Sieg gegen Südkorea:Brasilien tritt die Tür mit Karacho auf

Sieg gegen Südkorea: Ein ungewöhnliches Bild: Brasilien-Trainer Tite (Mitte) wedelte mit den Armen, um sich in eine Jubel-Choreografie einzureihen, die eine Taube nachahmen soll.

Ein ungewöhnliches Bild: Brasilien-Trainer Tite (Mitte) wedelte mit den Armen, um sich in eine Jubel-Choreografie einzureihen, die eine Taube nachahmen soll.

(Foto: Pedro Nunes/Reuters)

4:1 fertigt die Seleção die Südkoreaner ab und erreicht das Viertelfinale. Trainer Tite lässt sich im Rausch sogar zu einem Tanz bei einer der affektierten Jubel-Choreografien hinreißen.

Von Javier Cáceres, Doha

Am Vorabend des Abbaus des Zweckbaus mit dem Namen "Stadion 974", benannt nach der Anzahl der verwendeten Schiffscontainer und der Vorwahl des WM-Standorts Katar, dekonstruierte Brasiliens Nationalteam die Vertretung Südkoreas. Die Seleção siegte mit 4:1 und trat die Tür zum Viertelfinale mit großem Karacho auf. Zur Halbzeit stand es 4:0. Doch dann musste sie sich, Paradoxien des Fußballs, bei Torwart Alisson Becker für Weltklasseparaden bedanken - unter anderem gegen Hwang Hee-chan und Son Heung-ming. Dass er beim Gegentor geschlagen wurde, hatte damit zu tun, das der Schuss abgefälscht war. Er wurde danach ausgewechselt - aber nur, weil Ersatztorwart Wéverton auch seinen Einsatz bekommen sollte, nachdem die Nummer zwei hinter Alisson, City-Torhüter Ederson, bereits im Vorrundenspiel gegen Kamerun zu einem WM-Auftritt gekommen war.

Solange Brasilien Ernsthaftigkeit walten ließ, was der Mannschaft nach der 4:0-Halbzeitführung nicht so einfach fiel, war kaum wegzudiskutieren, dass zwischen den beiden Kontrahenten ein Klassenunterschied herrschte, der in etwa der Differenz zwischen der Herrscherkaste Katars und den Gastarbeitern des Emirats entsprach. Die Südkoreaner waren eine Halbzeit lang nicht viel mehr als ein Spielzeug in den Händen der Brasilianer. Abzüge in der B-Note bekam Brasilien für die Tanz-Choreografien bei den Toren, die dann doch etwas ausschweifend gerieten und affektiert wirkten.

Andererseits: Tanzen hilft mitunter, und Brasilien war nach der Vorrunde einigermaßen therapiebedürftig. Einerseits war da die Sorge um den Monarchen des brasilianischen Fußballs, Pelé, der schwer an Krebs erkrankt ist. Er schickte Siegeswünsche, oder ließ sie schicken, via Twitter; unter emotionalem Verweis darauf, dass er seinem Vater 1950 das Versprechen gegeben hatte, Weltmeister zu werden (und es gleich drei Mal erfüllte).

Vinícius stoppt Ball und Zeit

Andererseits waren die Brasilianer über die Gegenwart ihrer Seleção irritiert. Neymar hatte sich im ersten Gruppenspiel (gegen Serbien) am Knöchel verletzt, und die vielgerühmte Offensive hatte Lieferschwierigkeiten gezeigt. In den drei Vorrundenspielen hatten die Brasilianer nur drei Tore geschossen, obendrein ging das letzte Gruppenspiel gegen Kamerun mit 0:1 verloren. Mit anderen Worten: Südkorea kam den Brasilianern in vielerlei Hinsicht gerade recht.

Zumal die Brasilianer zuletzt recht gute Erfahrungen mit den Südkoreanern gemacht hatten. Beim bislang letzten Aufeinandertreffen hatte Brasilien gegen Südkorea mit 5:1 gewonnen. Am Montag war nicht einmal eine Viertelstunde gespielt, da war schon zu ahnen, dass der Sieg eine ähnliche Preisklasse haben würde. In der siebten Minute verpasste Brasilien Rechtsaußen Raphinha sich selbst einen Kickstart, schoss an seinem Bewacher vorbei wie eine Vespa an einem Dreirad und passte an den Fünfmeterraum.

Neymar verpasste zwar zentral, doch der Ball landete auf der linken Seite bei Vinícius Júnior. Die Zeiten, da über den Real-Madrid-Stürmer gehöhnt wurde, dass er das Tor nicht mal treffen würde, wenn es so groß wäre wie ein Regenbogen, sind endgültig vorbei. Die von Kim, Kim, Kim und Kim gebildete Viererabwehrkette verlor ihre Ordnung komplett. Vinícius, der einst so überhastete Schütze, stoppte Ball und Zeit - und fand zwischen Kim und Kim die entscheidende Lücke. Ein paar Minuten später holte Richarlison einen Elfmeter heraus, den Neymar (13.) verwandelte. Er kommt damit auf 76 Tore in der brasilianischen Nationalmannschaft - und ist nur noch einen Treffer von Pelé entfernt.

Dem 3:0 durch Richarlison (29.), das nach einer blendenden Kombination zwischen Marquinhos, Casemiro und eben Richarlison gefallen war, folgte ein besonders irritierender Jubel. Richarlison stürmte nach seinem dritten WM-Treffer zur Bank und animierte nicht nur die Reservisten zum Tanz, sondern auch Trainer Tite. Er wedelte mit den Armen, um sich in eine Choreografie einzureihen, die eine Taube nachahmen soll. Das 4:0 erzielte Lucas Paquetá (36.).

Sieg gegen Südkorea: Die brasilianischen Spieler schicken Genesungswünsche an Pelé.

Die brasilianischen Spieler schicken Genesungswünsche an Pelé.

(Foto: Francois Nel/Getty)

Nach der Pause hatten die Brasilianer offenkundig das Gefühl, genug für den Abend getan zu haben, und verklappten einen Teil ihres Engagements in den 974 Containern. Die Südkoreaner wiederum hatten offenbar kein Interesse daran, die WM unehrenhaft zu verlassen. Nur deshalb wurde Alisson Becker - trotz des Gegentreffers - zum besten Brasilianer der Partie. In der 47. Minute verhinderte er mit der linken Schulter einen Treffer von Son Heung-min, in der 68. Minute vereitelte er mit einer bravourösen Parade den Treffer von Hwang Hee-chan, der schon in der ersten Halbzeit den Keeper von Liverpool geprüft hatte.

Am Ende tanzten aber die Brasilianer ohne Komplexe. Während durch die Boxen des 974-Stadions die Samba dröhnte, hatten sie immerhin noch Zeit, an Pelé zu denken. Sie sammelten sich auf dem Feld zu einem Mannschaftsfoto, und hielten ein Transparent hoch, auf dem nur ein Wort stand: Pelé, dazu ein Jubel-Foto aus dem WM-Finale 1970. Die Botschaft dahinter bedurfte keiner Erklärung: Sie wünschen ihm gute Besserung.

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