Katar verliert Eröffnungsspiel:Zuschauer-Exodus beim Auftaktspiel

Katar verliert Eröffnungsspiel: Viele katarische Fans verlassen lang vor dem Abpfiff das Stadion.

Viele katarische Fans verlassen lang vor dem Abpfiff das Stadion.

(Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Gastgeber Katar genügt beim Eröffnungsspiel gegen Ecuador nicht mal niedrigsten internationalen Ansprüchen und verliert 0:2. Das Publikum verlässt zu großen Teilen während des Spiels das Stadion.

Von Javier Cáceres, al-Chaur

Es gibt noch immer Dinge auf der Welt, die kann man mit Geld nicht kaufen. Man kann, zum Beispiel, nicht aus jeder Ödnis eine Blumenwüste zaubern, wie sie sich im Norden Chiles in der Atacama finden lässt, alle paar Jahre jedenfalls. Man kann allenfalls für absurd viel Geld sinnlos Stadien in den Sand setzen. Und man kann, wie am Sonntag beim Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft zu sehen war, alle Anstrengungen der Welt unternehmen, und dabei doch mit dem Versuch scheitern, eine Nationalmannschaft zu zaubern, die niedrigsten internationalen Standards gerecht wird. Im Eröffnungsspiel unterlag der Gastgeber Katar gegen Ecuador mit 0:2 - und erwies sich dabei als so widerstandsfähig wie Knetmasse.

Das Ganze missfiel auch den Zuschauern so arg, dass viele von ihnen sehr früh das Stadion verließen. Als Ecuadors Spieler am Ende ihren Sieg bejubelten, war kaum noch jemand anwesend. Katars spanischer Trainer Felix Sanchez kam trotzdem zu dem ulkigen Schluss, dass die Atmosphäre im Stadion "großartig" gewesen sei. "Es tut uns leid, dass wir nicht zu dieser großartigen Atmosphäre und der Party beitragen konnten", sagte er: "Aber wir wussten, dass das passieren kann."

Die Partie unter dem stilisierten Beduinenzelt aus Beton, das da in al-Chaur hingestellt wurde, war rasch derart einseitig, dass sich die beachtlich zahlreichen ecuadorianischen Fans der Vergangenheitsbewältigung widmen konnten. Nach nur einer halben Stunde hüpften sie auf und ab und sangen dazu Chöre über das Fast-Nachbarland Chile, die man getrost als massiv homophob einstufen konnte.

Derlei verstößt zwar nicht gegen die Etikette des Emirats, dem Vernehmen nach aber gegen jene des Weltverbandes Fifa. Der Hintergrund für die Schmähungen: Die Chilenen hatten mittelbar dafür gesorgt, dass ein Außenverteidiger namens Byron Castillo bei der WM nicht mitspielen darf. Sie hatten diesen Castillo bezichtigt, dass er gar kein Ecuadorianer, sondern Kolumbianer sei, und dass er illegalerweise in den Qualifikationsspielen mitgewirkt habe - mit dem Ziel, Ecuadors Platz bei der WM einzunehmen. Das Ansinnen misslang, aber vielleicht wäre das die Lösung für Katar gewesen: Ein paar offene Bars mit Alkohollizenz im Hotel der Delegation Chiles mit Arturo Vidal, und schon wären die Siegaussichten für die Gastgeber besser gewesen als am Sonntag gegen ein weitgehend inspirationsfreies, aber physisch starkes Ecuador. Auch Katars kommende Gegner, Senegal und die Niederlande, können wohl nur betrunken verlieren.

Nach dreiminütiger Prüfung des VAR wird der Treffer von Ecuador zurückgenommen

Zu den größten Sorgen der Ecuadorianer hatte vor der Partie die notorische Harmlosigkeit vor dem gegnerischen Tor gezählt. Man konnte beim Aufwärmen der Mannschaften gut beobachten, dass die ecuadorianischen Fans exakt diesen Kummer mit auf ihre lange Reise in die katarische Wüste genommen hatten. Denn jedes Mal, wenn vom Strafraumrand ein Spieler Ecuadors ins Gehäuse traf, was gar nicht mal so oft vorkam, war ein Jubel zu sehen, der halb Begeisterung, halb Belustigung ausstrahlte. Aber: Er war kein Vergleich zum Jubel, der nach drei Minuten herrschte.

Katars Torwart Saad Alsheeb war bei einer Flanke aus dem Fünfmeterraum geeilt - und hatte den Beweis angetreten, dass man auch in der Wüste den Anschein erwecken kann, nach Trauben pflücken zu wollen. Alsheeb griff am Ball vorbei. Ein Ecuadorianer versuchte sich an einem Seitfallzieher, der Ball landete auf dem Kopf von Enner Valencia, und der nickte ein. Das war selbstredend ein Stimmungskiller, vor allem auf der Ehrentribüne: Einen mehr als 200 Milliarden Euro schweren Traum - so viel soll die WM grob geschätzt mindestens gekostet haben - sieht man eher ungern in 200 Sekunden platzen. Aber siehe: Nach dreiminütigem Zurückspulen wurde im Hintergrund einer Einstellung ein halber ecuadorianischer Unterschenkel gefunden, der unter Heranziehung der diversen Subparagraphen des Regelwerks eine Annullierung durch Abseits rechtfertigte.

Aber: Die Ecuadorianer brauchten nur noch ein weiteres Mal vors Tor zu kommen, um wieder und diesmal unanfechtbar in Führung zu gehen. Enner Valencia brach in den Strafraum ein, wurde von Torwart Alsheeb am Schienbein getroffen - und ging zu Boden. An der instinktiven Elfmeter-Entscheidung des italienischen Referees Orsato führte kein Weg vorbei. Valencia trat selbst an, schickte Alsheeb in die falsche Ecke und schob den Ball sicher zur Führung ins Tor (16.). Eine Viertelstunde später war der Stürmer von Fenerbahce Istanbul wieder präsent - und sorgte mit seinem zweiten Kopfballtreffer dafür, dass er in der Heimat nun als Emir Valencia und nicht mehr Enner Valencia durchgehen wird.

Das Spiel, es war damit so erkennbar gelaufen, dass sich die Reihen im Al-Bayt-Stadion früh in der zweiten Halbzeit zu lichten begannen. Am Ende war das Stadion so gut wie leer, die Männer in den eleganten, knöchellangen Thob-Gewändern schoben von dannen, hinaus in die Wüste. Nur das kleine Häuflein von Fandarstellern machte bis zum Schluss Radau. Was auch immer ihnen bezahlt worden war: Sie legten einen vorbildlichen Arbeitsethos an den Tag. Sie haben sich jeden einzelnen Cent verdient.

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