WM-Affäre:Löschaktion

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Just an dem Tag, an dem Niersbach "Offenheit und Ehrlichkeit" versprach, wurden Dokumente beseitigt.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Klaus Ott, Frankfurt

Die Frankfurter Staatsanwälte und Steuerfahnder, die in der Affäre um die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ermitteln, sind schon auf manch komische Begebenheit gestoßen. Ein Vorgang ist den Behörden nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR freilich besonders aufgefallen. Damit auch jeder, der das Papier liest, diese Besonderheit versteht, haben zwei Steuerfahnder des Finanzamtes Frankfurt in einem Vermerk mit grafischen Elementen gearbeitet.

In kursiver Schrift und mit umrahmtem Text notierten sie: "Am 22. 10. 2015 fand in der Zeit von 13 Uhr bis 13:45 Uhr die Pressekonferenz von Herrn Wolfgang Niersbach zu der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins S piegel statt."

Es war jene Pressekonferenz (PK), die bei vielen Beobachtern Fassungslosigkeit hinterließ. Niersbach machte einen verheerenden Eindruck. Kurz darauf hat ihn dann die im Zusammenhang mit der WM 2006 aufgeflogene Millionenschieberei sein Amt gekostet.

Exakt mit Schluss der PK, also Punkt 13.45 Uhr, hat jemand beim DFB begonnen, sieben Dateien zu verändern. Von 15.27 Uhr bis 16.36 Uhr, schreiben die Fahnder, seien diese veränderten Dateien dann gelöscht worden. Dabei hatte doch der Chef selbst, Niersbach, eben erst versprochen, die Schieberei in "aller Offenheit und Ehrlichkeit" erklären zu wollen.

Geschredderte Akten und gelöschte Dateien, das hat es schon in vielen Affären gegeben. "Quod non est in actis, non est in mundo", sagte Franz Josef Strauß gern. Auf Deutsch: Was nicht in den Akten ist, das ist nicht in der Welt. War das nun beim DFB der Versuch einer vorsätzlichen und zielstrebig betriebenen Vertuschung? Oder eher eine verzweifelte Aktion, um das Ausmaß der Affäre zu verdecken? Übertriebene Loyalität vielleicht in der Verbandszentrale mit Präsident Niersbach? An Zufall wollen die Fahnder angesichts der verblüffenden Zeitabfolge nicht glauben.

Eine Spur führte zu einem der korruptesten Fifa-Funktionäre

Was damals warum und wie geschah, das weiß offenbar auch die heutige Verbandsspitze um Präsident Reinhard Grindel nicht. Der DFB erklärte auf Anfrage, "der neuen Führung liegen keine weiterreichenden Informationen dazu vor." Mit den technischen Mitteln des DFB hätten auch "keine weiteren Erkenntnisse darüber gewonnen" werden können, "wer die Löschungen vorgenommen hat oder ob weitere Löschungsaktionen stattgefunden haben". Man setze auf die staatlichen Fahnder, die andere Möglichkeiten hätten, diese Fragen zu beantworten.

Der frühere DFB-Chef Niersbach wiederum hat nach eigenen Angaben mit der Sache nichts zu schaffen. Seine Anwältin teilte dazu mit: "Von einer angeblichen Löschaktion am 22. Oktober hat und hatte Herr Niersbach keine Kenntnis und er hat eine solche schon gar nicht angewiesen".

Dass an jenem denkwürdigen Tag im Oktober 2015 eine mysteriöse Löschaktion stattfand, darüber hat die SZ bereits Anfang Februar berichtet. Durch den Vermerk der Steuerfahnder wird jetzt klar, um was es bei dem Großreinemachen genau ging. Die seinerzeit gelöschten Unterlagen sind beigefügt. Ein EDV-Experte der Oberfinanzdirektion Frankfurt, eine Art IT-Forensiker, hat die Dokumente rekonstruieren können.

Die damals gelöschten Dateien enthielten teilweise neue Hinweise zur WM-Affäre. Darunter eine äußerst spannende Spur. Die führte zu Jack Warner, einem der einflussreichsten und korruptesten Funktionäre des Weltverbandes Fifa. Warner war einer der wichtigen Wahlmänner gewesen, als Deutschland von der Fifa-Exekutive den Zuschlag für die WM 2006 erhielt.

In einem Fax des deutschen Organisationskomitees (OK) der Fußball-WM etwa ging es um eine Ticket-Lieferung an Warner, der auch Präsident des Fußballverbandes von Trinidad und Tobago war.

Der karibische Verband und das von Franz Beckenbauer geleitete deutsche WM-OK stritten um die Umstände einer Lieferung der Karten, und die Fifa sollte wohl schlichten. Kleinkram, aber hinter diesem Vorgang steckte offenbar Größeres. Am DFB-Löschtag, dem Tag der Niersbach-PK, war ein später aufgeflogenes Geheim-Abkommen zwischen dem DFB und Concacaf, der karibischen Fußball-Organisation innerhalb der Fifa, noch nicht bekannt. Unterzeichnet worden war es von Franz Beckenbauer und Warner, der auch noch Chef der Concacaf war. Beckenbauer hatte in dem Vertrag vom 2. Juni 2000 der Concacaf und Warner umfassende Geld- und Sachleistungen zugesagt. Und 1000 WM-Tickets für Jack Warner; wobei offen blieb, ob kostenlos oder nicht. Korruptionsexperten rümpfen bei so was die Nase.

Warner jedenfalls wurde später von der Fifa wegen Korruption in anderen Fällen gesperrt. Das Beckenbauer-Warner-Abkommen wurde erst mehr als zwei Wochen nach Niersbachs Pressekonferenz bekannt und stürzte den Verband in eine noch tiefere Krise. Selbst führende DFB-Funktionäre mochten Korruption nicht ausschließen. Niersbach musste zurücktreten.

Glaubte der unbekannte Löscher, was nicht in den Daten sei, das sei nicht in der Welt? Wollte er Niersbach helfen?

Der hatte zwei Tage vorher einige Freunde im Verband per E-Mail gefragt, ob er "überhaupt noch eine Chance habe, im Amt zu bleiben". Niersbach kam zu der für ihn "bitteren Erkenntnis", dass er dieses Match nicht mehr gewinnen könne. Seine Verbandsfreunde, allesamt Leute aus der DFB-Zentrale, wussten also: Es ging für ihn um alles. Erklärt das die Löschaktion?

Sicher ist nur eines: Die WM-Affäre enthält noch viele Rätsel.

Bereits die vom DFB mit einer internen Untersuchung beauftragte Anwaltskanzlei Freshfields hatte gewisse Anhaltspunkte dafür gefunden, dass beim Verband "potenziell relevante Dokumente vernichtet worden sein" könnten. Freshfields spekulierte über "mögliche Löschvorgänge". Auch sei nicht auszuschließen, dass "bestimmte Personen" nach ihrem Ausscheiden aus dem Verband DFB-Akten mitgenommen hätten.

Dass es "Löschvorgänge" gab, ist aus Sicht der Ermittler erwiesen. Die weiteren am 22. Oktober 2015 beiseitegeschafften Dokumente betreffen den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus und die von der Fifa zuerst geplante, dann abgesagte Gala zum Auftakt der WM. Hier gab es eigentlich nicht mehr allzu viel zu verheimlichen. Niersbach hatte ja bereits bei der Pressekonferenz zu erklären versucht, was es mit Dreyfus und der Gala auf sich gehabt habe. Demnach habe der ehemalige Adidas-Chef dem DFB beziehungsweise dem von Beckenbauer geleiteten WM-OK im Jahr 2002 zehn Millionen Schweizer Franken geliehen. Diesen Betrag habe die Finanzkommission der Fifa als Voraussetzung für einen Zuschuss zur Weltmeisterschaft in Höhe von 250 Millionen Schweizer Franken gefordert.

Die Rückzahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro inklusive Zinsen an Dreyfus im Jahr 2005 war dann über die Fifa abgewickelt worden; verbucht als Zuschuss für die WM-Gala des Weltverbandes. Wo das Geld am Ende geblieben sind, wissen die Ermittler bis heute nicht. Die Millionen sollen nach Katar geflossen sein, auf ein Konto im Einflussbereich des damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohamed bin Hammam. Auch der wurde, wie Warner, später von der Fifa wegen Korruption in anderen Fällen gesperrt.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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