Hansi Flick hat gerade viel damit zu tun, das deutsche Ausscheiden bei der WM zu analysieren, aber man kann davon ausgehen, dass der Bundestrainer am Montagabend ferngesehen hat. Es war schließlich in gewisser Weise Teil der Analyse: Wie stark ist dieser Gegner denn nun wirklich, gegen den die deutsche Nationalmannschaft die letztlich entscheidende erste Partie in Katar 1:2 verlor? Die Antwort: sehr stark.
Japan war gegen Kroatien 120 Minuten lang mindestens ebenbürtig, vielleicht sogar etwas gefährlicher, bis beim Stand von 1:1 eine Entscheidung im Elfmeterschießen fallen musste. Das verloren sie nach drei vergebenen Versuchen 1:3 und verpassten damit die erste Viertelfinalteilnahme ihrer WM-Geschichte.
Nationalmannschaft:Deutschland hat den Strafraum verlernt
Hinten schusselig, vorne auch: Die WM hat gleich mehrere Problemzonen des deutschen Fußballs aufgezeigt. Es sind die Folgen einer Ausbildung, in der nur noch Tiki und Taka, aber nicht mehr Rumms und Wumms gelehrt wurden.
Vor der Tribüne ihrer Fans, die das ganze Spiel hindurch gesungen hatten, versagten gleich drei Japanern die Nerven: Takumi Minamino, Kaoru Mitoma und Kapitän Maya Yoshida vom FC Schalke 04 schossen jeweils so, dass Kroatiens Torwart Dominik Livakovic sich nur für die richtige Ecke entscheiden musste. Mario Pasalic verwandelte den vierten und entscheidenden Elfmeter für Kroatien. Und die Japaner verabschiedeten sich mit Tränen in den Augen auf einer halben Ehrenrunde von ihren Fans.
Lange Zeit sieht es so aus, als würde Japans Moriyasu der nächste Coup gelingen
Die Japaner hatten dieses Achtelfinale als bislang größte Überraschungsmannschaft des Turniers erreicht, aber diesmal war es eher fraglich, ob sie überhaupt noch als Außenseiter durchgehen konnten. Wer vor Spanien und Deutschland Gruppenerster wird, ist der nicht eher Favorit gegen einen Gegner, der bislang nur Kanada geschlagen hat?
Andererseits handelt es sich bei den Kroaten, Gruppenzweiter hinter Marokko, nun mal um den Zweiten der Weltmeisterschaft 2018. Und Luka Modric, Kroatiens Spielmacher, hat grundsätzlich allein schon für seinen zu Wunderbarem fähigen Außenrist mehrere Pokale verdient.
Robert Lewandowski nach Polens WM-Aus:Zu gut für sein Land
Polen erfüllt mit der Achtelfinal-Teilnahme sein Soll. Ein im zweiten Anlauf verwandelter Elfmeter lässt Weltklassestürmer Robert Lewandowski das 1:3 gegen Frankreich leichter verschmerzen. Ob es seine letzte WM war, lässt der 34-Jährige offen.
Kroatiens Trainer Zlatko Dalic wollte offensichtlich etwas mehr Produktivität aus den Zuspielen von Modric sehen, nachdem gegen Marokko im ersten und Belgien im dritten Spiel nur ein 0:0 gelungen war. Jedenfalls stellte Dalic überraschend Bruno Petkovic von Dinamo Zagreb anstelle von Marko Livaja in der Sturmmitte auf. Japans Coach Hajime Moriyasu, nach der Vorrunde schon als einer der gewieftesten Taktiker des Turniers gepriesen, änderte seine Aufstellung auch: Von den neun Bundesligaprofis im Kader spielten Wataru Endo vom VfB Stuttgart und Ritsu Doan vom SC Freiburg wieder von Beginn an, Borussia Mönchengladbachs Ko Itakura fehlte gelbgesperrt.
So wie das Spiel losging, hatte man den Eindruck, Moriyasu würde der nächste Coup gelingen. Die Japaner überraschten die Kroaten mit aggressivstem Pressing am gegnerischen Strafraum. Kaum drei Minuten waren gespielt, da hatte Shogo Taniguchi schon die erste Kopfballchance vergeben. Vor allem hatte Stürmer Daizen Maeda aber den kroatischen Torwart Livakovic mit einer Grätsche angegriffen. Der Keeper hatte Glück, dass der Ball ins Toraus rollte.
In der zweiten Hälfte überraschen die Japaner wieder
Danach zogen sich die Japaner in höchster taktischer Disziplin zurück, wie man es aus den Partien gegen Deutschland und Spanien kannte. Sie verteidigten tief, überließen dem Gegner den Ballbesitz im Mittelfeld, stellten das Zentrum zu. Eine Chance in der achten Minute hatten die Kroaten zunächst nur, weil Takehiro Tomiyasu auf der rechten Abwehrseite den Ball gegen Ivan Perisic verlor. Torwart Shuichi Gonda hielt.
Bis zur Pause blieb das Bild dasselbe, doch die gefährlichen Angriffe gelangen dabei den Japanern. Schon in der 41. Minute hätten sie die Führung verdient gehabt: Hidemasa Morita passte aus einer scheinbar aussichtslosen Situation mit dem Rücken zum Spielfeld mit der Hacke auf Maeda, im Strafraum setzte Endo Daichi Kamada in Szene, der Frankfurter schoss übers Tor.
Drei Minuten später war es dann aber soweit: Doan flankte nach einem Eckstoß aus dem Halbfeld, der Schalker Maya Yoshida bekam einen Fuß an den Ball, Maeda grätschte ihn über die Linie. Der laute Torschrei ließ keinen Zweifel daran, wie die Sympathien im Al-Janoub-Stadion verteilt waren.
In der zweiten Hälfte überraschten die Japaner dann wieder, indem sie sich diesmal nicht zurückzogen, sondern selbst die Initiative ergriffen. Und eigentlich sah zunächst wenig danach aus, dass die Kroaten ins Spiel zurückfinden würden, bis Dejan Lovren aus ganz ähnlicher Position wie Doan in der ersten Hälfte flankte und Ivan Perisic mit einem Kopfball, so hart wie ein Schuss, aus fast 16 Metern zum Ausgleich traf (55.).
Der 37-jährige Luka Modric wird also mindestens noch einmal für sein Land auflaufen
Nun waren die Kroaten wieder besser, auch Modric hatte seine Szenen, einmal schoss er per Dropkick aus der Distanz, natürlich mit dem Außenrist - Gonda hielt, genau wie kurz darauf bei einem Distanzschuss von Perisic. In der regulären Spielzeit blieben das die letzten Gelegenheiten.
So müde die Japaner zu werden schienen, so schwer ihnen die Zweikämpfe fielen, so hatten sie doch auch in der Verlängerung die beste Gelegenheit: Kaoru Mitoma, einer von am Ende elf eingewechselten Spielern auf dem Feld, schoss nach einem Alleingang, aber zu zentral auf Torwart Livakovic.
Bei den Kroaten verließ in der Verlängerung der berühmteste Spieler den Platz. Modric übergab die Kapitänsbinde an Lovren und ging unter dem Applaus der Fans vom Rasen, auf der Bank wurde er von seinem Mitspieler Domagoj Vida in den Arm genommen. Doch die Frage, ob es für den 37 Jahre alten Mittelfeldspieler von Real Madrid die letzte Partie im Nationaltrikot gewesen sein könnte, musste man nicht mehr stellen, als die Kroaten von ihren Fans gefeiert wurden.