WM-Affäre:Neue Spur in der Sommermärchen-Affäre

München: SZ-Interview FRANZ BECKENBAUER

Kein Wort: Weder Franz Beckenbauer noch sein Anwalt wollten sich zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft äußern.

(Foto: Johannes Simon)
  • Die Notiz einer Bankangestellten könnte bei der Auflösung der WM-Affäre helfen.
  • Kernfragen der Affäre sind der Zweck und der Verbleib von zehn Millionen Franken, die über Umwege in Katar landeten.
  • Nun fragen sich Staatsanwälte, ob Beckenbauer mit diesem Geld ins Fernsehrechte-Geschäft investierte.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Es ist nur ein Satz. Eine 14 Jahre alte Notiz. Aber er wirft ein neues Licht auf das größte aller Rätsel in der Sommermärchen-Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2006 nach Deutschland. Im Sommer 2003 befasste sich eine Mitarbeiterin der Genfer Filiale der Großbank BNP Paribas mit den Konten von Robert Louis-Dreyfus, dem mittlerweile verstorbenen, langjährigen Adidas-Chef. Sie listete auf, welchem Zweck welches Konto diente. Als sie beim Konto mit der Nummer 3136594 anlangte, hielt sie fest: Zweck sei ein Darlehen, zehn Millionen Franken an einen Geschäftsfreund, um TV-Rechte aus dem Nachlass der Kirch-Gruppe zu kaufen. Wer dieser Geschäftsfreund sein soll, zeigt der Namenszusatz des Kontos: "F. B." - wie Franz Beckenbauer.

Womöglich steckt in dieser Notiz einer Bankbediensteten der entscheidende Fingerzeig für die Lösung des Millionen-Rätsels um die WM 2006, das den deutschen Fußball seit Jahren umtreibt. Hat Beckenbauer damals ins Fernsehrechte-Geschäft investiert - und sich ein Darlehen dafür später vom WM-Organisationskomitee (OK) tilgen lassen, dessen Chef er war? Diesem Verdacht geht nach SZ-Informationen die Staatsanwaltschaft Frankfurt nach.

Es ist eine Geschichte, die tief hineinführt in ein Geflecht aus diskreten Überweisungen und komplizierten Beteiligungen. Und an deren Ende womöglich diese Erkenntnis steht: dass Beckenbauer sogar die WM-Macher vom Deutschen Fußball-Bund gelinkt haben könnte.

Die rätselhaften Transaktionen könnten einiges mit der Kirch-Pleite zu tun haben

15 Jahre ist es her, dass zehn Millionen Franken auf verschlungenen Wegen in Katar landeten. Die ersten Tranchen kamen von einem auf Beckenbauer und dessen Berater Robert Schwan laufenden Konto - später sprang Louis-Dreyfus als Kreditgeber für die Gesamtsumme ein. Am Ende landete das Geld bei einer Firma des Fifa-Funktionärs Mohammad bin Hammam in Doha. Erst zweieinhalb Jahre später, 2005, erhielt Louis-Dreyfus sein Geld zurück - aber nicht von Beckenbauer, sondern von den deutschen WM-Machern. 6,7 Millionen Euro waren es nun, abgewickelt über den Weltverband Fifa. Deklariert als Zuschuss für eine WM-Gala, die nie stattfand.

Selten im deutschen Fußball war eine Transaktionskette folgenreicher. Als sie im Herbst 2015 aufflog, zerstörte sie den Mythos von der blütenreinen Sommermärchen-WM. Sie ließ die Lichtgestalt Beckenbauer verblassen und rief Strafermittler in Deutschland, der Schweiz und den USA auf den Plan. Die Schlüsselfrage: Wofür waren die zehn Millionen Franken? Dazu haben die Ermittler nach SZ-Informationen jetzt neue Erkenntnisse und Dokumente, aus denen sich wohl ein tragfähiger Erklärungsansatz ableiten lässt.

Überraschenderweise führt diese Erklärung weg von der WM 2006. Weg von dem Verdacht, dass mit diesem Geld Stimmen für die Vergabe des Turniers gekauft wurden. Hoch problematisch wäre sie trotzdem: für den DFB, für Beckenbauer und für Fedor Radmann, Beckenbauers langjährigen Adlatus.

Die Frage ist, ob die Bankangestellte richtig lag, als sie notierte, die zehn Millionen, die später aus dem WM-Budget kompensiert wurden, seien in Rechte der Kirch-Gruppe geflossen. Als Investment Beckenbauers in den Nachlass jenes Medienimperiums von Leo Kirch, das 2002 insolvent ging. In jedem Fall ist es ein turbulentes Jahr, in dem der Millionen-Deal und das Kirch-Beben zeitlich parallel liefen.

Klar ist aber auch: Bisher erzählten die Beteiligten zu den zehn Millionen eine völlig andere Geschichte. Das Fifa-Finanzkomitee, dem Bin Hammam angehörte, habe die Summe als Vorleistung verlangt, um den Deutschen im Gegenzug einen WM-Organisationszuschuss von 250 Millionen Franken zu gewähren. Eine tolle Chance also! Den Deal abgewickelt hätten Beckenbauer, Schwan und später Louis-Dreyfus als Kreditgeber, man habe halt flott Geld auftreiben müssen für die rentable Sache.

Doch wenn es so einfach war: Wieso lief dann, wie sich inzwischen rekonstruieren lässt, alles so merkwürdig ab?

Die Staatsanwaltschaft hat erneut Beckenbauer vernommen

Am 22. Mai 2002, damit geht es los, wird ein Agreement signiert zwischen der SKK/Rofa, die Beckenbauer vermarktet und Schwan gehört, und der Firma Kemco des Skandalfunktionärs Bin Hammam in Katar. Beckenbauer und Schwan nehmen bei einer Bank in Kitzbühel ein Darlehen auf. Zwischen dem 29. Mai und dem 8. Juli 2002 fließen über eine Anwaltskanzlei sechs Millionen Franken zu Bin Hammam. Verwendungszweck laut Überweisung? Nein, nicht etwa "Vorschuss für WM- Zuschuss" - sondern der Erwerb von TV-Rechten für die Asien-Spiele 2006.

Kurz darauf stirbt Schwan überraschend. Und Mitte August kommt Louis-Dreyfus ins Spiel. Es gehe um einen Kredit an einen Freund, notiert dessen Bankberater: um "F. B.", eine "international anerkannte, absolut saubere Persönlichkeit". Es gebe einen Schuldschein von F. B. Am 20. August 2002 fließen zehn Millionen Franken von Louis-Dreyfus an besagte Kanzlei, dort wird die Summe geteilt: sechs Millionen zurück zu Beckenbauer, vier an Kemco. Somit sind nun zehn Millionen bei Bin Hammam angekommen.

Danach wird es zäh. Jahrelang drängt Louis-Dreyfus' Bank auf Rückzahlung des Darlehens, es gibt Treffen und Vertröstungen. Bis im April 2005 aus dem Budget des deutschen WM-Komitees 6,7 Millionen Euro via Fifa an den Franzosen fließen.

Während 2002 die Zahlungen fließen, steckt die Kirch-Gruppe in Existenznot. Im Frühjahr melden ihre Gesellschaften Insolvenz an. In einem Schweizer Ableger, der KirchSport AG, werden rasch die TV-Rechte an den WM-Turnieren 2002 und 2006 gebunkert - die Kronjuwelen. Auch für die Fifa sind sie überlebenswichtig. Existentielle Verluste drohen, Präsident Sepp Blatter steht intern unter Druck.

Im Oktober 2002 erhält ein Konsortium unter Führung von Louis-Dreyfus den Zuschlag für KirchSport, die Agentur wird Monate später in Infront umbenannt und ist bis heute ein großer Player am Markt. Die vormaligen Kirch-Manager Günter Netzer und Oscar Frei sind damals dabei, und vor allem vier Mehrheitsaktionäre: Louis-Dreyfus, die Deutschen Christian Jacobs und Martin Steinmeyer - sowie Scheich Saleh Kamel. Der saudi-arabische Milliardär ist ein Geschäftsfreund Bin Hammams und 2002 ein wichtiger Wahlhelfer für Sepp Blatter in der Fifa. 2003 wirft ihm ein UN-Report vor, seine Banken hätten Al-Qaida-Terroristen finanziert, was er dementiert; die Untersuchung verläuft im Sand. Derzeit sitzt Kamel unter Korruptionsverdacht in Riad fest.

Damalige Fifa-Manager sagen, Blatter persönlich habe Kamels Beteiligung verlangt. Doch in der Branche gab es damals auch die These, in der neuen Seilschaft um Kirchs Kronjuwelen könnte ein Strohmann stecken.

Für Franz Beckenbauer?

Die Frage der Frankfurter Ermittler: Schloss Beckenbauer einen Scheinvertrag ab?

Katar-Geldfluss, Infront-Gründung: Diese zwei Stränge führt nun der neue Verdacht zusammen, dem die Frankfurter Ermittler nachgehen und der nach SZ- Erkenntnissen auch in der Schweiz bekannt ist. Unterlagen zufolge, die die SZ einsehen konnte, haben deutsche Staatsanwälte in diesem Sommer erneut Beckenbauer und Radmann vernommen; viele Fragen drehen sich darum, ob der wahre Verwendungszweck der Dreyfus-Millionen im TV-Rechtegeschäft zu suchen sei.

Das ist allein wegen des Zahlungszwecks - "Erwerb TV-Rechte Asian Games" - nicht abwegig. Nur glaubt niemand, dass es um die unwichtigen Asienspiele ging. Die Frankfurter Ermittler bohren hartnäckig. Ob das Agreement ein Scheinvertrag gewesen sei, fragen sie. Sie wollen von den zwei Zeugen wissen, was die Banknotiz der BNP Paribas bedeutet. Warum bei der Zahlung nicht von der WM 2006 die Rede sei, von der Fifa, vom angeblichen Organisationszuschuss. Sie fragen, ob das Darlehen mit der Kirch-Insolvenz zu tun habe. Mit der Infront-Gründung? Gebe es gar Zusammenhänge mit dem Verkauf der Kirch-Anteile am Sender Teleclub? Für den flossen just am 22. Mai 2002 sechs Millionen Franken. Frage auf Frage, Vorhalt auf Vorhalt. Sogar eine Chronologie der Kirch-Pleite wird bemüht.

Franz Beckenbauer und Fedor Radmann antworten den Ermittlern sinngemäß: keine Ahnung. Sie könnten dazu nichts sagen. Auf eine SZ-Anfrage erklärt Radmanns Anwalt, man werde "keine Stellungnahme" abgeben. Beckenbauers Anwalt beantwortet eine Anfrage nicht.

Und die Ermittler haben mehr Fragen. Etwa zu einem Schreiben aus Louis-Dreyfus' Büro an Radmann im Herbst 2002. Louis-Dreyfus, hieß es da, wolle Scheich Kamel nicht als Partner bei Infront. Es sei denn, Radmann bestehe darauf. Das tat der. Warum hat er sich für Kamel so stark gemacht? Genau wollte Radmann sich offenbar nicht erinnern. Vielleicht habe ihn ja Bin Hammam dazu angehalten.

Tatsächlich waren Radmann, Bin Hammam und Kamel eng verwoben. Schon im Jahr 2000, rund um die WM-Bewerbung, versprachen die Deutschen ihrem wichtigsten Wahlhelfer Bin Hammam, sich für ihn einzusetzen. Der Funktionär wollte die TV-Rechte an der EM 2004 für die Firma Arab Radio and Television (ART). Die gehört Kamel. Der Deal klappte nicht. Aber für Kamel gab es Trost: Er durfte bei der neuen Infront einsteigen. Wie sich nun aus den Akten ergibt: auch dank Radmann.

Hat das WM-Ok schlicht einen Millionenkredit von Beckenbauer getilgt?

Radmann wiederum hat an der ART gut verdient: 1,7 Millionen Franken erhielt er im Oktober 2002, angeblich für die Hilfe bei Vertragsabschlüssen. Und auch die neue Infront gab Radmann einen Beratervertrag: 250 000 Dollar jährlich.

Noch problematischer ist eine weitere Zahlung: Im März 2007 flossen 5,4 Millionen Franken von Louis-Dreyfus an Radmann. Dieses Geld, notierte ein Bankberater, stehe im Kontext mit Beratungsleistungen rund um die WM 2006. Radmann hingegen sagte den Ermittlern nun nach SZ-Informationen, er habe die Millionen für Beratung und Gründung von Infront erhalten. Und: Er habe die Hälfte an Beckenbauer ausgereicht, weil auch der daran mitgearbeitet habe.

Das ist pikant. Haben die Lichtgestalt und sein Mann im Schatten, als sie die WM 2006 organisierten, nebenbei eine Agentur mit installiert, deren wichtigstes Gut just die TV-Rechte für die WM 2006 waren?

Auf Rückfragen äußern sie sich nicht. Jedenfalls, so erinnert sich ein damaliger Schweizer KirchSport-Mitarbeiter im Gespräch mit der SZ, sei früh die Rede davon gewesen, Beckenbauer wolle als "stiller Teilhaber" einsteigen. Ein deutscher Ex-Mitarbeiter aus dem Kirch-Imperium bestätigt das. Beckenbauer sagt auf Nachfrage auch dazu nichts. Den Verdacht der Ermittler, er habe damals ein stilles TV-Engagement angestrebt und die zehn Millionen dafür gebraucht, zerstreut das Schweigen nicht. Vielmehr löst der neue Erkläransatz eine Unstimmigkeit auf, die es bei der These stets gab, mit den Millionen hätten die Deutschen Stimmenkauf bezahlt: Weshalb hätten Beckenbauer und Schwan dafür privates Geld vorschießen sollen?

Sollte sich der neue Verdacht erhärten, würde er die Linie der Ermittler im deutschen WM-Strafverfahren stärken. Das läuft gegen die früheren DFB-Funktionäre und OK-Mitglieder Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger. Es geht um den Verdacht der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Rückzahlung des Darlehens 2005. Schlüsselfrage auch hier: Wofür haben die Deutschen da bezahlt? Wenn das Geld, wie die Ermittler nun annehmen, mit der WM-Organisation nichts zu tun hatte, hätte der DFB 6,7 Millionen Euro wohl zu Unrecht als Betriebsausgabe geltend gemacht - und könnte für 2006 die Gemeinnützigkeit verlieren. Das dürfte teuer werden: Die Behörden fordern bereits eine Nachzahlung von 19,2 Millionen Euro.

Doch die neuen Erkenntnisse haben noch eine andere Qualität. Demnach hätte das WM-OK im Jahr 2005 schlicht einen Millionen-Privatkredit seines Cheforganisators getilgt. Beckenbauer kauft TV-Rechte, der DFB zahlt? Ohne dass das jemand durchschaut? Das Sommermärchen hält wohl noch weitere Rätsel bereit.

Franz Beckenbauer, der jegliches Fehlverhalten bestreitet, ist im Frankfurter Steuerverfahren nur Zeuge. Wichtiger dürfte für ihn sein, wie die Bundesanwälte in Bern die Wendung beurteilen. Sie führen ein Verfahren wegen des Verdachts auf Betrug, Untreue und Geldwäsche - auch gegen Beckenbauer persönlich.

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