Japan gegen Schweden, das war natürlich nicht die Halbfinalpaarung gewesen, wegen der die Menschen ihre Tickets erworben hatten und nach Frankfurt gereist waren. Das machte aber nichts. Frankfurt hat sich am Mittwochabend neugierig eingelassen auf dieses Kräftemessen zweier unterschiedlicher Fußballschulen, nur vereinzelt standen am Fußweg von der S-Bahn traurige Deutschlandfans, denen das Spiel sein Eintrittsgeld nicht mehr wert war ohne Angerer, Laudehr und Grings.
Die Arena war mit 45.434 Zuschauern zwar nicht ganz ausverkauft, verbarg ihre freien Plätze aber elegant, und es ist dann auch niemand enttäuscht nach Hause gegangen. Abgesehen von den Anhängern der Schwedinnen.
Denn so leidenschaftlich die Fußballerinnen aus Skandinavien sich bisher durch diese WM gespielt hatten, so deutlich wurden ihnen nun die Grenzen aufgezeigt. Dank eines 3:1 (1:1)-Erfolgs zogen die Japanerinnen ins Endspiel ein, wo sie am Sonntagabend, wieder in Frankfurt, auf die USA treffen werden. Das alleine war aber noch nicht die Überraschung. Die Überraschung war, dass der japanische Technik- und Fleiß-Fußball eine neue Facette hinzugewonnen hatte in diesem Halbfinale, eine, die kaum jemand erwartet hatte: Lässigkeit.
Was die Japanerinnen anbetraf, so war die entscheidende Frage ja gewesen, ob sie zu einem Kraftakt wie jenem gegen die deutsche Elf am Samstag noch einmal in der Lage sein würden. Wie wichtig dieser - auch für sie selbst - unerwartete Erfolg für das Selbstvertrauen sei, das hatten sie fortwährend betont, aber bisweilen haben gerade die unerwarteten Siege ja unerwünschte Nebeneffekte wie Spannungsabfall und Selbstzufriedenheit.
Und anstrengend waren die 120 Minuten in Wolfsburg auch gewesen, aber Homare Sawa, die mit ihrem Pass vor dem Siegtor wesentlichen Anteil daran hatte, dass dieser Frankfurter Abend nun ohne Angerer, Laudehr und Grings stattfand, wollte von solchen Nachwirkungen nichts wissen. Wenn man die Möglichkeit habe, "die Geschichte zu verändern", dann spiele es nämlich ""keine Rolle, ob man müde ist oder nicht".
So also sprach Frau Sawa. Und es war dann zunächst nicht nur paradox, wie früh die Japanerinnen in Rückstand gerieten. Sondern auch, wie sie in Rückstand gerieten. Homare Sawa nämlich leistete sich einen Fehlpass aus dem Bolzplatz-Reservoir, von dem man gar nicht für möglich gehalten hätte, dass japanische Fußballerinnen, zumindest japanische Fußballerinnen im Wachzustand, ihn im Programm haben. Josefine Öqvist ersprintete sich den Ball, trat ihn satt unter die Latte - und schon stand es 1:0 für Schweden, nach zehn Minuten.
Es blieb dann zunächst der Abend der Überraschungen: Der nächste Bruch mit den Erwartungen war die Art und Weise, wie die Japanerinnen nur neun Minuten später zum Ausgleich kamen. Nicht mit jenem gepflegten Kurzpasspiel, welches Schwedens Trainer Thomas Dennerby in einem Anflug von Japan-Leidenschaft gerade noch als ästhetisches Vorbild gepriesen hatte ("Ich mag es, wenn der Ball auf dem Boden bleibt").
Der Ball blieb nämlich keinesfalls am Boden: Aya Miyama schlug eine gepfefferte Flanke von der linken Seite in den Strafraum der Schwedinnen, Nahomi Kawasumi beförderte den Ball per Kung-Fu-Flug über die Linie. Homare Sawa hat Nahomi Kawasumi daraufhin ausnehmend erleichtert in den Arm genommen, obwohl der Treffer auch ein bisschen unter Eigentor-Verdacht stand: Kawasumis Fuß war nicht der einzige, der im Strafraum-Getümmel zum Ball ging. Wie auch immer: Nach 19 Minuten stand es 1:1. Alles wieder offen.
Die Partie zog ihre Attraktivität dann eine Weile mehr aus der Spannung als aus der spielerischen Qualität. Doch die Japanerinnen nahmen mehr und mehr das Heft in die Hand. Wie sie es geschafft haben, inzwischen auch mit der robusten Spielweise, wie sie im europäischen Frauenfußball gepflegt wird, zurechtzukommen, das hat Japans Trainer Norio Sasaki kürzlich verraten: unter anderem, indem sie in Testspielen immer wieder das Verteidigen gegen hohe Bälle geübt haben. In Testspielen gegen Männermannschaften - und gegen Schweden.
Thomas Dennerby dürfte sich nun ärgern, dass er da vor der WM mitgemacht hat, doch die Überlegenheit der Japanerinnen hatte längst ganz verschiedene Gründe. Einer war Schwedens Torhüterin Hedvig Lindahl. Nach einer beharrlichen Ballstafette inklusive harmlosem Torschuss konnte sie den Ball nicht festhalten, wieder war Homare Sawa zur Stelle und traf per Kopf (60.). Und als Lindahl kurz darauf beim Herauslaufen den Ball in die Füße von Nahomi Kawasumi drosch, erzielte die aus der Distanz ein so herrlich lässiges Tor (64.), dass die Beobachter sich schnell einig waren, was eine Mannschaft noch werden kann, die derart lässige Tore erzielt: Weltmeister. Warum nicht? (Text: Claudio Catuogno)
Bruno Bini hat ein Problem. Der französische Nationaltrainer befürchtet, dass er in seiner Heimat den Ruf eines Poeten weg hat. Das stört Monsieur Bini, weil er gar kein flirrender Philosoph sein will, sondern einfach nur ein guter Fußballtrainer. Der 57-Jährige hatte Frankreichs Fußballerinnen erstmals ins Halbfinale einer Weltmeisterschaft geführt, das allein hätte drüben in Frankreich schon fachspezifische Begeisterung auslösen müssen.
Doch Bini hat den begeisternden Turnierverlauf seiner Mannschaft mit verwirrend feingeistigen Kommentaren zu garnieren gewagt. Dass er sich vor dem Halbfinale gegen die USA krank und fast grantig gezeigt hatte, muss ein Wink des Schicksals gewesen sein. Bini und seine Fußballerinnen unterlagen den USA am Mittwoch in Mönchengladbach mit 1:3 (0:1), obwohl sie über weite Strecken den schöneren und gefährlicheren Fußball gespielt hatten. Darauf muss sich der frustrierte Poet Bini nun seinen Reim machen.
Pia Sundhage hat kein Problem. Die Trainerin der US-Frauen löst weder in ihrer Heimat Schweden noch in Amerika Zweifel an ihrer fußballerischen Kompetenz aus. Die 51-Jährige hat die US-Auswahl 2008 zum Olympiasieg in Peking geführt, aber nicht bloß deswegen, sondern auch wegen ihrer bodenständigen Art und ihrer stets freundlich-sachlichen Tonlage würde niemand sie als Poetin diskreditieren.
Sie hat in den USA vielmehr das Pathos erlernt. "Poesie gegen Pathos", war das Duell zwischen Frankreich und den USA in Anspielung auf die beiden Trainer vorher genannt worden, aber tatsächlich traf diese Charakterisierung auch auf das Spiel zu: die Französinnen zart, die Amerikanerinnen eher brachial. So zogen letztere ins Endspiel ein.
Beide Mannschaften hatten dieses Halbfinale ja gewissermaßen in allerletzter Minute erreicht, weil im Viertelfinale sowohl die Französinnen gegen England (87. Minute) als auch die Amerikanerinnen gegen Brasilien (120. Minute) erst im letzten Moment den rettenden Ausgleich erzielt hatten - als schon niemand mehr damit rechnete. Beide Teams haben danach das Elfmeterschießen gewonnen und sich also durch ihre Nervenstärke für dieses Halbfinale empfohlen.
Man hätte unter diesen Umständen vielleicht erwarten dürfen, dass beide Mannschaften es im Halbfinale ganz ruhig angehen lassen - warum denn gleich Vollgas geben, wenn so ein Spiel auch 120 Minuten plus Elfmeterschießen dauern darf? Doch den Amerikanerinnen hat das Zerren an den Nerven im dramatischen Spiel am vergangenen Sonntag wohl die Lust am Abwarten verhagelt, und so nutzten sie mit unreflektierter Offensivmühe gleich ihre erste Chance in der 9. Minute, als Lauren Cheney eine flache Hereingabe von der Linksaußen Heather O'Reilly schnörkellos ins französische Tor verlängerte. Die nach ihrer Roten Karte aus dem Spiel gegen Deutschland ins Tor zurückgekehrte Torhüterin Berangere Sapowicz war machtlos.
Am anderen Ende des Feldes war die US-Torhüterin Hope Solo hingegen gar nicht bedauernswert, im Gegenteil, Mitleid verdienten dort die Französinnen, die sich mit ansehnlichen Spielzügen attraktive Chancen erarbeiteten und an Solo oder höheren Mächten scheiterten. "Die Welt steht hinter uns", hatte die US-Torfrau Hope vor dem Spiel behauptet, und wenn sieben Milliarden Menschen Rückendeckung geben, pariert es sich doch gleich viel besser. Solo entschärfte mehrere Bälle mit flinker Hand, und als sie in der 33.Minute bei einem Schuss von Sonia Bompastor zugucken musste, landete der Ball an der Latte. Wer sich im Zentrum der Welt wähnt, zieht womöglich auch das Glück magisch an.
Die Französinnen spielten über weite Stecken einfach besser. "Es macht Spaß, dieser Mannschaft zuzuschauen", hatte Frankreichs Männerfußballtrainer Laurent Blanc vor dem Spiel gesagt, und dieses Halbfinale war ein weiterer Beweis seiner These. Die zentrale Spielmacherin Louisa Necib vom Champions-Leaue-Sieger Olympique Lyon entpuppte sich mit genialen Pässen als überragende Spielerin. Beim 1:1-Ausgleich in der 55.Minute war sie ausnahmsweise nicht beteiligt.
Die kleine Sonia Bompastor brachte von links einen langen Ball in den Strafraum, der auch deswegen ins rechte Eck des US-Tors flog, weil Hope Solo von der unmittelbar vor ihr zum Kopfball hochsteigenden Gaetane Thiney irritiert wurde. Dieser Ausgleich war nun freilich dem Spielverlauf längst angemessen, zumal den Amerikanerinnen ihre Mühen des Viertelfinals vom Sonntag deutlicher anzusehen waren als den Französinnen die ihren vom Samstag.
Erst in den letzten 20 Minuten vermochten die Amerikanerinnen die Partie wieder offen zu gestalten, sie kämpften sich routiniert und willensstark zurück ins Spiel und drückten plötzlich auf einen Treffer, den in der 79. Minute jene Abby Wambach per Kopf erzielte, die auch gegen Brasilien in der Schlussminute getroffen hatte. Sapowicz assistierte, indem sie die Augen schloss und am Ball vorbeigriff.
Drei Minuten später machte Alex Morgan mit dem 3:1 dann alles klar - sie lupfte über die früh fallende französische Torhüterin - und gestattete ihrem Team erstmals seit 1999 wieder den Einzug ins Endspiel der Weltmeisterschaft. Den überzeugenden, aber frustrierten Französinnen bleibt als Trost die Qualifikation für Olympia und das Spiel um Platz drei. (Text: Ulrich Hartmann)