WM 2011 und die Folgen:Ballack, der Helfer des Frauenfußballs

Lesezeit: 3 min

Schafft es der Frauenfußball nach dieser WM-Inszenierung, sich durchzusetzen? Wahrscheinlich nicht, denn ihm fehlt etwas Entscheidendes: das Gedächtnis. Er hat keine Klassiker, keine Mythen, keine Helden. Doch ausgerechnet eine Entwicklung im Männerfußball gibt Anlass zu Hoffnungen.

Thomas Alkemeyer

"The beautiful side of 20eleven", die schöne Seite des Jahres 2011, so lautete der Slogan, den der Weltverband Fifa und das deutsche Organisationskomitee für die gerade zu Ende gegangene Weltmeisterschaft konzipiert hatten. Mehr als zehn Stunden sollen die überwiegend männlichen Experten aus den Vorstandsetagen des Fußballs übrigens getagt haben, um ein Motto zu finden, das in der Lage ist, "den einzigartigen Charme des Frauenfußballs zu übermitteln", wie DFB-Präsident Theo Zwanziger sagte.

Dem gegenwärtigen Frauenfußball täten einige Führungsfiguren mehr (im Bild Deutschlands Sechserin Simone Laudehr) durchaus gut. Doch dass heutzutage selbst im Männerfußball "Leitwölfe" wie Michael Ballack nur noch eine unbedeutendere Rolle als früher spielen, ist für den Frauenfußball eine gute Nachricht. (Foto: AFP)

Der Slogan hat eine verstecke Botschaft: Wie in anderen typischen Männer-Sportarten auch, dem Boxen etwa, wird von fußballspielenden Frauen erwartet, ihre Weiblichkeit zu bewahren. Zwar versuchen Klubmanager seit den neunziger Jahren, den Fußball als geschlechtsneutral zu etikettieren, um ihren Kundenkreis zu erweitern. Jedoch muss man weiterhin Frauenfußball sagen, wenn man den von Frauen gespielten Fußball meint. Wer von Fußball spricht, bezieht sich selbstredend auf den Männersport.

Vor diesem Hintergrund hatte es die Frauen-WM ohnehin schwer, zum erhofften zweiten Sommermärchen zu werden - unabhängig vom Abschneiden der deutschen Mannschaft. Dennoch markiert dieses Ereignis einen wichtige Schritt in der Geschichte des Frauenfußballs: Wenn favorisierte Teams bereits in der Vorrunde (Norwegen) oder im Viertelfinale (Deutschland) gegen vermeintliche Außenseiter scheitern, ist das eine neue Qualität. Der Frauenfußball ist unberechenbarer geworden.

Auch deshalb begeisterte sich das Publikum für dieses Turnier, als die deutsche Elf schon ausgeschieden war. Es wird sich aber zeigen, ob es sich dabei um ein bloßes Eventpublikum handelte. Im Kontrast zum WM-Spektakel nämlich sieht nicht nur der Alltag in der deutschen Frauen-Bundesliga trist aus. Selbst bei der Übertragung des Finales in der Champions League der Frauen zwischen Turbine Potsdam und Olympique Lyon im Mai dieses Jahres blieben die Fußballkneipen leer. Liegt die weibliche Zukunft des Fußballs, die Fifa-Boss Sepp Blatter einst kühn visionierte, in weiter Ferne?

Eine vielzitierte Ausnahme ist der aktuelle WM-Zweite und Weltmeister von 1991 und 1999 USA. Ähnlich wie in China und Norwegen konnte sich der Frauenfußball hier frühzeitig etablieren, weil die Fußballmänner in der nationalen Sportkultur ohnehin nur eine zweitrangige Rolle spielten - neben den "großen Vier" des nordamerikanischen Sports: Baseball, American Football, Basketball und Eishockey. Die Frauen besetzten also eine Nische. Allerdings gibt es keinen erfolgreichen professionellen Ligabetrieb. Nur einige prominente Spiele des Nationalteams lassen sich dem amerikanischen Publikum auch weiterhin gut verkaufen.

Die fehlende Zutat

In unserer westeuropäischen Sportkultur, in der Fußball derart im Zentrum steht und mit Männlichkeit assoziiert ist, wird es der Frauenfußball noch schwerer haben, sich durchzusetzen. Ihm fehlt ein entscheidende Zutat: Er hat keine eigene Kultur des Zuschauens und des Mitleidens, er ist ohne Klassiker und eigene Mythen, er besitzt kein eigenes Gedächtnis.

Das Spielgeschehen des Männerfußballs gehört zu einer symbolischen Welt voller Andeutungen, Erzählungen und Geschichten. Große Fußballspiele fügen sich in einen Raum kollektiver Erinnerungen, die von Spielernamen und Spielstätten, Spielzügen und Gesten wachgerufen werden können. Fußballpartien sind stets mehr als Ergebnisse. Sie zeigen den Fans immer auch etwas, das nicht mehr ist, etwas Unsichtbares, Verborgenes, das bereit steht, um jäh heraufbeschworen zu werden.

WM 2011: Tops & Flops
:Zickzack-Silvia und der Moschushirsch

Die Bundestrainerin verblüfft - und während ihre Mannschaft alles verspielt, überzeugt wenigstens eine Deutsche. Die Dauernörgler nerven und ein possierliches Tierchen wird als Ausrede in die WM hineingezogen. Die Tops und Flops der WM.

In Bildern

Dem Frauenfußball fehlt bislang eine solche magische Kraft. Allerdings zeigen sich erste Keime ihrer Entwicklung. Als die deutsche Mannschaft in der Vorrunde gegen Nigeria spielte, pfiff sie das Publikum nach dürftiger erster Halbzeit aus. Später gab es Anfeuerungsgesänge, schließlich den befreienden Tor-Schrei aus 50.000 Kehlen.

Auch das Spiel gegen Frankreich, ebenfalls in der Vorrunde, war durchaus klassiker-tauglich. Nicht nur im Stadion, sondern auch vor den Kneipen-Fernsehern formte sich unvermittelt ein echtes Fußballpublikum, getragen vom fußballtypischen Sound der Fangesänge und der Schmährufe, des Mitleidens und der Erlösung. Das Publikum wurde ins Spiel hinein gezogen, es verlor seine abschätzende Haltung. Die Spielerinnen dankten es ihm mit leidenschaftlichem Jubel und Gesten der Entschlossenheit.

Bis heute gilt das Fußballstadion als ein Ort, an dem es männlich zugeht - und der Unterschied zur Frauenwelt groß ist. Die Bilder der WM 2011 relativieren diesen Unterschied. Sie zeigen kämpferische Frauen, teils mit verzerrten Gesichtern, und nicht das Aussehen, sondern die Einsatzfähigkeit ihrer Körper ist entscheidend.

Damit nähert sich der Frauenfußball anderen Bereichen der Populärkultur an, in denen die Geschlechtergrenzen längst nicht mehr so eng gezogen werden wie im klassischen Sport, vor allem dem Kino: True Grit, Winters Bone oder Wer ist Hanna? feiern Mädchen als Kerle. Diese Mädchen möchten weder schön noch sexy sein wie die gedrillten Darstellerinnen der Casting-Shows, sie nehmen ihr Leben selbst in die Hand.

Förderlich für den Frauenfußball könnte zudem sein, dass sich im Männerfußball "die Zeit der Ballacks" dem Ende zuneigt. Wichtiger als die männlichen Leitwölfe sind die Spielsysteme geworden. Ob aktiver Ballbesitzfußball (FC Barcelona) oder reaktiver Konterfußball (Real Madrid), eine der Hauptaufgaben des Trainerstabs besteht nun darin, Spieler zu rekrutieren, die zum System passen. Jene traditionelle Männlichkeit, die sich durch Dominanz und Führungsanspruch auszeichnet, wird damit überflüssig, ja störend.

Die großen Spieler des gegenwärtigen Männerfußballs - Iniesta, Xavi, Messi, Özil - mögen Stars sein, aber keiner beansprucht eine Führungsrolle. Entscheidend sind die Taktik und der Stil, die in alltäglicher Trainingsarbeit entstehen. Zwar täten dem gegenwärtigen Frauenfußball einige Führungsfiguren mehr durchaus noch gut. Für die Zukunft könnte hingegen im verwissenschaftlichen Konzeptfußball eine Chance liegen.

Professor Thomas Alkemeyer ist Sportsoziologe an der Universität Oldenburg.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Frauen-WM 2011: Elf des Turniers
:Die fabelhafte Elf der Männer

Nach langen, schweißtreibenden, aber immer interessanten Diskussionen haben die männlichen Mitarbeiter der Sportredaktion beschlossen, die schönsten, schrägsten, geheimnisvollsten, einfach: die besten Frauen der WM zu küren - nach einem Kriterienkatalog, den man lieber nicht so genau kennen mag. Mit Abstimmung.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: