WM 2011: Silvia Neid:Silvia, die geborene Chefin

Früher war Silvia Neid, 47, eine der besten Fußballerinnen der Welt. Als Bundestrainerin formt sie ihre eigenen Nachfolgerinnen. Sie erzieht ihre Spielerinnen, spricht Probleme offen an - und scheut gewiss keine Konfrontation.

Kathrin Steinbichler

Es gibt Augenblicke im Leben der Silvia Neid, in denen sie alles um sich herum vergessen kann. Da geht die Hobbygolferin ganz auf in dem Moment, hört auf zu überlegen und macht einfach. Einmal im Monat etwa, meist an Samstagen, veranstaltet ihr Klub, der Golfclub Siegerland, ein Turnier, wie es im Golf beliebt ist. "Tiger & Rabbit" heißt der Wettkampf, bei dem ein Gespann aus einem erfahrenen Golfer und einem lernenden Spieler zusammen auf die Platzrunde geht.

Frauen-WM 2011 - Training Deutschland

Deutliche Anweisungen: Silvia Neid während des Trainings der Frauen-Nationalmannschaft in Berlin.

(Foto: dpa)

Der Rabbit, der Hase also, soll dabei vom Tiger lernen, und man kann sich Silvia Neid gut vorstellen, wie sie mit dem Golfschläger am Grün steht, mit der Entschlossenheit einer Tigerin, die Augen auf den kleinen Ball gerichtet wie auf eine Beute, und ... stopp! Silvia Neid ist hier nicht der Tiger. Sie ist der Hase. Noch.

Jahrzehntelang war Silvia Neid immer eine der Besten in ihrem Sport. Im Fußball kann der Frau aus dem kleinen Walldürn kaum einer was vormachen. Ob Dribbeln, Laufen oder Passen, ob Spielaufbau oder Torabschluss - als Neid noch selbst auf dem Platz stand, hatte kaum eine dieses Körpergefühl, dieses Talent am Ball, diesen Blick für den Raum und diese Ahnung für die Schwächen des Gegners wie Neid.

"Die Silv' ist die geborene Anführerin", hat Gero Bisanz einmal gesagt, der erste Trainer der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft, der Neid damals, im ersten deutschen Frauen-Länderspiel am 10. November 1982, gegen die Schweiz in der 41. Minute einwechselte. Eine Minute später schoss die damals 18-Jährige das 3:0 und war seitdem aus der Nationalelf nicht mehr wegzudenken.

Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Olympische Spiele - Silvia Neid hat sie alle erlebt und zumindest als Trainerin fast alle auch gewonnen. Nur der Olympiasieg fehlt in der Sammlung. "Ist doch schön, wenn man noch was vorhat", sagt die 47-jährige lizenzierte Fußballlehrerin.

111 Mal lief die Mittelfeldregisseurin für Deutschland auf, sie hat als Spielerin die Nationalelf geprägt. Dass sie jetzt als Trainerin die deutschen Fußballerinnen zu dieser sechsten WM, der ersten vor heimischem Publikum, anführt, nennt Neid "etwas, dass ich mir früher nie hatte träumen lassen. Aber eine muss es ja machen. Und ich bin nicht die Schlechteste dafür, glaube ich."

Gefühl der Unabhängigkeit

Früher, als sie mit gerade 16 Jahren zum SC Klinge Seckach und drei Jahre später zur SSG 09 Bergisch Gladbach wechselte, "da gab es nicht nur noch keine Frauen-Nationalmannschaft, da gab es auch keinen, der einem gesagt hätte, wie man ordentlich trainiert", erinnert sich Neid. "Geh rein und mach' was draus", habe es von ihren Trainern meist geheißen.

Frauen WM Silvia Neid

Eine der besten Spielerinnen ihrer Zeit: Silvia Neid.

Alle verließen sich darauf, dass Neid schon wissen würde, was zu tun ist. Also lernte sie, sich und ihren Instinkten zu vertrauen, und es funktionierte. "Ich hätte damals wahnsinnig gerne mehr gelernt und mich mehr verbessert", sagt Neid, "ich trauere heute noch darum, dass ich nicht beidfüßig schießen gelernt habe. Aber ich hatte eben einen starken rechten Fuß, damit waren alle zufrieden. Heute genügt das nicht mehr."

Heute müssen alle deutschen Nationalspielerinnen, schon in den Juniorinnen-Auswahlmannschaften, beide Beine trainieren und mit links wie rechts schießen können. Darauf achtet Neid genauso wie ihre Vorgängerin Tina Theune, deren Assistentin sie seit 1996 und auch beim ersten WM-Sieg 2003 in den USA war. Als Theune 2005 aufhörte und Neid übernahm, war nicht klar, ob sie die großen Fußstapfen würde füllen können.

Als sie bei der WM 2007 in China dann selbst den Titel holte, den zweiten deutschen hintereinander, was zuvor keiner Nationalelf gelungen war, hat sich etwas verändert, sagt Neid. "Seitdem weiß ich, dass ich keinem mehr etwas beweisen muss." Es ist ein Gefühl von Unabhängigkeit, das Neids Trainerdasein eine neue Qualität gibt. Sie muss nicht mehr, sie kann jetzt. Die älteren Nationalspielerinnen, die sie schon länger kennen und sie deshalb noch duzen dürfen, spüren das. "Sie ist schon ruhiger geworden. Nicht mit dem, was sie will, aber in der Art, wie sie es will", sagt etwa Birgit Prinz.

"Eine meiner Stärken ist, mich genau zu kennen", sagt Neid. Sie kann einschätzen, was sie kann und was sie besser sein lässt. Und sie hat schnell ein Gespür dafür, wofür andere ein Talent haben und woran sie besser arbeiten sollten. Dieser genaue Blick ist es, der Neids Arbeit als Trainerin auszeichnet und mit dem sie Deutschlands Nationalelf zum Marktführer gemacht hat.

Er ist es auch, der sie für andere oft so unerbittlich macht: Wer mit ihrer Kritik zurecht kommt, profitiert davon. Und die anderen? "Wenn eine nicht an sich arbeitet und sich nicht verbessert, kann ich mit ihr nichts anfangen", sagt Neid. Zuletzt musste das Stürmerin Anja Mittag spüren. Neid strich sie aus dem WM-Kader, weil andere effektiver geworden waren. Obwohl Mittag die erklärte Lieblingsspielerin von DFB-Präsident Theo Zwanziger war.

Deutliche Worte für die Spielerinnen

Frauen-WM 2011 - Training Deutschland

Die Spielerinnen und ihre Chefin: Bundestrainerin Silvia Neid gibt den Akteurinnen Anweisungen.

(Foto: dpa)

"Wenn die Frau Neid etwas sieht, was ihr nicht gefällt, dann sagt sie das. Sehr deutlich!", sagt Alexandra Popp, die 20-jährige Nachwuchshoffnung im deutschen Offensivspiel. Popp war 18, als Neid sie das erste Mal zur Nationalelf einlud. Ein sensibles Alter für junge Frauen, doch Neid scheute sich nicht, der großgewachsenen und früh gefeierten Popp deutlich zu sagen, was ihr bis dahin größter Fehler war.

"Sie hat gesagt, dass ich zu viel wiege. Und dass ich die Ernährung umstellen muss. Sonst wird es nichts mit der Karriere." Popp schluckte. Trank Schorle statt Softdrink, aß Vollwertkost statt Weißbrot, ließ sich Trainingspläne geben und nahm sechs Kilo in einem halben Jahr ab. "Ich bin jetzt viel spritziger und schneller", sagt Popp, "sie hatte einfach recht."

Silvia Neid weiß vor dieser WM, dass sie 21 professionell denkende Spielerinnen im Team hat, die akzeptieren, was die Trainerin sagt. Nicht wegen ihrer Autorität, sondern weil sie wissen, dass sie davon profitieren. 2009 etwa holte Silvia Neid einen Psychologen ins Betreuerteam, der seitdem vor und bei Turnieren immer bei der Mannschaft ist.

"Mir war klar, dass diese WM einen unglaublichen Druck aufbauen wird", sagt Neid, "darauf kann am besten ein Psychologe die Spielerinnen vorbereiten." Auch sie selbst schätzt die Gespräche mit ihm und tauscht sich mit ihm aus.

Gerade erst hat die 47-Jährige ihren Vertrag beim Deutschen Fußball-Bund vorzeitig um drei weitere Jahre bis 2016 verlängert. Unabhängig davon, ob Deutschland in diesem Sommer den dritten WM-Titel gewinnt oder nicht. "Ich könnte mir auch vorstellen, etwas anderes zu machen", hatte Silvia Neid zuvor gesagt, aber sie hat gemerkt, dass sie noch nicht fertig ist. "Ich liebe Herausforderungen."

Die nach der WM besteht darin, den Abschied der Älteren um Spielführerin Prinz aufzufangen. Und ihr beachtliches Golf-Handicap von 17,8 zu verbessern. Silvia Neid hat nichts dagegen, der Hase zu sein. Aber noch lieber ist sie der Tiger.

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