WM-Affäre:Beckenbauer kommt in Erklärungsnot

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Wofür waren all die Millionen? Franz Beckenbauer, seinerzeit Chef des Organisationskomitees der WM 2006, hat es im Jahr 2017 zur überlebensgroßen Figur beim Mainzer Fastnachtsumzug geschafft. Tatsächlich transferierte er das Geld natürlich nicht im Waschkorb - sondern viel diskreter.

(Foto: Getty Images)
  • Die Sommermärchen-Skandalchronik muss noch mal neu geschrieben werden - oder zumindest stark verändert.
  • Dokumente weisen auf neue zeitliche Abläufe hin und die bisher nicht bekannte Umtriebigkeit im deutschen Lager.
  • Das alles stärkt die These vom Stimmenkauf.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Seit fast zwei Jahren schwelt die Affäre um die Fußball-WM 2006 nun schon, es ist eine Geschichte voller Lügen, Vertuschungen und Halbwahrheiten. Zwar veröffentlichte die vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) eingesetzte Kanzlei Freshfields im März 2016 umfangreiche Untersuchungsergebnisse - doch deren Report erhellte den Sommermärchen-Skandal nur rudimentär. Nun zeichnen Strafermittlungen zur WM 2006, die in Frankfurt und Bern laufen, ein völlig anderes Bild davon, wie damals die Millionen-Schieberei ablief. Die Sommermärchen-Skandalchronik muss noch mal neu geschrieben werden - oder zumindest stark verändert.

In jedem Fall wussten mehr Beteiligte früher und konkreter Bescheid. Vor allem die Verantwortlichen des damaligen Organisationskomitees (OK) kommen zunehmend in Erklärungsnot, vorneweg Frontmann Franz Beckenbauer und sein langjähriger Geheimrat Fedor Radmann. Und nicht zuletzt nähren die neuen Erkenntnisse eben jenen Verdacht, den der DFB mit der Präsentation des Freshfields-Reports so gerne vom Tisch wischen wollte: dass es rund um die Vergabe der WM 2006 an Deutschland Stimmenkäufe gab.

Im Fokus der Affäre stehen zwei verschlungene Zahlungsströme. Von Mai bis August 2002 flossen insgesamt zehn Millionen Franken nach Katar, letztlich aus der Kasse des früheren Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus. Es war das inzwischen berühmte "Darlehen", das der Franzose den Deutschen gewährte. In Katar landete das Geld auf dem Konto der Firma Kemco, die dem (inzwischen vom Weltverband lebenslang gesperrten) Funktionär Mohammed bin Hammam gehörte. Das ist Zahlungsstrom eins. Und drei Jahre später, im April 2005, zahlte der DFB das Geld dann aus dem WM-OK-Etat zurück; inklusive Zinsen waren es nun 6,7 Millionen Euro. Offiziell wurde die Zahlung als Beitrag des DFB für eine WM-Gala des Weltverbands Fifa deklariert - die jedoch nie stattfand.

Es lässt sich ein anderer Ablauf rekonstruieren

Bisher erzählten die Beteiligten dazu diese Geschichte: Das Fifa-Finanzkomitee um Bin Hammam habe 2002 zehn Millionen Franken verlangt - eine Art Sicherheitszahlung, damit es den Deutschen im Gegenzug einen Organisationszuschuss von 250 Millionen Franken gewährte. Ein toller Deal sei das also gewesen, abgewickelt hätten die Angelegenheit Beckenbauers damaliger Manager Robert Schwan und der großzügige Darlehensgeber Louis-Dreyfus - irgendwoher habe man sich halt schnell das Geld besorgen müssen im Dienste der guten Sache.

Schwan und Louis-Dreyfus sind lange verstorben. Der Rest der WM-Verantwortlichen wollte bisher die Hintergründe der Verabredung nicht gekannt haben. Und was die Rückzahlungsforderung angeht, wollten sie nur mitgekriegt haben, dass die OK-Mitglieder Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger gemeinsam mit Günter Netzer zu Louis-Dreyfus nach Lugano fuhren und vergeblich um einen Erlass baten - ehe sie Ende 2004 und Anfang 2005 plötzlich auf den Trick mit der WM-Gala kamen.

Das klang stets unglaubwürdig. Und anhand von Akten und Vernehmungsprotokollen der Berner Ermittler, die die SZ einsehen konnte und über deren Inhalt zuerst die Bild berichtete, lässt sich nun ein anderer Ablauf rekonstruieren. Sie legen nahe, dass Beckenbauer und Radmann eine viel stärkere Rolle spielten. Dass Louis-Dreyfus in der Millionen-Causa nur eine Art Ersatzmann war. Und dass die geforderte Rückzahlung für die WM-Organisatoren eine tickende Zeitbombe darstellte, ein fast drei Jahre währendes Dauerproblem, das Verantwortliche des deutschen Fußballs und der Fifa in vielen Treffen beschäftigte.

Die erste neue Erkenntnis: Den Anfang der Affäre markiert jetzt ein im Mai 2002 unterzeichnetes "Agency Agreement" zwischen Bin Hammams Kemco und der Schweizer SKK-Rofa. Letztere war die Vermarktungsfirma von Beckenbauers langjährigem Manager Schwan. Der Vertragsentwurf lief aus einem Fax im WM-Büro des OK-Vize Radmann. Das Papier datiert auf den 1. Mai - den Tag, als beim OK die erste Rate des Fifa-Zuschusses einging. Danach wanderten bis zum 8. Juli 2002 sechs Millionen Franken von Beckenbauer/Schwan über das Konto einer Schweizer Anwaltskanzlei an die Kemco nach Doha. Nach Erkenntnissen der Behörden nahm das deutsche Duo das Geld als Kredit bei der Kitzbüheler Raiffeisenbank auf.

Am 13. Juli 2002 starb Schwan überraschend. Da waren aber erst sechs der vereinbarten zehn Millionen Franken überwiesen. Offenbar verlangte die Raiffeisenbank die Rückzahlung des Kredits. Jetzt erst kam Louis-Dreyfus ins Spiel.

Der frühere Adidas-Boss nahm bei der BNP Paribas einen Kredit auf. In solchen Fällen legen Bankberater intern Ablaufprotokolle an. Gleich der erste Eintrag am 11. August 2002 ist aufschlussreich: Louis-Dreyfus sprach demnach von einem Kredit über sechs Millionen Franken für einen guten Freund. Jedoch sei nach Kontaktaufnahme des Bankberaters mit einem Vertreter dieses Freundes klar geworden, dass es sogar um zehn Millionen Franken ginge. Betroffen sei die international anerkannte Persönlichkeit F.B., es ginge um den überschaubaren Kredit-Zeitraum von sechs bis acht Monaten. Und: Es gebe eine Schuldanerkennung durch B.

Debatten und Treffen zum Thema Rückzahlung

F.B. ist Franz Beckenbauer. Und der Vertreter von F.B. ist Fedor Radmann. Andere Schlussfolgerungen sehen die Ermittler nicht. In den Vernehmungen erklärten die beiden, von diesem ganzen Vorgang keine Kenntnis zu haben; auf eine SZ-Anfrage antworten sie nicht.

Die Bank legte für Dreyfus ein Konto mit der Kennung "F.B." an; am 20. August 2002 flossen zehn Millionen Franken. Rund sechs Millionen landeten bei Beckenbauer, wohl zur Tilgung des Kitzbühel- Kredits. Die anderen vier gingen nach Doha, als Schlusszahlung für Kemco. Teil eins der Millionen-Schieberei war beendet.

Aber dann vergingen nicht die angepeilten sechs bis acht Monate, sondern fast drei Jahre, bis Louis-Dreyfus' Bank ihr Geld wiedersah. In dieser Zeit gab es zwischen OK-Leuten, der Fifa und der Bank jede Menge Debatten und Treffen zum Thema Rückzahlung. Bei Freshfields findet sich fast nichts zu diesem Drama, jedoch sehr viel in den Notizen des Bankmitarbeiters - denn letztlich war die BNP Paribas der Gläubiger, nicht Louis-Dreyfus, und sie drängte auf Tilgung des Kredites.

Schon der Freshfields-Report verwies - in einem anderen Zusammenhang - auf Gespräche am 16. Dezember 2002 in Madrid, an denen Beckenbauer, Radmann, Louis-Dreyfus und der damalige DFB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder teilnahmen. Ist es vorstellbar, dass es da nicht um die Millionen ging? Am 7. Mai 2003 notierte der Bankberater, Dreyfus werde die Frist für die Rückzahlung nach einem Treffen mit Beckenbauer und Radmann bis Juni 2003 verlängert. Im August aber war der Betrag noch immer offen. Es brannte. Der damalige DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt soll später bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt ausgesagt haben, es habe ab August 2003 keine Zusammenkunft unter OK-Mitgliedern gegeben, bei der die Rückzahlung nicht Thema gewesen sei. Diese Darstellung weicht stark von dem ab, was die Betroffenen selbst erzählen.

Aufschlussreiche Protokolle

Alle Beteiligten bestreiten Fehlverhalten. Am 14. August kam es zum Besuch von Schmidt, Zwanziger und Netzer bei Louis-Dreyfus, nach dem es nicht den erhofften Erlass des Kredites, aber einen neuerlichen Aufschub gab. Aus heutiger Sicht wirkt es umso bemerkenswerter, dass nach Aufkommen der Affäre vor knapp zwei Jahren alle Beteiligten dieses Treffen zunächst auf Januar 2005 datiert hatten - statt auf Sommer 2003. So war der Eindruck erweckt worden, als sei das eine einmalige Bettel-Aktion gewesen. Und nicht, wie sich nun zeigt, Bestandteil einer jahrelangen Serie an Treffen.

Fürs Jahresende 2003 wiederum berichtete der BNP-Kundenberater über eine Zusammenkunft von Dreyfus, Beckenbauer und dem DFB-Präsidenten; das war Mayer-Vorfelder. Jetzt sollte der Kredit bis Januar 2004 zurückgezahlt werden. Auch begann laut Schmidts Aussage zu diesem Zeitpunkt die Kontaktaufnahme des DFB mit der Fifa, um das Problem zu lösen.

Aber der Januar verstrich. Die nächste Stundung: Nun erwartete die Bank das Geld im April 2004 zurück. Am 12. Mai hob der Kundenberater hoffnungsvoll ein Treffen in Basel hervor, an dem alle relevanten Personen teilnehmen sollten, neben Louis-Dreyfus, Beckenbauer und Schmidt auch: Urs Linsi, Generalsekretär der Fifa. Welches Interesse hatte die Fifa daran, die Banksache "F.B." zu regeln? Linsi zählt heute zu den Beschuldigten in dem Verfahren. Auch der Gipfel zu Basel brachte keine Lösung. Wieder wurde der Kredit verlängert und spätestens am 8. November 2004 der Darlehensgeber offenkundig ungeduldig: Er mahnte eine definitive Regelung an.

Die Deutschen brauchten also dringend einen Dreh, um das Geld zurückzuschleusen. Ende 2004 begann die konkrete Umsetzung. Im November wurde ein Fax gefertigt, das unter anderem die Handschrift von Schmidt trägt sowie von Wolfgang Niersbach, ehemals OK-Mitglied und 2015 im Zuge der Affäre als DFB-Chef zurückgetreten. Im Fax taucht erstmals das WM-Kulturprogramm als mögliche Tarnung für eine Rückzahlung auf. Und dann folgte am 2. Februar 2005 ein pikanter Vorgang: Der Bankberater notierte, Louis-Dreyfus habe das Signal erhalten, dass das Geld in Kürze endlich fließen solle - der Kunde sei über einen anderen Weg der Rückzahlung unterrichtet worden sowie darüber, dass noch eine Formalität zu klären sei.

Ärger um Euro statt Franken

Anderer Weg, noch eine Formalität? Damit war offenkundig gemeint, das Geld als angebliche Ausgabe für einen Posten der WM-Gala zurückzuspielen. Genauer: für einen spektakulären LED-Teppich, den der Regisseur André Heller ersonnen hatten und der Zusatzkosten von knapp sieben Millionen Euro verursacht hätte. Zufällig ein passender Betrag.

Nur: Wie konnte Dreyfus' Kundenberater schon am 2. Februar wissen, dass das Geld bald über einen solchen Weg fließt? Erst am 23. Februar unterrichtete Radmann das WM-OK und das Bundesinnenministerium über den geplanten LED-Teppich und den damit verbundenen Budget-Anstieg; die Fifa habe bereits zugestimmt. Am 7. April stimmte das OK zu, tags darauf nickte der Präsidialausschuss den Kostensprung ab. In der Folge redete DFB-General Schmidt dem Fifa-Kollegen Linsi aus, dass das Geld vom OK direkt an Dreyfus überwiesen werde - und am 25. April 2005 landeten 6,7 Millionen Euro bei der Fifa. Die transferierte den Reibach eilig an die BNP Paribas weiter. Noch am selben Tag.

Nach knapp drei Jahren war der Geldkreislauf geschlossen - endlich, aber in Euro statt wie die ganze Zeit besprochen in Franken, wie der Berater angefasst notierte. Er wollte gleich 33 000 Franken als Kommission für die vielen Umstände einbehalten. Der DFB war um 6,7 Millionen Euro ärmer und jemand war um 6,7 Millionen Euro reicher. Aber wer?

Darauf haben die Ermittler noch keine konkrete Antwort. Aber die neuen zeitlichen Abläufe, die bisher nicht bekannte Umtriebigkeit im deutschen Lager, das frühe intensive Engagement der Fifa - das alles stärkt die These vom Stimmenkauf. Dem Geld-Empfänger Bin Hammam, damals einflussreicher Chef des Asien- Verbandes, hatten die Deutschen vor der Vergabe der WM 2006 für seine Unterstützung einen TV-Vertrag für die Fußball-EM 2004 in Aussicht gestellt (SZ vom 11.03.). Details dieser Zusage waren bei einem Treff der WM-Werber im März 2000 in Berchtesgaden besprochen worden, Radmann sollte die Sache in die Hand nehmen. Mit dem TV-Vertrag für Bin Hammam wurde es aber am Ende nichts. Erhielt der Katarer, der drei wichtige Voten für den 12:11- Abstimmungssieg der Deutschen gegen Südafrika organisiert hatte, eine andere Entschädigung für seine wichtige Arbeit?

Jedenfalls flossen Mitte 2002 die zehn Millionen Franken an seine Baufirma nach Doha. Und im Oktober 2002 gleich wieder 1,7 Millionen Franken aus Doha zurück nach Europa - zu Fedor Radmann. Davon wussten die übrigen OK-Mitglieder offenkundig nichts, sogar Beckenbauer gab sich bei der Frage der Berner Ermittler stark irritiert. Radmann wiederum sagte, das Geld habe mit dem Zehn-Millionen-Vorgang nichts zu tun gehabt.

Und dann ist da noch ein weiterer Geldtransfer, der Radmann zugute kam. Im Frühjahr 2007 flossen 5,4 Millionen Euro an ihn, von denen er ein halbes Jahr später die Hälfte an Beckenbauer weiterleitete. Der Quell des Geldes: Robert Louis-Dreyfus. In internen Bankdokumenten heißt es, dies sei für Beratungen im Kontext der WM 2006. Das bestritt Radmann in der Vernehmung. Wie so vieles.

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