WM 2011: Japan im Finale:Die kleinen Perfektionisten

Japan ist die Überraschung der Frauen-WM. Dabei arbeiten die Spielerinnen seit ihrer Kindheit akribisch an diesem Erfolg, den Nachteil der geringen Körpergröße gleichen sie durch Technik und Taktik aus. Im Finale aber treffen sie auf die Wucht des US-Teams.

Jürgen Schmieder, Frankfurt

Die japanischen Nationalspielerinnen versammeln sich nach ihren WM-Partien stets an der Mittellinie. Sie geben zuerst ihren Gegenspielerinnen die Hand, dann bilden sie einen Kreis, Kapitänin Homare Sawa spricht ein paar Worte. Dann rollen sie ein überdimensionales Plakat aus und bedanken sich so bei den Fans in aller Welt.

Fussball-WM: Japan - Schweden

Mit artigem Dank ins Finale: die japanischen Nationalspielerinnen am Mittwochabend in Frankfurt.

(Foto: dapd)

Der neutrale Fan ist in diesem Moment geneigt, ein wenig sentimental zu werden. Diese eifrigen Japanerinnen haben sich mutig und forsch ins Finale gespielt, ihre Erfolge sollen für Ablenkung sorgen in der Heimat, die kürzlich von einem verheerenden Erdbeben, dem darauf folgenden Tsunami und einer atomaren Katastrophe heimgesucht wurde. Karina Maruyama, Torschützin im Viertelfinale gegen Deutschland, arbeitet normalerweise gar beim Energiekonzern Tepco.

Japans Trainer Norio Sasaki verfolgt diese Zeremonie nach dem Ende stets mit gebührendem Abstand von der Seitenlinie aus. Er hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt, er lächelt zufrieden, als wäre er in diesem Moment mit sich und der Welt im Reinen. Vielleicht lächelt er aber auch, weil ihn diese Siege seiner Mannschaft keineswegs überraschen. Im Gegenteil: Der Erfolg der japanischen Fußballerinnen wurde geplant. Langfristig geplant.

"Ich habe mit Jungs zusammengespielt, seit ich im Kindergarten war", sagte etwa Kozue Ando. Mitspielerin Aya Miyama ergänzte: "Wir sind kleiner als andere, also haben wir uns von Beginn an auf andere Elemente des Fußballspiels konzentriert." In unzähligen Wiederholungen hätten sie technische Grundlagen erlernt, taktische Kniffe studiert und das Zusammenspiel verbessert.

Seit Jahren gibt es in Japan Leistungszentren für Sportler, in denen nicht nur Leichtathleten ausgebildet werden, sondern eben auch Fußballerinnen. Zu dieser Ausbildung gehört, Dinge so lange zu wiederholen, bis sie perfekt funktionieren - ob das nun ein einfaches Zuspiel ist, das Zusammenspiel mit den Kolleginnen und eine defensive Formation.

Schon im Viertelfinale gegen Deutschland hatte sich angedeutet, dass sich da eine homogene, ballsichere und laufstarke japanische Elf bei dieser WM präsentiert. Gegen Schweden führten die Spielerinnen nun vor, wie das aussehen kann, wenn es nahe an der Perfektion ausgeführt wird.

Es hatte den Anschein, als hätten die Japanerinnen 90 Minuten lang nur einen Fehlpass gespielt. Homare Sawa schob den Ball zur Schwedin Josefine Öqvist, die noch ein paar Meter mit dem Spielgerät lief und es dann ins rechte Kreuzeck drosch. "Es war wichtig, dass wir nach diesem Treffer unsere seelische Ruhe nicht verloren haben", sagte Miyama nach dem Spiel. Auch das klingt sentimental, beschreibt den Stil der Japanerinnen jedoch präzise.

Sie kombinierten nach dem Rückstand einfach weiter, als wäre nie etwas passiert und als wäre ihnen vollkommen klar, dass sie im Laufe der verbleibenden 80 Minuten ganz sicher noch drei Treffer erzielen würden. Nahomi Kawasumi (1:1 und 3:1) und Homare Sawa schossen diese Tore nach ansehnlichen Spielzügen. In der Defensive dagegen verschoben die Japanerin derart geschickt, dass der Treffer von Öqvist - den die Japanerinnen selbst verschuldet hatten - über 90 Minuten die einzige gefährliche Aktion der Schwedinnen war.

"Japan war deutlich besser"

Freilich erwischten die Schwedinnen einen schrecklichen Abend: Torfrau Hedvig Lindahl leistete sich zwei Patzer, die defensiven Mittelfeldspielerinnen Lisa Dahlkvist und Marie Hammarström bekamen die Partie zu keiner Zeit in den Griff und von Angreiferin Lotta Schelin war außer neonpinken Schuhen und einem grotesken Schubser gegen eine Japanerin gar nichts zu sehen.

"Japan war deutlich besser als wir, die Mannschaft steht verdient im Finale dieser WM, da gibt es nichts zu diskutieren", sagte Kapitänin Caroline Seger, die wegen einer Verletzung hatte passen müssen.

Auch wenn die japanischen Kickerinnen durchschnittlich acht Zentimeter kleiner sind als die Schwedinnen: Sie waren dafür explosiver und wendiger - und weil sie sich auch noch präzise und schnell die Bälle zuspielten, ließen sie ihre Gegnerinnen mitunter arg tapsig aussehen. Dazu folgen die Spielerinnen den Anweisungen ihres Trainers fast blind. "Ich habe Frau Kawasumi gebeten, viel zu laufen und nach hinten zu arbeiten", sagte Sasaki. Das hatte sie getan. "Ich habe sie nicht gebeten, zwei Tore zu schießen", ergänzte Sasaki. Das hatte sie trotzdem gemacht.

Es wird interessant zu sehen sein, wie die Japanerinnen im Endspiel mit der Wucht der Amerikanerinnen umgehen werden, an der in der Ausschlussrunde schon Brasilien und Frankreich gescheitert sind. Sie sind die fußballerische Antithese zu den Japanerinnen, sie verteidigen überaus körperbetont und spielen dann kraftvoll nach vorne, wo Angreiferin Abby Wambach mit der Kombination von Körpergröße und Timing zur dominanten Spielerin im gegnerischen Strafraum geworden ist.

In den USA ist Fußball der Volkssport für junge Frauen, es gibt Akademien für Spielerinnen, im College dann trainieren sie im Alter von 18 bis 22 Jahren unter professionellen Bedingungen. Beide Mannschaften stehen nicht zufällig oder überraschend im Endspiel dieser WM, sie haben diesen Erfolg geplant.

Dazu passte auch ein Satz von Aya Miyama, der freilich ein Versprecher war. Sie hatte eigentlich auf die Frage antworten wollen, ob die Japanerinnen denn schon die Heimreise geplant hätten. Sie sagte aber: "Wir denken nicht an die Heimat, wir denken nur an den Sonntag und das Finale."

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