es fraglich, ob es ihn bekommt: Außer Real und Chelsea ist auch Brasiliens Selecao interessiert.

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Jerome Boateng

Singt grundsätzlich die Nationalhymne nicht mit, betet währenddessen für die Mannschaft. Diesmal vielleicht auch für seine verhärtete Wade, die Wunderdoktor Müller-Wohlfahrt rechtzeitig weich bekommen hatte. Musste erneut links hinten spielen, was dazu führte, dass er im Aufbauspiel oft nach innen drehte, um den rechten Fuß zu verwenden. Der kann nämlich ziemlich viel. Versuchte ansonsten, seine Seite dicht zu machen, wie das im Jargon der Außenverteidiger heißt. Seine Mitschuld beim Anschlusstor resultierte allerdings aus einer Unterlassungssünde auf seiner Paradeposition im Abwehrzentrum: Blieb einfach stehen und schaute Upson beim Kopfball zu. Durfte es aber als Kompliment werten, dass Gegenspieler Milner ausgewechselt wurde.

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Sami Khedira

Versucht heimlich, einen WM-Rekord zu brechen: jenen der gelaufenen Kilometer. Hat nach vier Turnierspielen eine Strecke hinter sich, die etwa der vom DFB-Quartier in Centurion ins Stadion nach Bloemfontein entspricht (ca. 450 Kilometer). Nicht jeder Meter, den er läuft, ergibt Sinn, es sind zu viele Kreuz-und-Quer-Meter dabei. Ließ aber gelegentlich sein zwingendes Passspiel aufblitzen - etwa bei einer Klose-Chance, die Khedira in den Tiefen des Mittelfelds mit einem Zuspiel auf Müller einleitete. Leitete aus den Tiefen des eigenen Strafraums dann auch das 4:1 ein, mit einem präzisen 1000-Meter-Pass auf Özil.

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Bastian Schweinsteiger

Beeindruckender Pass auf Özil nach fünf Minuten. In England würde man sagen: brillant. Stand immer im Zentrum des Spiels, zog wie ein Magnet die Bälle an sich. Wenn er die Bälle wieder von sich gab, glückte nicht alles - aber doch genug, um dem DFB-Spiel Struktur zu geben. Kampfstark. Haute sich rein, wie es im Sechser-Jargon heißt. Aus der Tiefe prägend. Wuchs in der zweiten Hälfte immer mehr zum mannhaften Anführer, brillant sein Anspiel auf Müller vor dem 3:1.

WM 2010: Deutschland - England

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Thomas Müller

Begann zwar erneut auf Rechtsaußen, bekam aber endlich wieder die Freiheit, die er für sein Spiel braucht. Durfte nach Herzenslust rochieren und rotieren, was dem deutschen Angriffsspiel viel von seiner Gefährlichkeit zurückgab. Leitete das 2:0 ein, war von den englischen Einbauschränken schwer zu kontrollieren. Louis van Gaal sagt: Müller spielt immer. Und Löw hat gemerkt: Müller muss in den Strafraum dürfen. Dann ist dieser unwiderstehliche Kerl mit seinem Gespür für die Lücke nicht zu halten.

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Mesut Özil

Empfing nach fünf Minuten einen brillanten Pass von Schweinsteiger, beim Abschluss musste er aber den schwächeren rechten Fuß benutzen, was einen brillanten Treffer verhinderte. Und übrigens: Englands gern verlachter Keeper James parierte brillant. Ihm glückte zunächst nicht alles, aber manches, und dann ergab es gleich einen großen Sinn. Personifiziert das größte Talent dieser Mannschaft: Ist unversehens zu einer brillanten Tat fähig - wie beim unwiderstehlichen Sprint vor Müllers 4:1.

Germany v England: 2010 FIFA World Cup - Round of Sixteen

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Lukas Podolski

Vom bösen Geist des Aktionismus erfüllt. Sucht zwar schnell den Abschluss, aber das ist oft genau das Problem - er sucht oft zu schnell den Abschluss. Liegt der Ball auf links, folgt in 103 Prozent aller Fälle der Schuss. Manchmal ist das übrigens auch eine gute Idee: beim 2:0 etwa, als er trocken und scharf abschloss und zielsicher den Weg zwischen den Beinen von James fand. Zielsicher? Na ja, aber wer fragt nach solchen Details. Nicht durchgehend präsent, entwickelt sich in der Nationalmannschaft immer mehr zum Mann für spezielle Momente.

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Miroslav Klose

So langsam erhält man Klarheit über das Rätsel Klose, sein Geheimnis ist enttarnt. Bei ihm handelt es sich offenkundig um das weltweit einzige Exemplar eines Quartalsspielers. Wenn WM ist, glänzt Klose. Erzielte das 1:0 mit einer beeindruckenden Mischung aus Wucht und Gefühl - es war jene Aktion, auf die er seit langem wartet. Das baute ihn so sehr auf, dass er die Engländer mehrmals ,,herspielte'', wie das im Stürmerdeutsch heißt. Ist offensichtlich nicht mehr auf der Sinnsuche, weil er wieder einen Platz hat, wo er hingehört: im Angriffszentrum.

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Piotr Trochowski

Kam für Müller und repräsentierte einen anderen Stil: Mehr breit als steil, mehr verspielt als direkt.

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Mario Gomez

Kam für Klose, um auch mal wieder so einen Moment zu haben, auf den ein Stürmer wartet. Suchte ihn - fand ihn aber nicht.

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Stefan Kießling

Gehört bislang zu den wenigen Unzufriedenen im DFB-Kader. Wurde als soziale Maßnahme eingewechselt.

WM 2010 - Deutschland - England

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Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt (rechts)

Heilte Schweinsteiger und Boateng rechtzeitig. Bester Arzt der Welt!

© sueddeutsche.de/mikö
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