WM-Affäre:Geheimsache "Erdbeben" bringt DFB in Erklärungsnot

DFB Unveils Freshfields Report

Die neuen DFB-Bosse Reinhard Grindel, Reinhard Rauball und Rainer Koch sowie Freshfields-Untersuchungsführer Christian Duve (von links nach rechts) bei der Präsentation der Untersuchungsergebnisse im März 2016.

(Foto: Dennis Grombkowski/Getty)
  • Erst jetzt übergibt der DFB eine verschlüsselte und für die Aufklärung der WM-Affäre womöglich wichtige Datei der Staatsanwaltschaft.
  • Zuvor lagerte sie ein Jahr lang auf dem Verbands-Server - was die neue DFB-Führung um Chef Reinhard Grindel in Erklärungsnot bringt.
  • Immerhin hatte der DFB versprochen, alles für die Aufklärung der Affäre um die Fußball-WM 2006 zu tun.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Es war ein Name, der sofort elektrisiert. Als die Kanzlei Freshfields vor ziemlich genau einem Jahr im Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Verbandszentrale nach wichtigen Informationen für die Aufarbeitung der Affäre um die WM 2006 durchkämmte, stieß sie auf ein interessantes Dokument. Ein Unterordner in der Dateiablage des damaligen Vize-Generalsekretärs Stefan Hans trug gemäß heutiger Darstellung des DFB den Titel "Erdbeben".

Eine der Dateien darin hieß sogar "Komplex Jack Warner" - war also nach dem Fifa-Skandalfunktionär benannt, der in der WM-Affäre eine zentrale Rolle spielt. Das klang nach bedeutenden Informationen. Nur: Die Datei war verschlüsselt. Und ist es bis heute. Erst am vergangenen Montag ging das Dokument mit den brisanten Begriffen überhaupt an die Staatsanwaltschaft Frankfurt, die im Sommermärchen-Komplex ermittelt.

Und so wirft der Umgang des DFB mit der Datei ernste Fragen auf. Am 3. November 2015 hatte die Staatsanwaltschaft im Zuge ihres Verfahrens auch die DFB-Zentrale durchsucht. Dabei sicherte sie diverse verschlüsselte Dateien - und machte sie später lesbar. Die Datei "Komplex Jack Warner" aus dem Ordner "Erdbeben" wurde laut Freshfields-Report aber erst nach der Razzia erstellt; die Ermittler konnten sie seinerzeit also gar nicht sicherstellen.

Das "Erdbeben"-Material ruhte seit dem 12. November 2015 auf dem Verbands-Server

Auch Freshfields gelangte nicht an den Inhalt der Datei. Der Verfasser Hans, so heißt es in der Verbandsspitze, habe zwar allerlei Passwörter geliefert. Die hätten aber nicht gepasst. Computerexperten wurden eingeschaltet, der DFB wollte unbedingt an die Informationen. Deshalb sei die Datei damals nicht an die Ermittler gegangen, räumt nun Rainer Koch ein. "Hätte die Staatsanwaltschaft das gekriegt, wäre es jetzt noch dort", sagt der DFB-Vizepräsident und verweist darauf, dass der Verband bis heute noch keine Akteneinsicht in andere damals konfiszierte Unterlagen habe - das sei "der banale Grund" für das monatelange Zurückhalten der Datei. Dabei beteuerten die Verbandsspitzen stets, sie würden vollumfänglich mit den staatlichen Behörden kooperieren.

Spätestens im Februar war zudem geklärt, dass DFB und Freshfields die Datei gar nicht öffnen würden. Computerexperten, so lautet seitdem das unter anderem im April in einer nichtöffentlichen Sitzung des Bundestag-Sportausschusses vorgetragene Argument der DFB-Spitze, hätten vor hohen Kosten im satten sechsstelligen Bereich gewarnt - wobei weder die Öffnung gewährleistet sei noch der Fund von wirklich relevanten Informationen. Angesichts dieser Unwägbarkeiten habe man die Investition für unangemessen gehalten und auf weitere Schritte verzichtet. Nur: Warum hat der DFB das Material nicht an die Behörde weitergereicht, als klar war, dass er selbst es nicht sichten würde?

Statt zu den Ermittlern zu wandern, ruhte das "Erdbeben"-Material vom 12. November 2015 bis jetzt auf dem Verbands-Server - das bringt die neue Führung um DFB-Chef Reinhard Grindel nun in arge Erklärungsnot. Zumal dieser stets seinen "neuen DFB" ausruft und gelobt, alles sei für die Aufarbeitung getan worden, was dem Verband möglich war.

Zwar verwies der am 4. März publizierte Freshfields-Report darauf, dass diverse verschlüsselte Dateien nicht geöffnet werden konnten. Als Beispiel dafür wird in einer Fußnote sogar der "Komplex Jack Warner" genannt. Nicht zu lesen ist dort aber der Ordner-Name "Erdbeben". Auch unterließ es der DFB nach der eigenen Recherche, die Ermittler konkret über den heiklen Fund zu informieren. Der DFB teilt mit, er sei davon ausgegangen, dass der Staatsanwaltschaft die Datei vorgelegen habe. Weil den Behörden nach der Razzia weitere Dateien und Unterlagen überlassen worden seien, und weil das Dokument "Komplex Jack Warner" im Freshfields-Report genannt gewesen sei. Allerdings hätte die Staatsanwaltschaft Kenntnis über die Datei nur aus einer Fußnote im Report sowie allenfalls mäßig konkreten Aussagen ableiten können. Koch sagte am Donnerstag: "Vielleicht hätte man die Datei im März der Staatsanwaltschaft rüberfahren sollen."

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